Experten warnen vor Delta-Variante, Kanzler beruhigt

(c) Bernhard Noll / ÖÄK

„Wir laufen Gefahr, die Fehler des vergangenen Sommers exakt zu wiederholen“, hat Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, am Samstag gewarnt. Er fordert eine einheitliche Impfstrategie in den Ländern.

Im vergangenen Sommer hätten die politisch Verantwortlichen gedacht, das Virus sei nun einfach verschwunden, warnt Szekeres. Dann kam die nächste Welle. Der einzige Unterschied sei, dass es nun Impfstoffe gibt. „Diese müssen wir nun dringend kaufen und schnell verimpfen.“ Vor allem angesichts der Delta-Variante des Coronavirus sei das wichtiger denn je – denn bei dieser Variante brauche es für einen effektiven Schutz das vollständig erfüllte Impfschema, meint der Ärztekammerpräsident. Derzeit habe aber fast die Hälfte der impfbaren Bevölkerung noch nicht einmal einen Stich erhalten hat und sei völlig ungeimpft. „Das Impftempo muss dringend erhöht werden und die Organisation muss verbessert werden.“ Er könne auch nicht verstehen, warum der Bundeskanzler schon jetzt eine Million Impfdosen an das Ausland verschenke.

Derzeit gebe es in den neun Bundesländern neun unterschiedliche Impfstrategien und unterschiedliche Tempi. „Daher hinken einzelne Bundesländer bei der Durchimpfungsrate nach – beispielsweise Wien, wo man offensichtlich großes Misstrauen gegen die eigenen Hausärztinnen und Hausärzte hegt. Anders ist die mangelnde Versorgung der niedergelassenen Ärzte, die ihre riesige Impfbereitschaft jederzeit unter Beweis gestellt haben, nicht zu erklären“, meinte Szekeres. Die aktuellen Öffnungen seien zu begrüßen – „sie sind ein Zeichen für die Erfolge, die wir gemeinsam im Kampf gegen die Pandemie erreicht haben und die Bevölkerung hat sich diese Erleichterungen verdient“. Aber wenn man keine Strategie hinter den Öffnungen verfolge, dann kehre der Lockdown schneller zurück, als wir uns aktuell vorstellen können.

Die Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) hat in der Corona-Pandemie Stärken aber auch Schwächen auf den heimischen Intensivstationen ausgemacht. In einem Positionspapier fordern die Fachärzte nun anlässlich des Tags der Intensivmedizin am Sonntag, 20. Juni, Lehren aus der Krise zu ziehen. Die Gesundheitsplanung müsse aufgrund einer sich ändernden Patientenstruktur abgesichert, Arbeitsbedingungen attraktiv gestaltet und Daten verstärkt genutzt werden. Die Herausforderungen der Pandemie habe auch die Notwendigkeit deutlich gemacht, im Krisenfall zusätzliche Personalreserven für die Intensivversorgung mobilisieren zu können, zum Beispiel ärztliches Pflegepersonal aus dem Bereich Anästhesie. „Hier bewährt sich das österreichische Modell, ärztliches Personal in der Intensivmedizin auf der Basis eines Grundlagenfaches wie Anästhesie oder Innerer Medizin auszubilden, statt im Rahmen einer eigenen Facharztausbildung“, betonte Eva Schaden von der MedUni Wien/AKH. Die pflegerischen Spezialausbildungen in Anästhesie- und Intensivpflege sollten aus Sicht der ÖGARI zumindest in Teilbereichen über ein gemeinsames theoretisches und praktisches Curriculum verfügen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) weist die Kritik zurück. Die Pandemie finde in Wellen mit saisonalen Höhepunkten statt, die steigenden Zahlen im Herbst hätten nichts mit dem Sozialverhalten der Menschen im Juli zu tun. Dazu komme, dass mit Ende des Sommers vermutlich zwei Drittel der Bevölkerung geimpft sein werde, dadurch sei Österreich „sehr gut vorbereitet für die nächste Welle“. Die deutlich ansteckendere Delta-Variante müsse man genau beobachten. „Aber es besteht überhaupt kein Grund zur Panik“, so Kurz. Erst Donnerstag hatte die Bundesregierung Erleichterungen bei der Maskenpflicht angekündigt. In oe24.tv stellte Kurz am Sonntag auch ein Ende der Maskenpflicht in Handel und Öffis in Aussicht. Bis 22. Juli werde auf jeden Fall in Handel und öffentlichen Verkehrsmitteln Mund-Nasen-Schutz zu tragen sein. Wenn die Situation sich weiterhin gut entwickle, werde es aber auch hier weitere Erleichterungen geben. „Wenn möglich, dann werden wir auch dort reduzieren.“ Anders als in Asien sei die Maske in europäischen Ländern kein Teil der Kultur. „Die Maske soll kein Dauerzustand werden.“ (red/APA)