KI im urologischen Alltag

Was ist künstliche Intelligenz?

Der Begriff der künstlichen Intelligenz (KI) beschreibt im Allgemeinen die Lehre der Algorithmen, die Maschinen (z.B. Computer) befähigt, kognitive Funktionen wie zum Beispiel Denken, Problemlösung, Entscheidungsfindung sowie Objekt- und Worterkennung auszuführen.1 Die Fähigkeit der Problemlösung solcher Maschinen beruht auf analytischen Modellen, die Vorhersagen, Regeln, Antworten und Ergebnisse generieren.
Die ersten analytischen Modelle basierten auf der expliziten Programmierung von bekannten Beziehungen, Verfahren und Entscheidungslogik in intelligente Systeme durch eigenhändig erstellte Regeln.2 Aufgrund von technischen Weiterentwicklungen werden analytische Modelle heutzutage zunehmend unter Verwendung des maschinellen Lernens (ML) entwickelt.3, 4 Beim ML wird versucht, anstatt das Wissen manuell zu kodieren, sinnvolle Beziehungen und Muster automatisch aus Beobachtungen und Beispielen zu lernen.5 In den letzten Jahren hat ML beachtliche Fortschritte bei Lernalgorithmen und Vorverarbeitungstechniken ermöglicht. Ein Beispiel hierfür ist die Entwicklung artifizieller neuronaler Netze (ANN) bis hin zu immer tiefergehenden neuronalen Netzarchitekturen mit erweiterten Lernfähigkeiten, die als Deep Learning (DL) bezeichnet werden.4, 6 DL ist ein Konzept des ML, das auf ANN basiert und in vielen Anwendungen flache maschinelle Lernmodelle und traditionelle Datenanalyseansätze (z. B. explizite Programmierung) übertrifft.7 Die Unterschiede in der Entwicklung der analytischen Modelle sind in der Abbildung zusammengefasst.

Anwendungen: Nachdem die Grundlagen der KI beleuchtet worden sind, soll nun ein Blick auf vielversprechende Anwendungen dieser Technologie in der Urologie geworfen werden – insbesondere im Kontext der Dokumentation, klinischen Studien und Big-Data-Analysen.

Abb.: Entwicklung von analytischen Modellen. Bei der Entwicklung von analytischen Modellen werden jeweils vier Schritte durchlaufen: Dateneingabe, Merkmalsextraktion, Modellerstellung und Modellbewertung.

KI in der Urologie

Ärzt:innen und Informatiker:innen haben das klinische Potenzial von KI vor allem durch den technologischen Fortschritt der letzten Jahre entdeckt.8 Es muss jedoch betont werden, dass diese Anwendungen in der Urologie noch in den Anfängen ihrer Entwicklung stehen. Die rasante Zunahme von KI-assoziierten Publikationen im Bereich Urologie lassen aber darauf schließen, dass KI in Zukunft eine Verbesserung im Bereich der Diagnostik und Therapie bewirken kann.9

Dokumentation

Dialogbasierte KI-Systeme (auch Large Language Models) wie ChatGPT finden bereits eine breite Anwendung. Eine mögliche Anwendung in der Urologie stellt hierbei die klinische Dokumentation und Protokollierung dar. Folgende Anwendungen der dialogbasierten KI-Systeme könnten im klinischen Alltag genutzt werden:

  • Strukturierung und Zusammenfassung der Anamnese,
  • Erstellung von Notizen,
  • Vorschläge zu Nachsorgebehandlungen, Unterstützung bei der Dokumentation in Echtzeit,Unterstützung bei Entscheidungen zu Behandlungsmöglichkeiten.10–12

Ein Vorteil, der sich aus der Nutzung von zum Beispiel ChatGPT bei der Dokumentation ergibt, ist die Möglichkeit, den Zeitaufwand für die genannten Tätigkeiten zu verringern und den behandelnden Ärzt:innen folglich mehr Zeit für Patientengespräche und Behandlungen zur Verfügung zu stellen.10 Trotz gewisser Vorteile muss dennoch vor der Etablierung im klinischen Alltag auf die Unzulänglichkeiten von Systemen wie ChatGPT geachtet werden. Hierzu gehören unter anderem die mögliche Fehlinterpretation des Systems von mehrdeutigen Eingaben, die begrenzte klinische Erfahrung des Systems sowie auch der Mangel an personalisiertem Datenschutz.10

