Automatisierte Insulinabgabesysteme (Automated Insulin Delivery, AID) verbessern nachweislich die glykämische Kontrolle und Lebensqualität im Vergleich zu herkömmlichem Glukosemanagement. Insbesondere die Reduktion der Krankheitslast durch die Unterstützung bei der Insulintherapie führt zu einer immer breiteren Anwendung. Derzeit ist davon auszugehen, dass AID-Systeme die sicherste und effizienteste Therapieoption für Menschen mit Typ-1-Diabetes darstellen. In gewissen Situationen ergeben sich jedoch spezifische Anforderungen an die Bedienung dieser Systeme. Flugreisen sollten für gut geschulte Anwender:innen mit etwas Vorbereitung prinzipiell kein Problem darstellen. Im Folgenden werden praktische Hinweise für die derzeit in Österreich verfügbaren AID-Systeme und das Diabetesmanagement rund um Linienflüge gegeben.
Vor dem Antritt der Flugreise sollte sichergestellt werden, dass genügend Verbrauchsmaterial (Katheter-Sets, Reservoirs, Pods, Sensoren, Insulin in Kühltaschen usw.) im Handgepäck mitgeführt wird. Vor allem bei Bade- oder Sporturlauben muss mit einem erhöhten Bedarf an körperhaftenden Teilen (Sensoren/Katheter-Sets) gerechnet werden. Insgesamt sollte deutlich mehr Verbrauchsmaterial mitgeführt werden als theoretisch notwendig wäre. Auch Ladegeräte und Batterien gehören ins Handgepäck, damit es im Falle von Verlust oder Verspätung des aufgegebenen Gepäcks nicht zu Problemen kommt. Ebenfalls mitzunehmen sind Ersatzpens mit kurzwirksamem Insulin und Basalinsulin (z. B. Fertigpen) für den Fall eines technischen Defekts (inklusive vorbereitetem Spritzschema) sowie Glucagon (nasal oder i.m.). Sämtliches mitgeführtes Insulin gehört ins Handgepäck, da das Gepäck vor der Verladung evtl. länger in der Sonne stehen und somit Temperaturschwankungen ausgesetzt sein kann. Bei längeren Reisen ist es auch ratsam, sich über die Versorgung mit Insulinen in der Urlaubsdestination zu informieren. Auch die Gebrauchsanweisungen für Devices können eingepackt werden. Eine praktische Reise-Checkliste findet sich zum Beispiel auf der Website der Deutschen Diabetes-Hilfe.
Für die Sicherheitskontrollen an Flughäfen empfiehlt es sich, das Flughafenpersonal auf Sensoren für die kontinuierliche Glukosemessung (CGM) und Insulinpumpen hinzuweisen. Metalldetektoren stellen kein Problem dar; Ganzkörperscans sollten jedoch vermieden werden, da die elektromagnetischen Strahlen (Terahertz oder Röntgen) die Funktion der AID-Systeme beeinträchtigen könnten. Medtronic und Ypsomed empfehlen ausdrücklich alternative Sicherheitskontrollen. Beim Omnipod® sieht der Hersteller keine Einschränkungen bei Sicherheitskontrollen an Flughäfen. In unserer Diabetesambulanz an der Universitätsklinik für Innere Medizin Graz werden Menschen mit Diabetes und einer geplanten Flugreise mehrsprachige ärztliche Bescheinigungen ausgestellt. Darin wird neben der Angabe der Personendaten und der Diagnose bestätigt, dass Insulinpumpe, Insulinreservoirs, Insulinampullen, Insulinspritzen(/-pen), Desinfektionstücher, Blutzucker-Teststreifen, CGM-Sensoren, Transmitter, Blutzuckermessgerät, Blutlanzetten, Injektionsnadeln, Gerät zur Blutgewinnung oder auch Traubenzucker im Handgepäck mitgeführt werden müssen. Vorlagen für eine derartige Bescheinigung gibt es auf der Website der ÖDG oder des ADAC. Die Grenze von 100ml für Flüssigkeiten im Handgepäck gilt nicht für Medikamente, sofern eine ärztliche Bestätigung vorliegt. Ein separates Plastiksackerl für den Diabetesbedarf ist zu empfehlen. Gewisse Airlines gewähren sogar Extragepäck für medizinischen Bedarf, hier muss jedoch rechtzeitig mit dem Fluglinienbetreiber Kontakt aufgenommen werden.
