Politik versus Wissenschaft: Das ist der Stand zum AstraZeneca-Impfstoff

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Während international zahlreiche Regierungen Impfungen mit dem Impfstoff von AstraZeneca gestoppt haben, kommen von der WHO, der EMA und Wissenschaftern Entwarnungen. Thrombosen seien extrem unwahrscheinlich.

Das Aussetzen von Impfungen mit dem Produkt von AstraZeneca in verschiedenen Ländern ist aus Sicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) noch kein Alarmzeichen. Die berichteten Vorfälle seien nicht notwendigerweise auf das Impfen zurückzuführen, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus in Genf. „Es ist eine Routine-Praxis, das zu untersuchen.“ Außerdem zeige es, dass das Überwachungssystem funktioniere und wirksame Kontrollen stattfänden, betonte der WHO-Chef. Eine WHO-Fachgruppe zur Impfstoffsicherheit analysiere die Daten und werde sich mit Vertretern der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) beraten. Die will bis Donnerstag einen Bericht vorlegen, zeigt sich aber nicht alarmiert.

Österreich trotzt nicht zuletzt deshalb dem europäischen Trend und wird weiter mit dem Vakzin von AstraZeneca impfen. Eine entsprechende vorläufige Empfehlung sprach am Montagabend auch das Nationale Impfgremium (NIG) aus. Die bis jetzt eingelangten Meldungen vermuteter Nebenwirkungen diverser europäischer Länder seien derzeit noch inkomplett und schwer vergleichbar, sodass sich keine zusammenfassende Aussage oder eindeutigen Schlüsse tätigen ließen, schreibt das Gremium. Für die Leiterin der Impfabteilung im Gesundheitsministerium Maria Paulke-Korinek und zahlreiche Experten hat der Impfstoff ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) verwies auf die EMA: Von ihr stamme die Prüfung der Marktzulassung der Corona-Schutzimpfung durch AstraZeneca. „Hier bündelt sich das Detailwissen über die Impfstoffe. Bei der EMA laufen alle Informationen über Nebenwirkungen zusammen“, sagte Anschober. Daher brauche es jetzt eine klare Entscheidung und Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur. „Wir haben uns bei den Impfungen auf ein gemeinsames europäisches Vorgehen geeinigt. Nationale Einzelgänge sind in diesem Zusammenhang weder effektiv noch vertrauensbildend“, sagte der Ressortchef. „Wenn derart weitreichende Entscheidungen getroffen werden, müssen diese durch fundierte Daten und Fakten eindeutig belegt sein und am besten durch die dafür zuständige EMA empfohlen werden.“

Das Pharmaunternehmen AstraZeneca wollte in einer Aussendung vor dem Hintergrund der jüngsten Berichte im Zusammenhang mit thrombotischen Ereignissen deutlich machen, „dass der Covid-19-Impfstoff gemäß eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen sicher ist“. „Die Sicherheit ist von höchster Bedeutung und das Unternehmen überwacht kontinuierlich die Sicherheit seines Impfstoffes“, hieß es. Nach den bisher vorliegenden Daten gebe es keine Häufung schwerwiegender medizinischer Vorfälle, hieß es von der WHO. „Bisher haben wir keine Verbindung zwischen den Ereignissen und den Impfungen gefunden“, sagte WHO-Expertin Soumya Swaminathan. Unter den weltweit bisher verabreichten 300 Millionen Impfdosen verschiedener Hersteller gebe es bisher keinen dokumentierten Fall eines kausalen Zusammenhangs mit tödlichen Vorfällen. Der Vorteil einer Impfung überwiege nach aktuellem Stand das Risiko bei weitem.

Tausende Menschen in der EU entwickeln jährlich Blutgerinnsel, aus den unterschiedlichsten Gründen. Die Anzahl solcher Vorfälle unter Corona-geimpften Personen scheine nicht höher als in der Bevölkerung allgemein, hält die EMA bisher zur Debatte um Todesfälle nach Impfungen mit der AstraZeneca-Vakzine fest. In Großbritannien, wo schon rund elf Millionen Menschen damit geimpft wurden, gab es laut Behörden keine Auffälligkeiten. Die Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA), die britische medizinische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel, gab ebenfalls Entwarnung. Laut den bis dato vorliegenden Daten zur Covid-19-Impfkampagne, über die die Tageszeitung „Guardian“ berichtete, wurden bis Ende Februar mehr Blutgerinnsel nach Impfungen mit der Biontech/Pfizer-Vakine (38) gemeldet als nach Impfungen mit der Vakzine von Astrazeneca (30), und in beiden Fällen sei die Anzahl nicht höher gewesen, als in der Bevölkerung allgemein zu erwarten gewesen sei. „Solche Berichte sind keine bestätigten Nebenwirkungen des Impfstoffs“, sagte ein MHRA-Sprecher. „Blutgerinnsel können auf natürliche Weise entstehen und sind nicht selten.“

„So weit wir wissen, gibt es keine belastbaren Beweise für einen Anstieg von thromboembolischen Ereignissen wie Blutgerinnseln unter Menschen, die im Vereinigten Königreich geimpft worden sind“, sagte auch Andrew Goddard, Präsident des Royal College of Physicians, einem Ärzteverband und Institut mit Sitz in London, dem „Guardian“. Es gebe hingegen sehr wohl Daten, die nahelegen würden, dass Krankenhauspatienten mit Covid-19 ein weit höheres Risiko für Blutgerinnsel hätten als die Restbevölkerung. Ähnliche Aussagen gab es auch von Experten aus Österreich. Die Wahrscheinlichkeit an der Impfung aufgrund einer Thrombose zu versterben liege etwa bei 2 zu einer Million. Die Zahl liegt damit nicht nur unter dem generellen Risiko einer Thromboembolie, sondern auch um ein Vielfaches unter der Thromboembolie-Häufigkeit bei Covid-19-Erkrankungen. In Österreich wurden bisher im Zusammenhang mit einer Corona-Impfung sechs Fälle von Thrombosen gemeldet. Zum Vergleich: in Österreich versterben jährlich 1.600 bis 2.700 Personen an einer Thromboembolie. Die Europäische Arzneimittelagentur hält nicht zuletzt deshalb den Nutzen des Corona-Impfstoffs von AstraZeneca bis zum Abschluss der laufenden Untersuchungen für größer als die Gefahren. (rüm/ag)