Forscher rufen zu europäischer Corona-Koordination auf

Angesichts der in den meisten Ländern unklaren Verbreitung der gemeinhin als ansteckender angesehenen neuen SARS-CoV-2-Varianten fordert eine Gruppe europäischer Wissenschafter einen übergreifenden Eindämmungsplan für den Kontinent.

Bei einem im Fachblatt „The Lancet“ erschienenen Aufruf handelt sich um ein Update eines Vorstoßes im Dezember. Österreichische Ko-Autoren warnten u.a. davor, dass der Anstieg der britischen Variante leicht übersehen werden könnte. Noch wisse man nicht gesichert, um wie viel ansteckender die neuen Mutationscluster aus Großbritannien und Südafrika (B.1.1.7 und B1.35) tatsächlich sind, so die Mitinitiatoren der Veröffentlichung. Erste Schätzungen von einer bis zu 70 Prozent höheren Infektiösität müsse man glücklicherweise vermutlich nach unten korrigieren. Neue Erkenntnisse würden bei B.1.1.7 eher in Richtung 30 bis 35 Prozent Erhöhung weisen, sagten Peter Klimek vom Complexity Science Hub Vienna (CSH) und der Medizinischen Universität Wien und Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien.

Letzterer verwies vor Journalisten darauf, dass in Österreich und in Gesamteuropa viele drohende Entwicklungen in der Pandemie schlichtweg nicht erstgenommen wurden, wie etwa die Vorbereitung auf den Winter und das lange Leugnen weiterer Lockdowns. Daher weise die wissenschaftliche Gemeinde nun eindringlich darauf hin, dass die neuen Varianten problematisch sind. Es stellten sich nämlich auch Fragen dazu, ob diese dem Immunsystem besser entkommen. Bei einer um rund 30 Prozent höherer Übertragungsrate sei eine exponentielle Entwicklung der Neuansteckungen „wesentlich wahrscheinlicher“. Steige dadurch die Reproduktionszahl (R) von in etwa eins auf rund 1,4 sei dies „schwer zu beherrschen“, sagte Czypionka.

Mitentscheidend sei, wie hoch die Verbreitung hierzulande und in Kontinentaleuropa schon ist, denn davon hängt stark ab, wann Effekte in den Infektionszahlen zu erwarten sind, so die Wissenschafter. Trotz gesteigerter Anstrengungen bei deren Identifizierung habe man in Österreich und vielen anderen Staaten nun „wie so oft in der Pandemie eine Datenproblematik“. Die Genomsequenzierungen gebe es hierzulande nur wegen den Initiativen von Einzelpersonen und Forschungseinrichtungen. Würden nicht andere Länder, wie Großbritannien oder Dänemark in der Viren-Variantenanalyse so viel tun, „wäre Österreich de facto blind gewesen“, betonten der IHS-Forscher und Klimek. Es sei tatsächlich keine Frage ob, sondern wann sich die neuen Stämme durchsetzen, die dann mehr Verbreitungspotenzial haben, betonte Klimek. Einerseits drückt der verlängerte Lockdown die Zahlen glücklicherweise insgesamt, trotzdem könnte sich B.1.1.7 bereits exponentiell verbreiten, ohne dass es in den unmittelbaren Zahlen abzusehen ist. „Dann geht das durch die Decke“, so der Komplexitätsforscher, der hier ein „grundlegendes Problem“ sieht, „auf das wir uns bereit machen müssen“. (red/APA)

Website der Initiative: https://containcovid-pan.eu/