AID-Systeme und die steuernden Smartphones dürfen während des gesamten Fluges eingeschaltet sein. Eine aufrechte Bluetooth-Verbindung ist bei den meisten Fluggesellschaften auch zwischen Take-off und Landung erlaubt. Bei Linienflügen sind vor allem Änderungen des Kabinendrucks während Steigflug und Sinkflug für die AID-Systeme herausfordernd. Hier ist ein kleiner Ausflug in die Physik notwendig. Während des Starts bis zum Erreichen der Reiseflughöhe wird die Passagierkabine durch Kompressoren und Ventile unter Druck gesetzt. Somit wird ein Atmosphärendruck von etwa 750 mbar erreicht, was einer Höhe von ca. 2.400 m über dem Meeresspiegel entspricht. Diese Druckänderungen erfolgen vollautomatisch und fallen bei moderneren Flugzeugen wie Boeing 787 oder Airbus A350 geringer aus (etwa 1.800 m). Durch die Änderung des Kabinendrucks kann es nach dem Henry-Dalton-Gesetz zur Bildung von Bläschen im geschlossenen Insulinreservoir/Schlauchsystem kommen, vergleichbar mit den physikalischen Vorgängen bei der Dekompressionskrankheit.
Auswirkungen von Druckveränderungen auf die Insulinzufuhr: Durch die Expansion des Insulin-Gas-Gemisches kommt es zu einer gesteigerten Insulinzufuhr des AID-Systems. Diese entspricht laut einer Druckkammersimulation mit vollen Reservoiren bei MiniMed™ 780G, Tandem t:slim X2™ sowie Omnipod® Dash 0,60 Einheiten während 20 min Steigflug. Umgekehrt kommt es beim Sinkflug mit steigendem Druck zur Lösung von Gasbläschen im Insulin sowie Reduktion des Gesamtvolumens zu einer reduzierten Insulinabgabe. In besagter Studie entsprach dies in 20 min 0,51 Einheiten. Bei einer gesteigerten Insulininfusionsrate wäre das Risiko von Hypoglykämien nach Erreichen der Reiseflughöhe sowie von Hyperglykämien nach der Landung erhöht. Jedoch scheinen diese Auswirkungen zumindest bei Erwachsenen moderat und durch die AID-Systeme meist gut kompensierbar zu sein. Eine entsprechende Aufklärung von AID-System- oder Insulinpumpennutzer:innen über den reduzierten Insulinbedarf nach Erreichen der Reiseflughöhe bzw. erhöhten Insulinbedarf nach der Landung ist jedoch ratsam. Ein Diskonnektieren des Systems sowie Entlüften von Reservoir und Katheter-Set ist bei Kindern indiziert und kann auch bei Erwachsenen sinnvoll sein. Hier sollten bereits vor Abflug alle sichtbaren Luftbläschen entfernt werden, das Infusionsset sollte im Idealfall kurz vor dem Flug neu gesetzt werden, und Reservoire sollten nie ganz gefüllt sein, um die Druckveränderungen zu kompensieren. Für die Ypsopump® (CamAPS® FX) wird die Diskonnektion während Start und Landung empfohlen.
Natürlich sind neben diesen physikalischen Problemen auch Faktoren wie Bewegungsmangel, Reisestress, Flugangst, Schlafmangel, Zeitverschiebung und unregelmäßige Mahlzeiten Herausforderungen für die glykämische Kontrolle. Auch zu bedenken ist, dass es bei Turbulenzen zu einem Ausfall des Bordservice kommen kann, weshalb ausreichend Essen und Getränke mitgeführt werden sollten. Gleiches gilt für Flugverzögerungen/Ausfälle am Flughafen. Umgekehrt kann es hilfreich sein, die Crew aktiv nach dem Zeitpunkt der Mahlzeiten zu fragen, hier wird in der Regel auch die Mahlzeit zuerst serviert, wenn das gewünscht wird.
Bei AID-Systemen sollten nach der Landung bei Langstreckenflügen in unterschiedliche Zeitzonen die Zeiteinstellungen angepasst werden. Wenn in den Smartphone-Einstellungen automatische Zeitzonenupdates freigeschaltet sind, werden sich Apps wie CamAPS® FX sowie die Ypsopump® automatisch umstellen. Bei der MiniMed™ 780G muss die Zeitumstellung manuell nach der Landung im Menü „Geräteeinstellungen“ erfolgen. Bei längeren Fernreisen ergibt sich durch den Zeitunterschied und dem veränderten Schlafverhalten (Jetlag) eine besondere Herausforderung für die Insulintherapie. Diese kann durch AID-Systeme in der Regel leichter bewältigt werden als mit alternativen Therapieformen. Hier ist zwischen Reisen nach Westen (Tag wird länger) und Reisen nach Osten (Tag wird kürzer) zu unterscheiden. Generell wird empfohlen, den Tagesrhythmus (Mahlzeiten zur lokalen Essenszeit, Schlafengehen etc.) langsam anzupassen und leicht verdauliche Mahlzeiten zu sich zunehmen. Bei kurzen Fernreisen (z. B. beruflich) kann es auch sinnvoll sein, sowohl Zeitzoneneinstellungen als auch den gewohnten Tagesrhythmus nicht zu ändern.
