Experten-Aufrufe zur Vorsicht vor Delta-Variante häufen sich

(c) Bernhard Noll / ÖÄK

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt angesichts der Delta-Variante vor Sorglosigkeit in Europa. Sie kritisiert Großveranstaltungen. Die EU-Kommission fordert die EU-Staaten auf, deutlich mehr zu tun als bisher. In Österreich treten am Donnerstag indes weitere Lockerungen in Kraft.

Derzeit gebe es schon viele große Sportveranstaltungen und Zusammenkünfte, während viele Menschen noch keinen vollen Impfschutz hätten, sagte Maria Van Kerkhove, die führende Corona-Expertin der WHO. „Die Veranstaltungen werden Konsequenzen haben“, sagte sie in Genf. Schon jetzt seien deswegen Übertragungen aufgetreten. Van Kerkhove äußerte sich nicht über konkrete Veranstaltungen, wie zum Beispiel die Fußball-EM. Im Zusammenhang mit Spielen in Kopenhagen und St. Petersburg sind nach Angaben von Behörden und Medien bereits dutzende Corona-Infektionen festgestellt worden, darunter auch einige mit der Delta-Variante.

„Die Delta-Variante ist ein gefährliches Virus“, sagte Van Kerkhove und verwies auf die höhere Ansteckungsgefahr. Zwar würden Gesundheitsmaßnahmen, Impfungen und Behandlungen gut gegen Delta wirken, aber nach weiteren Mutationen könnte ein Punkt erreicht werden, an dem all diese Maßnahmen nicht mehr ausreichen, warnte die Epidemiologin. Trotz sinkender Infektionszahlen und fallender Beschränkungen sollten Menschen in Europa vorsichtig mit ihren neuen Freiheiten umgehen: „Es gibt viele Dinge, die wir alle tun wollen, aber es gibt nicht viele Dinge, die wir auch wirklich tun müssen.“ Auch die Ärztekammer fordert nicht zuletzt deshalb eine „strengere Einhaltung und Kontrollen“ der „3G-Regel“. Die Ärzteschaft in Wien beobachte mit Sorge einen relativ sorglosen Umgang mit dieser Regel, warnte Präsident Thomas Szekeres am Dienstag in einer Aussendung. Er berichtet von Beobachtungen vieler Ärzte aus deren Alltag, dass überall dort, wo eine Test- oder Impfnachweispflicht besteht, „sehr oft gar nicht danach gefragt wird“. Für den Fall, dass das im Tourismus nicht funktionieren sollte, fordert Szekeres strengere Kontrollen der Betriebe, um die Bevölkerung entsprechend zu schützen. Die EU-Kommission fordert indes die EU-Staaten auf, deutlich mehr zu tun als bisher. „Für die Ungeimpften und nur teilweise Geimpften ist die Delta-Variante eine echte Bedrohung“, sagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides der Tageszeitung „Welt“. Solange nicht mehr Menschen ihre zweite Impfung erhalten hätten, müsse alles getan werden, um die Übertragungskette der Delta-Variante zu unterbrechen.

Experten verweisen auch auf den einstigen Impfvorreiter Israel, das trotz hoher Impfzahlen mit der Delta-Variante kämpft. Seit rund einer Woche steigen die Zahlen der registrierten Neuinfektionen in dem Mittelmeerland deutlich an. Viele haben sich dabei mit der aggressiveren Delta-Variante angesteckt. Das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie im deutschen Bremen zeigte sich angesichts der Entwicklung in Israel am Wochenende beunruhigt. Es sei „besorgniserregend“, wenn trotz der hohen Impfquote „mit einem sehr gut wirksamen Impfstoff wieder Ausbrüche stattfinden“, sagte der Epidemiologe Hajo Zeeb. Noch Mitte Juni wurden in Israel Corona-Neuinfektionen landesweit nur noch im einstelligen Bereich registriert. Die Regierung schaffte darauf fast alle Einschränkungen ab. Für viele Israelis fühlte es sich an, als gehöre die Corona-Pandemie der Vergangenheit an. Doch vor rund einer Woche wurden erstmals seit April wieder mehr als 100 Neuinfektionen pro Tag nachgewiesen. Am Donnerstag stieg die gemeldete Zahl auf 227. Nach Untersuchungen des israelischen Gesundheitsministeriums haben rund 90 Prozent der Neuinfizierten die aggressivere Delta-Variante – und rund die Hälfte ist geimpft. Die meisten der Infizierten sind Kinder. Am Freitag führte die Regierung schließlich wieder die Maskenpflicht in geschlossenen Räumen ein. (red)