Aktuelle Real-World-Daten und Trends zur Herzgesundheit in Europa

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind nach wie vor sehr häufig und mit einer hohen Morbidität und Mortalität assoziiert. Die Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen ist daher eines der wichtigsten Anliegen der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC). Zur Dokumentation der Situation in Europa wurde das EUROASPIRE-(European-Action- on-Secondary-and-Primary-Prevention-by-Intervention-to-Reduce-Events-)Register 1994 ins Leben gerufen. Seither wurden 5 „Registerstaffeln“ (EUROASPIRE I–V) lanciert, die einen guten Vergleich der Entwicklung von Risikofaktoren und Therapiemaßnahmen über die Jahre in den verschiedenen teilnehmenden Ländern ermöglichen. Das Register ermöglicht es auch, den Erfolg in der Umsetzung der jeweils aktuellen Präventionsguidelines der ESC zu überprüfen.

Primärprävention

Gerade die Primärprävention von atherosklerotischen Erkrankungen stellt eine große Herausforderung dar. Viele Studien haben den großen Stellenwert von Lebensstilinterventionen sowie der medikamentösen Behandlung von Hypertonie, Diabetes und Hypercholesterinämie zur Vermeidung von kardiovaskulären Ereignissen gezeigt. Dabei kann die Risikofaktorkontrolle gerade in der Primärprävention im Vergleich mit der Sekundärprävention sogar eine größere relative Risikoreduktion erzielen.1 Gerade einem umfassenden Risikomanagement mit gleichzeitiger Behandlung aller Risikofaktoren kommt dabei eine große Bedeutung zu. Ergebnisse einer Mendelschen Randomisierungsstudie haben etwa gezeigt, dass genetische Varianten, die sowohl mit einem um 1 mmol/l (38,7mg/dl) niedrigeren LDL-Cholesterin als auch mit einem um 10 mmHg niedrigeren Blutdruck assoziiert sind, mit einem um 88% geringeren Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und einem um 68 % geringeren Risiko für einen kardiovaskulären Tod einhergehen.2
EUROASPIRE V überprüfte die Erreichung der in den ESC-Guidelines von 2016 festgeschriebenen Therapieziele in der Primärprävention an 78 Zentren in 16 europäischen Ländern. Es wurden 2.759 Hochrisiko-Patient:innen ohne bisheriges kardiovaskuläres Ereignis (Alter: 59 ± 11,6 Jahre, 58 % Frauen) eingeschlossen, bei denen mit einer blutdruck-, lipid- oder blutzuckersenkenden Therapie begonnen worden war. Die Kontrolle der Risikofaktoren war 6 Monate nach Therapiebeginn erschreckend gering: 18 % der Patient:innen waren nach wie vor Raucher:innen, 44 % aller Patient:innen waren adipös (Body-Mass-Index > 30 kg/m2), und nur 47 % aller Patient:innen mit Blutdruckmedikation, 47 % aller Patient:innen mit Lipidtherapie und 65 % aller Patient:innen mit Diabetes erreichten nach 6 Monaten die festgelegten Therapieziele.3

Sekundärprävention

Eine weitere Analyse aus EUROASPIRE V beschäftigte sich mit der Erfüllung der Therapieziele in der Sekundärprävention.4 Es wurden 8.261 Patient:innen < 80 Jahren aus 131 Zentren und 27 Ländern mehr als 6 Monate nach einem koronaren Ereignis oder einer Koronarintervention nachuntersucht. Dabei rauchten nach wie vor 19 % der Patient:innen, 59 % wiesen eine Stammfettsucht auf, und 66 % waren körperlich inaktiv. 42 % aller Patient:innen hatten eine unzureichende Blutdruckeinstellung, und 71 % hatten ein LDL-Cholesterin von über 70 mg/dl. 93 % der Patient:innen erhielten nach dem kardiovaskulären Ereignis Plättchenhemmer, 81 % Beta-Blocker, 75 % ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptorblocker und 80 % Statine. Die Autor:innen kommen zum Schluss, dass die Mehrzahl aller Patient:innen auch nach einem koronaren Ereignis weiter einen ungesunden Lebensstil pflegt und die Blutdruck- und Lipidziele sehr oft nicht erreicht werden. Leider ist aufgrund von Erhebungen im Langzeitverlauf zu sehen, dass sich über die Jahre das Erreichen der Therapieziele nicht entscheidend verbessert haben dürfte5, zumal ja auch die Guidelines zunehmend strengere Vorgaben (z. B. Dyslipidämie-Guidelines 2019) festschreiben.