Klinische Studien

Um ein neues Medikament auf den Markt zu bringen, benötigen klinische Studien ungefähr 10 bis 15 Jahre und 1,5 bis 2 Milliarden USD.13 Die beiden Hauptfaktoren, die eine klinische Studie scheitern lassen, sind die Auswahl der Patientenkohorten und die Rekrutierungsmechanismen, durch die nicht immer die am besten geeigneten Patient:innen in dem gegebenen Zeitrahmen rekrutiert werden, sowie auch der Mangel an der technischen Infrastruktur, die für die Datenverarbeitung, Kontrolle der Einhaltung der gesetzlichen Grundlagen, zur Überwachung der Patient:innen und zur Erkennung der klinischen Endpunkte benötigt wird. KI bietet hier eine Möglichkeit, diese Unzulänglichkeiten zu kompensieren.13
Bei der Patientenauswahl und der Zusammenstellung der Kohorten können KI-Modelle genutzt werden, um (i) die Heterogenität der Population zu verringern, (ii) durch die Auswahl der Patient:innen die Wahrscheinlichkeit zu vergrößern, einen messbaren klinischen Endpunkt zu erhalten (prognostische Anreicherung), und (iii) eine Population zu ermitteln, die wahrscheinlich besser auf eine Behandlung anspricht (prädiktive Anreicherung).14
Bei der Datenverarbeitung, Überwachung der Patient:innen und zur Erkennung von klinischen Endpunkten können KI-Systeme genutzt werden, um die unzureichende technische Infrastruktur zu unterstützen. Zusammen mit tragbarer Technologie (am Körper getragene Sensoren) können KI-Systeme effiziente, mobile und personalisierte Monitoringsysteme in Echtzeit darstellen. Durch diese körpernahen Sensoren können Patientendaten automatisch und kontinuierlich, ohne diese Aufgaben an Patient:innen zu übertragen, aufgezeichnet werden. Anschließend können KI-Systeme genutzt werden, um die gesammelten Daten in Echtzeit zu analysieren und damit relevante Ereignisse zu erkennen und entsprechend zu protokollieren. Die dadurch erstellten Therapietagebücher können dann durch die Ärzt:innen als Nachweis für die Therapietreue oder das Fehlen derer genutzt werden. Durch die automatisierte Erstellung der Therapietagebücher mit nur minimaler oder gänzlich ohne manuelle Eingaben durch die Patient:innen können auch Datenpunkte zur Endpunkterkennung effizienter erfasst werden. Auch können die KI-Systeme genutzt werden, um dynamisch Vorhersagen über das Risiko eines Studienabbruchs bei bestimmten Patient:innen zu treffen. Wie auch schon bei der Nutzung von KI-Systemen bei der Dokumentation müssen auch bei der Nutzung dieser Systeme bei klinischen Studien die rechtlichen Aspekte des Datenschutzes und der Datensicherheit sowie die Erklärbarkeit der genutzten Systeme beachtet werden, damit die KI-Systeme funktionsfähig sind und von den zuständigen Behörden genehmigt werden können.13

Big-Data-Analysen

Im Zeitalter der „Big Data“15 steht eine immer zunehmende Menge an Gesundheitsdaten zur Verfügung. ML, das sich für die Analyse großer Datenmengen eignet, könnte hierbei zu einem Paradigmenwechsel in der Urologie führen.16,17 KI-Ansätze scheinen eine genauere Vorhersage und Analysen großer Datenmengen von urologischen Kohorten im Vergleich zur konventionellen Statistik zu ermöglichen.18 Es ist davon auszugehen, dass sowohl in der Urologie als auch in anderen Fachrichtungen KI-Systeme wahrscheinlich beim Clustern und Auswerten von Big Data unterstützend genutzt werden und damit diagnostische, therapeutische und wissenschaftliche Auswirkungen haben werden, was langfristig zu einer individualisierten Patientenversorgung beitragen kann.18, 19
Ein Anwendungsbeispiel von KI-Systemen bei Big-Data-Analysen ist die Analyse der elektronischen medizinischen Krankenakte. Hier konnten vielversprechende Ergebnisse mit DL-Algorithmen erreicht werden. Dennoch muss auch hier beachtet werden, dass diese Algorithmen noch viel Anleitung benötigen und nur als Entscheidungshilfesystem genutzt werden sollten. Manche Autor:innen sind der Meinung, dass KI-Systeme nur von etablierten Ärzt:innen genutzt werden sollen, um die Ergebnisse der Modelle fundiert bewerten zu können.20, 21

Schlussfolgerung

Es lässt sich zusammenfassend feststellen, dass die Integration von KI in der Urologie, insbesondere im Bereich der Dokumentation, klinischen Studien und Big-Data-Analysen, vielversprechend ist. Die Aussicht auf eine Erleichterung des klinischen Alltags durch KI-Systeme ist verlockend, jedoch müssen vorher noch die Herausforderungen des Datenschutzes und der Notwendigkeit der Weiterentwicklung der medizinischen Kenntnisse der KI-Systeme bewältigt werden.
Die fortlaufende Zusammenarbeit zwischen Informatiker:innen, Ärzt:innen und Datenschutzexpert:innen wird entscheiden sein, um die Potenziale von KI voll ausschöpfen und gleichzeitig eine ethisch verantwortliche Anwendung sicherstellen zu können.