Immer mehr Warnungen vor Wiederholung von Corona-Fehlern

Vor der Wiederholung von Fehlern im vergangenen Sommer und Herbst warnen Wissenschafter in einer Prognose im Fachjournal „The Lancet Regional Health Europe“. Andere Stimmen fürchten sogar einen „düsteren“ Corona-Herbst.

Europäische Experten – darunter auch bekannte Personen aus Österreich – versuchen sich in einem Fachartikel an einem mittelfristigen Corona-Ausblick. Sie betonen die Möglichkeit von größeren Wellen ab Herbst, wenn auf Eindämmungsmaßnahmen verzichtet, die Impfquoten nicht erhöht und es kein europaweit abgestimmtes Vorgehen gibt. Aus Österreich finden sich mit Peter Klimek vom Complexity Science Hub Vienna (CSH) und der Medizinischen Universität Wien, Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS), der Politikwissenschafterin Barbara Prainsack von der Universität Wien sowie der Epidemiologin Eva Schernhammer von der MedUni Wien und der Harvard Medical School (USA) namhafte Vertreter unter den Autoren. Die Basis bilden Überlegungen zur Immunität durch den Impfschutz, zu weiteren Virusmutationen sowie zur Einstellung und Bereitschaft in Europas Bevölkerung, nicht-pharmazeutische Maßnahmen weiter mitzutragen.

Für Klimek ist klar, dass wir uns mit Impfungen bis zum Erreichen einer mittlerweile vielfach als unrealistisch eingestuften Herdenimmunität alleine die Pandemie nicht vom Hals schaffen können. Es brauche aller Voraussicht nach auch weiter Maßnahmen zur Eindämmung, wie gute Risikokommunikation und das Testen, Tracen und Isolieren (TTI). Man gehe allerdings nicht davon aus, „dass wir jeden Winter Lockdowns brauchen werden“, betonte Klimek im Gespräch mit der APA. Die Pandemie werde uns jedoch weiter vor Herausforderungen stellen, da einer der einhelligen Punkte unter den an der Arbeit beteiligten Experten war, „dass wir es nicht mehr schaffen werden, das Virus auszulöschen“. Daher brauche es möglichst niedrige Fallzahlen und europaweit „eine klare, evidenzbasierte und kontextrelevante Strategie sowie konzertierte Anstrengungen und Maßnahmen“, so die Experten. Die Impfung spielt die zentrale Rolle in der Überlegung der Wissenschafter. Nur so gelinge es, die Risikogruppen und das Gesundheitssystem zu schützen. Bei der Diskussion über die laut den Experten voraussichtlich notwendige Wiedereinführung und Aufrechterhaltung von Eindämmungsmaßnahmen, müsse auch darüber nachgedacht werden, wie unterschiedlich Geimpfte und Nicht-Geimpfte behandelt werden.

Gehen die aktuellen Fallzahlen weiter nach oben, werde es die Aufgabe der Regierungen sein, die Fehler des vergangenen Herbstes und Winters nicht zu wiederholen. Die Erfahrung lehre, „dass die Wiedereinführung der notwendigen Gesundheitsmaßnahmen zu spät kommen könnte, um eine weitere Welle im Herbst erfolgreich zu verhindern“, warnen die Wissenschafter. Für Klimek gilt „leider nach wie vor, dass wir auf europäischer Ebene relativ unkoordiniert vorgehen. Da haben wir die Lehren nicht gezogen“.

Angesichts eines im Vergleich zum vergangenen Sommer deutlich höheren Infektionsgeschehen blickt auch der Vorstand der Universitätsklinik für klinische Pharmakologie der Medizin-Uni Wien, Markus Zeitlinger, „düster“ in Richtung Herbst. Dass nun die Dynamik bei den Covid-19-Impfungen stark abnimmt sei „furchtbar“, so der Internist, der befürchtet, dass im Herbst nicht nur ungeimpfte Personen unter der Covid-19-Situation leiden werden. Mit Blick auf die nun stockende Impfkampagne ernte man nun offenbar „die Zweifel, die von bestimmten politischen und pseudowissenschaftlichen Lagern, gesät wurden“. Gleichzeitig liegen die Infektionszahlen aktuell über jenen im Sommer 2020. „Das macht es gefährlicher, weil wir schneller auf einem unangenehmen Level sind, was Spitalsauslastungen betrifft. Hier muss man darauf gefasst sein, das noch genauer im Auge zu behalten“, und dann gegebenenfalls mit Eindämmungsmaßnahmen gegensteuern. Es sei klar, dass das SARS-CoV-2-Virus im Herbst und Winter zum überwiegenden Teil in der ungeimpften Bevölkerung zirkulieren wird.

Dass es zu einem weiteren Lockdown kommen wird, erwartet Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres hingegen nicht. Auch er rechnet aber in jedem Fall mit Eindämmungsmaßnahmen und prognostiziert wieder eine Maskenpflicht in manchen Bereichen, sagt er im RELATUS-Gespräch. Das sei eine einfache und effektive Maßnahme – „im Spital haben wir auch jetzt weiterhin eine Maskenpflicht, obwohl das Personal geimpft ist.“ (red)

Website der Initiative: https://containcovid-pan.eu/

Artikel in „The Lancet Regional Health Europe“ https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2666776221001629?via%3Dihub