Umsetzung der Dyslipidämie-Guidelines

Eine ähnliche Analyse untersuchte, inwieweit die ESC-Dyslipidämie-Guidelines bei Patient:innen mit koronarer Herzerkrankung umgesetzt werden. Es zeigte sich eine durchschnittliche Zielwerterreichung von nur 29 %, wobei auch große Unterschiede in der Umsetzung der Guidelines in den verschiedenen Ländern festzustellen waren (Abb.).6 Es wurden 7.824 Patient:innen von 130 Zentren in 27 Ländern eingeschlossen und der Lipidstatus mindestens 6 Monate nach einem koronaren Ereignis untersucht. Etwa die Hälfte aller Patient:innen wurde zu diesem Zeitpunkt mit einer hochintensiven Lipidtherapie behandelt, und diese Patient:innen hatten auch eine bessere Kontrolle des LDL-Cholesterins. Bei 21 % aller Patient:innen wurde die Lipidtherapie nach Behandlungsbeginn jedoch reduziert oder abgesetzt, wobei als Grund für diesen Schritt die Empfehlung der/des Behandler:in bei 37 % und eine Statinintoleranz bei 16 % dieser Patient:innen angegeben wurde. Dieses ernüchternde Ergebnis steht in Einklang mit anderen Studien, die ebenfalls gerade in der Sekundärprävention eine unzureichende Zielwerterreichung sowie eine ungenügende Verschreibung und Einhaltung der medikamentösen Therapie dokumentieren.7

Abb.: EUROASPIRE V: 71 % der Patient:innen verfehlten ihr LDL-Ziel.

KHK und Glukosestoffwechselstörung

Eine weitere jüngere Studie beschäftigte sich mit der Häufigkeit von Glukosestoffwechselstörungen bei Patient:innen mit koronarer Herzerkrankung (KHK) unter besonderer Berücksichtigung von Geschlechterunterschieden.8 Es wurden 7.998 Patient:innen aus EUROASPIRE IV und 8.261 Patient:innen aus EUROASPIRE V eingeschlossen. Ein vorbestehender Diabetes lag bei 32,9 % der Frauen und bei 28,4 % der Männer vor (p < 0,0001). Bei allen Patient:innen ohne bereits bekannten Diabetes wurde ein oraler Glukosetoleranztest (OGTT) durchgeführt, der (n=8.655) eine gestörte Glukosetoleranz bei 17,2 % der Frauen und 15,1 % der Männer nachwies (p=0,004) und einen manifesten Diabetes bei zusätzlich 13,4 % der Frauen und bei 14,6% der Männer aufdeckte (p=0,078). Die Blutdruckziele und Lipidziele wurden deutlich seltener bei Frauen erreicht. Nach einem medianen Follow-up von 1,7 Jahren zeigte sich bei Frauen mit Diabetes auch ein erhöhtes Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis (altersadjustierte HR 1,22; 95%-KI 1,04–1,43).

Zusammenfassung

Das von der ESC betriebene EUROASPIRE-Register dokumentiert seit beinahe 30 Jahren die Umsetzung kardiovaskulärer Präventionsmaßnahmen in Europa. Jüngste Ergebnisse lassen nach wie vor ein enormes Potenzial für Verbesserungen in der Primär- und Sekundärprävention in vielen teilnehmenden Ländern erkennen.
Die Gründe für die unzureichende Umsetzung der Präventionsziele konnten in den EUROASPIRE-Studien nicht erhoben werden. Es wird aber angenommen, dass hier mehrere Faktoren wie die falsche oder ungenügende individuelle Risikoeinschätzung, ein ungenügender oder inadäquater Informationsstand von Behandler:innen und Patient:innen, aber auch Unzulänglichkeiten in den Gesundheitssystemen mancher Länder mit beschränktem Zugang zu einer strukturierten medizinischen Versorgung eine Rolle spielen.