Lockdown: So erklären Experten die Sorge um Intensivkapazitäten

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Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und mehrere Experten erklärten am Montag die medizinischen und epidemiologischen Hintergründe für den Lockdown. Und sie riefen die Menschen auf, die Maßnahmen mitzutragen.

Angesichts einer dramatischen Zunahme von COVID-19-Fällen, die in den Spitälern intensivmedizinisch betreut werden müssen, haben Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und mehrere Experten Alarm geschlagen. Sie appellierten an die Bevölkerung, die mit Dienstag in Kraft tretenden Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus zu beachten und im Alltag umzusetzen. Binnen einer Woche war demnach ein Anstieg um 62 % bei den COVID-19-Patienten in den Spitälern zu verzeichnen. Auf den Intensivstationen machte das Plus sogar 78 % aus, wie Anschober darlegte. Sollte diese Entwicklung anhalten, könnte es im intensivmedizinischen Bereich kritisch werden, warnte Anschober. „Dann steuern wir auf eine erhebliche Krisensituation zu.“ Er gehe davon aus, dass die Zahlen was die Neuinfektionen betrifft „in dieser Woche deutlich steigen werden“.

Ohne wirksame Gegenmaßnahmen sei das heimische Gesundheitssystem in Gefahr, meinte Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH. Sollten die Neuinfektionen und die effektive Reproduktionszahl nicht gedrückt und das Infektionsgeschehen nicht eingebremst werden, „wird unser Gesundheitssystem relativ rasch an seine Kapazitätsgrenzen stoßen“. Von hundert mit SARS-CoV-2-Infizierten benötigen laut Statistik fünf ein Spitalsbett, ein Patient muss intensivmedizinisch betreut werden. Die eklatante Zunahme von Neuinfektionen sei „ein Problem, wenn man bestmögliche Betreuung liefern möchte“, gab Klaus Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) zu bedenken: „Die Ressourcen sind endlich“. Man werde in der Lage sein, „den sich jetzt abzeichnenden Peak ohne Triage“ zu bewältigen, aber die „dynamische Entwicklung“ des aktuellen Infektionsgeschehens müsse unbedingt eingedämmt werden, betonte Markstaller.

Der Infektiologe Herwig Kollaritsch, der auch der Corona-Taskforce des Gesundheitsministeriums angehört, appellierte an die Bevölkerung, die Sozialkontakte jetzt „drastisch einzuschränken“. Von einem Impfstoff könne man sich keine Wunderdinge erwarten, dämpfte Kollaritsch die Hoffnung, ein solcher könnte die Pandemie zügig beenden. Nur mit einem transmissionsblockierenden Impfstoff, mit dem die Bevölkerung breit durchgeimpft wird, sei Herdenimmunität zu erreichen. Er rechne damit, dass es im ersten Quartal 2021 einen oder mehrere Impfstoffe mit unterschiedlichen Baustrukturen und Eigenschaften geben wird, die gezielt eingesetzt werden können, bemerkte Kollaritsch. Nicht für jedermann sei damit Impfschutz zu erzielen: „Wir sind schon glücklich, wenn wir damit 70 Prozent der Bevölkerung erreichen.“ Wichtig sei es daher, „auf Monate, vielleicht viele Monate“ die Schutzmaßnahmen – das Tragen von Mund-Nasen-Schutz, das Beachten des Mindestabstands zum Nächsten und das Reduzieren von Sozialkontakten – beizubehalten. Das sei so lange ein Muss, „bis wir sagen können: Brand aus“, betonte der Infektiologe.

Dem schloss sich die Virologin Monika Redlberger-Fritz an. Sie erklärte, dass in der heimischen Bevölkerung SARS-CoV-2 seit zwei Wochen verstärkt nachweisbar ist. Es gebe eine „immense Grundzirkulation in der Bevölkerung“. Seit dem Frühjahr werden im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung bei Personen, die Symptome in Richtung eines Virenbefalls zeigen – dabei muss es sich nicht zwangsläufig um SARS-CoV-2 handeln – stichprobenartig Abstriche gemacht. War vor einigen Monaten noch bei fünf von 100 Personen das Coronavirus nachweisbar, ist dieser Wert in der vorletzten Woche auf 21 von 100, in der vergangenen Woche auf 40 gestiegen. „Eine exponentielle Steigerung“, warnte Redlberger-Fritz. (red/APA)