Corona-Impfstoff: Was bisher dazu bekannt ist

Erstmals gibt es zu einem Corona-Impfstoff Zwischenergebnisse aus der Phase-III-Studie. Das Unternehmen Biontech und der Pharmakonzern Pfizer teilten mit, ihr Impfstoff biete einen mehr als 90-prozentigen Schutz. Experten warten nun auf genaue Daten.

Biontech und der Pharmariese Pfizer wollten voraussichtlich ab der kommenden Woche die Zulassung bei der US-Arzneimittelbehörde FDA beantragen. Der Impfstoff BNT162b2 war von Biontech im Projekt „Lighspeed“ (Lichtgeschwindigkeit) seit Mitte Jänner entwickelt worden. Die für eine Zulassung entscheidende Phase-III-Studie begann ab Ende Juli in verschiedenen Ländern. Inzwischen haben mehr als 43.500 Menschen mindestens eine der beiden Impfungen bekommen, die im Abstand von drei Wochen verabreicht werden. Ein Impfschutz wird nach Angaben der Hersteller eine Woche nach der zweiten Injektion erreicht.

Für den Corona-Impfstoff gilt wegen der besonderen Dringlichkeit ein beschleunigter Zulassungsprozess. Bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA können Arzneimittelhersteller schon vor dem kompletten Zulassungsantrag einzelne Teile zu Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit eines Präparats einreichen. Ein solches Rolling-Review-Verfahren hat neben Biontech auch das britisch-schwedische Unternehmen AstraZeneca bereits vor einiger Zeit für seinen Impfstoff-Kandidaten gestartet. AstraZeneca hat bisher noch keine Phase-III-Daten veröffentlicht.

Das Biontech-Präparat ist ein sogenannter RNA-Impfstoff. Es enthält genetische Informationen des Erregers, aus denen der Körper ein Viruseiweiß herstellt – in diesem Fall das Oberflächenprotein, mit dessen Hilfe das Virus in Zellen eindringt. Ziel der Impfung ist es, den Körper zur Bildung von Antikörpern gegen dieses Protein anzuregen, um die Viren abzufangen, bevor sie in die Zellen eindringen und sich vermehren. Für den Fall der Zulassung macht Clemens Wendtner von der München Klinik Schwabing laut deutschen Medien Hoffnung auf einen raschen Impfstart: „Wenn dieser Schritt erfolgen wird, könnte in der Tat bereits Ende 2020 eine Impfwelle anrollen.“ Der österreichische Virologe Florian Krammer von der Icahn School of Medicine in New York nannte die Bekanntgabe die „beste Nachricht“ für ihn seit Beginn der Pandemie. Obwohl die RNA-Impfstofftechnologie noch neu ist, gebe es bereits längerfristige Erfahrungswerte mit dem grundsätzlichen Ansatz bei anderen Erregern. RNA-Impfstoffe – etwa gegen Influenzaviren – würden schon „seit einigen Jahren im Menschen erprobt“, es würden daher auch Langzeitdaten von Hunderten Personen vorliegen. Ernstere Nebenwirkungen seien in den bisherigen Studien zum COVID-19-Vakzin offenbar nicht aufgetreten, so der Wissenschafter, der selbst einer der mehr als 43.500 Menschen ist, die an der Phase-III-Studie teilnahmen, und den Impfstoff oder ein Placebo injiziert bekommen haben.

In der Studie wurden demnach bis Sonntag insgesamt 94 COVID-19-Fälle bestätigt – die weitaus meisten davon bei der Kontrollgruppe, die das Placebo-Präparat erhalten hatte. Die Ergebnisse werden nach Angaben von Biontech und Pfizer erst dann abschließend ausgewertet, wenn insgesamt 164 Fälle erreicht sind. Die Weltgesundheitsorganisation äußerte sich optimistisch. Abwartend äußerte sich hingegen Heidemarie Holzmann von der Medizinischen Universität Wien: Es handle sich um einen „interessanten Ansatz“ und „vielversprechenden Trend“, man warte aber noch auf detaillierte Daten. Die bis dato vorhandenen Informationen beruhen lediglich auf einer Presseaussendung der beiden Unternehmen. Die Möglichkeiten, jetzt belastbare Aussagen dazu zu treffen, seien daher eingeschränkt, sagte die Wissenschafterin vom Zentrum für Virologie der Meduni zur APA. Wichtig sei, dass der Einsatz des Wirkstoffkandidaten, der als einer der aussichtsreichsten für eine Zulassung durch die Gesundheitsbehörden in den USA und Europa gilt, minutiös nachbeobachtet werde, betonte Holzmann.

Ein Vorteil von RNA-Impfstoffen ist, dass sie wesentlich schneller als konventionelle Impfstoffe produziert werden können. Biontech und Pfizer rechnen damit, noch in diesem Jahr weltweit bis zu 50 Millionen Impfstoff-Dosen bereitstellen zu können, im kommenden Jahr kalkulieren sie mit bis zu 1,3 Milliarden Dosen. Beteiligt daran ist auch ein österreichisches Unternehmen. In den meisten Fällen werden die RNA-Teile in winzige Lipid-Nanopartikel gepackt. Im Fall des nun weit fortgeschrittenen Vakzin-Kandidaten von Biontech und Pfizer geschieht das in von der Klosterneuburger Firma Polymun entwickelten Partikeln mit einer Größe von 50 bis hundert Nanometern.

Die EU-Kommission verhandelte bereits seit einiger Zeit mit Biontech/Pfizer über einen Rahmenvertrag zur Lieferung des Impfstoffs an alle EU-Staaten und gab am Dienstag bekannt, einen Vertrag über bis zu 300 Millionen Impfdosen fixiert zu haben. Nach Vertragsabschluss in der EU haben alle 27 Länder gleichzeitig Zugriff auf erste Lieferungen. Sie sollen nach Bevölkerungsstärke verteilt werden, was für Österreich etwa zwei Prozent der verfügbaren Dosen ausmachen würde. Unterzeichnet hat die Kommission davor bereits Rahmenverträge mit den Pharmafirmen Johnson&Johnson, AstraZeneca und Sanofi-GSK. Die Veröffentlichung der Zwischenresultate gab auch den Börsen Europas kräftig Auftrieb.

Die Studie zur Auswahl von BNT162b2 auf dem Preprint-Server „medRxiv“: https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.08.17.20176651v2