Neurologische Komplikationen bei Covid-19

Im Rahmen des 12. Landsteiner Tages berichteten Experten verschiedener Disziplinen über den Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die medizinische Forschung. Einen Einblick auf die neurologische Pathophysiologie von SARS-CoV-2 lieferte Prim. Univ.-Prof. Dr. Mag. Eugen Trinka, FRCP, Vorstand der Abteilung für Neurologie, neurologische Intensivmedizin und Neurorehabilitation am Uniklinikum Salzburg.

SARS-CoV-2 gehört zur großen Familie der Coronaviren, der auch das 2012 ausgebrochene MERS angehört. MERS zeichnete sich durch eine hohe Mortalitätsrate als auch durch ein hohes Risiko für künstliche Beatmung aus.1 Auch bei SARS-CoV-2 müssen Mortalitätsraten und das Ventilationsrisiko immer wieder beim Auftreten neuer besorgniserregender Virusvarianten evaluiert werden. Neben dem Lungenbefall können Coronaviren aber auch andere Organe wie das Nervensystem infizieren.2 Diese neurotropen Eigenschaften führen zu neurologischen Symptomen wie Geruchs- und Geschmacksverlust, Schwindel und Kopfschmerzen, die bei einem Drittel der Covid-19-Patienten auftreten.3 Etwa 5 % der Patienten entwickeln in der akuten Phase Schlaganfälle.

Die von Covid-19 ausgelösten neurologischen Symptome entstehen auf mehreren Ebenen.4 Bei der direkten Invasion des Nervensystems kann eine Vaskulitis entstehen, wodurch Gerinnungskaskaden aktiviert werden. Dies führt wiederum zu weiteren Komplikationen wie Schlaganfall, Enzephalitis oder direkte Schäden in der Muskulatur. Eine Meta-Analyse zeigt, dass SARS-CoV-2-infizierte Patienten ein 3-fach erhöhtes Schlaganfallsrisiko aufweisen.5 Weiters führt der ZNS-Befall zu Anosmien und Dysgeusien, wobei sich die Anosmie einer Covid-19-Erkrankung neurologisch von einem typischen Geruchsverlust aufgrund von Schnupfen deutlich unterscheidet: SARS-COV-2 befällt sowohl Bulbus olfactorius als auch Nervus olfactorius, weshalb der Geruchsverlust länger anhält.6 Aber neben der direkten Invasion des Nervensystems werden auch post-infektiöse Immun-mediierte Komplikationen beobachtet: dazu zählen Enzephalitis, Enzephalopathie und Guillain-Barré-Syndrom (GBS), aber auch akute nekrotisierende Enzephalitis oder akute demyelinisierende Enzephalomyelitis wurden beschrieben.4 Auf oberster Ebene stehen die mit der Lungenerkrankung einhergehenden Komplikationen: Hyperinflammation, Multiorganversagen und Hyperkoagulabilität, welche wiederum neurologisch in Enzephalitis, Enzephalopathie und Schlaganfällen resultieren.

Eine weitere und auf mehreren Ebenen betroffene neurologische Komplikation ist der lebensbedrohliche Status epilepticus (SE). Eine Umfrage zeigte, dass es im Bereich der klinischen Epilepsie-Forschung während der Pandemie zu massiven Umstrukturierungen bei Forschungsprojekten kam, welche sich auf die zukünftige Epilepsieforschung auswirken.7 Beim Patienten selbst konnte auf nationaler Ebene im Vergleich zu den Vorjahren glücklicherweise kein Rückgang an SE-Aufnahmen beobachtet werden.8 Auf internationaler Ebene zeichnet sich allerdings ein anderes Bild ab: eine Umfrage während der Pandemie zeigte, dass 22,8 % der Epilepsie-Patienten (PWE) und 27,5 % der Pflegekräfte (CG) einen Anstieg in der Frequenz der epileptischen Anfälle registrierte.9 Hinzu kam ein massiver Stressanstieg (57,1 % bei PWE und 21,5 % CG). Gleichzeitig wurden aber in Europa Ressourcen wie Video-EEGs (Elektroenzephalographie) heruntergefahren, obwohl der Bedarf für diese Untersuchungen weiterhin vorhanden war.10

Fazit: SARS-CoV-2 ist ein neurotropes Virus, das durch seine Infiltration ins Nervengewebe akute und chronische neurologische Komplikationen auslöst. Die Symptome reichen von Geruchsverlust bis hin zu Schlaganfällen oder Entmarkungskrankheiten. Daneben müssen aber auch die übergeordneten Konsequenzen der Pandemie betrachtet werden: Restriktionen bei der klinischen Forschung oder notwendigen Untersuchungen treffen den Patienten indirekt. Redaktion: David Roula, PhD

Quelle: Vortrag „SARS-CoV-2: Ein neurotroper Virus – Erfahrung aus der Neurologie“ von Prim. Univ.-Prof. Dr. Mag. Eugen Trinka, FRCP im Rahmen des 12. Landsteiner Tags, 16. November 2021

Literatur

  1. Wang C et al., Lancet 2020; 395(10223): 470–473
  2. Bohmwald K et al., Front Cell Neurosci 2018; 12: 386
  3. Mao L et al., JAMA Neurol 2020; 77(6): 683–690
  4. Pezzini A et al., Nat Rev Neurol 2020; 16(11): 636–644
  5. Katsanos AH et al., Ann Neurol 2021; 89(2): 380-388
  6. Zubair AS et al., JAMA Neurol 2020; 77(8): 1018–1027
  7. Volkers N et al., Epilepsia Open 2021; 6(2): 255–265
  8. Leitinger M et al., Epilepsia 2020; 61(12): e198–e203
  9. Cross JH et al., Epilepsia 2021; 62(10): 2322–2332
  10. Krysl D et al., Epileptic Disord 2020; 22(5): 548–554