Richtung Osten: Reisen nach Osten sind generell belastender für den Körper mit höheren Stresslevels/Kortisolspiegeln. Hier besteht ein höheres Risiko für Hyperglykämien, da auch der Loop eventuell hinterherhinken kann bzw. weniger Zeit hat, um auf Blutzuckeranstiege zu reagieren. Sinnvoll für AID-Nutzer:innen ist es, sich bereits in den Tagen vor der Reise auf die Zeitumstellung vorzubereiten, indem man 1–2 Stunden früher ins Bett geht.
Richtung Westen: Bei Reisen in den Westen bleibt man länger wach. Hier besteht eher das Risiko für abendliche/nächtliche Hypoglykämien. Der Ease-off-Modus oder ein moderat erhöhter temporärer Zielwert auf z. B. 120 mg/dl am 1. Abend/in der 1. Nacht kann hier sinnvoll sein.
Trotz der Herausforderungen der Diabetestherapie auf Reisen sollte nicht auf andere medizinische Vorbereitungen vergessen werden. Hierzu zählt die Überprüfung des Impfstatus bzw. rechtzeitige Impfberatung über empfohlene Impfungen in der Reisedestination. An die Mitnahme einer entsprechenden Reiseapotheke (Antipyretikum, Reisediarrhötherapie etc.) ist zu denken, ebenso an den Abschluss einer Reiseversicherung (Angabe der Diabetesdiagnose mit Kontrolle, ob geplante Aktivitäten abgedeckt sind [Dokumente mitnehmen]). Es ist auch wichtig, die e-card (= europäische Krankenversicherungskarte) mitzuführen, um in EU-Ländern Zugang zur öffentlichen Krankenversicherung zu erhalten.
Die unterschiedlichen Hersteller bieten auch Service-Hotlines für das Ausland an – diese sollte man griffbereit dabeihaben. Bei Medtronic kann rechtzeitig eine Ferien-/Ersatz-Pumpe für Schwangere, Kinder unter 11 Jahren, Kreuzfahrten oder schwer erreichbare Orte angefordert werden, ansonsten wird ein Pumpenersatz mit Lieferung an den Ferienort bei defekten Systemen für bestimmte Länder angeboten. Omnipod® (noch nicht als AID-System in Österreich) bietet ebenso unter gewissen Umständen einen Reserve-Personal-Diabetes-Manager für Reisen an.
Ein weiterer Aspekt von Fliegen und AID-Systemen ist der Einsatz bei Pilot:innen mit Typ-1-Diabetes. Eine optimale Blutzuckerkontrolle bei Pilot:innen mit Typ-1-Diabetes ist naturgemäß Voraussetzung für Reaktionsgeschwindigkeit, Entscheidungsfindung und präzise manuelle Fertigkeiten. Trotz der etablierten wissenschaftlichen Evidenz und klinischen Erfahrung, die für den Einsatz von AID-Systemen bei Menschen mit Typ-1-Diabetes sprechen, dürfen Fluglinienpilot:innen mit Typ-1-Diabetes AID-Systeme vorerst nur unter Einhaltung strenger Protokolle verwenden. Diese schreiben zusätzliche regelmäßige kapillare Blutzuckermessungen vor und während des Fluges vor. Bereits seit 2002 ist es unter Anwendung spezieller Protokolle für Menschen mit Typ-1-Diabetes möglich, Linienflugzeuge zu fliegen. Es können jedoch nur Pilot:innen, die während oder nach ihrer Ausbildung erstmanifestieren, ein sogenanntes Medical bekommen. In Österreich wird diese Personengruppe durch Priv.-Doz. Dr. Gerd Köhler betreut, der sich stark für die Aeronautik bei Menschen mit Typ-1-Diabetes einsetzt. Er wirkt auch am von der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) geförderten AID-Pilotprojekt mit, das den Einsatz von AID und die Entwicklung entsprechender Protokolle für Flugzeugpilot:innen mit Typ-1-Diabetes untersucht.
Flugreisen mit AID-Systemen sind für Menschen mit Typ-1-Diabetes gut machbar, erfordern jedoch etwas Vorbereitung hinsichtlich Material, Sicherheitskontrollen und Geräteeinstellungen. Langstreckenreisen können die Insulinabgabe und Glukoseverläufe beeinflussen, sind aber meist gut kontrollierbar. Funktionen wie temporäre Zielwertänderungen können dabei helfen, Jetlag und ungewohnte Tagesrhythmen sicher zu überbrücken.