Wann beginnt die Infektiosität?

Was weiß man über die Übertragungswege? Wie lange vor Symptombeginn ist man tatsächlich infektiös? Kann das Virus auch von noch asymptomatischen Patienten übertragen werden? Und was genau ist asymptomatisch?

 

Als wahrscheinlichster Weg der Übertragung gilt die Tröpfcheninfektion. Was weiß man zur Übertragung?

Ähnlich wie bei anderen respiratorischen Infekten ist von Tröpfchen, die über 5 Mikrometer groß sind, auszugehen. Diese sinken nach etwa 1 bis 1,5 Meter in der Luft ab. Man nimmt an, dass die Übertragung primär und am allerhäufigsten nach diesem Prinzip erfolgt. Bis jetzt wurde noch keine aerogene Übertragung über weitere Distanzen wie bei SARS über die Luft nachgewiesen. Das scheint hier also nicht der Fall zu sein.

Der zweite Weg ist jedoch die Schmierinfektion. Wenn sich jemand beispielsweise in die Hand hustet oder niest oder mit dem Expektorat Oberflächen kontaminiert, können Viren durch Händeschütteln oder Hand-Kontakt mit solchen Oberflächen  übertragen werden – das hängt jedoch immer von der Virusdichte und deren Vitalität ab.

Wie lang nimmt man an, dass das Virus auf Oberflächen persistiert?

Wahrscheinlich einige Stunden, das hängt natürlich von der Oberflächenbeschaffenheit ab.

Weiß man schon etwas über die minimal infektiöse Dosis (MID)?

Nein, das weiß man noch nicht. Entsprechend den offiziellen Angaben des ECDC ist von einer längeren Exposition von 15 Minuten auszugehen. Es braucht also offenbar eine gewisse Zahl von Viren, um die Infektion zu übertragen. Die MID ist daher wahrscheinlich deutlich höher als etwa bei einer Noroviren-Infektion, aber wie hoch die MID tatsächlich ist, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzen.

Von welcher Ansteckungsrate ist auszugehen?

Auch bezüglich der Ansteckungsrate scheint die Intensität des Kontaktes eine Rolle zu spielen. Die beiden ersten Tiroler-Patienten sind, wie sich herausstellte, wie sie schon kränklich waren, am Vortag der Diagnose auch mit einer Gondelbahn gefahren, ohne dass es zu Sekundärinfektionen kam. Diese kurzen Kontakte waren offenbar nicht ausreichend, um andere zu infizieren.

Man geht also von einer höheren notwendigen Virusdichte aus?

Man braucht eine gewisse Expositionszeit, was dafür spricht, dass eine gewisse Viruszahl notwendig ist, um krank zu werden. Und dann kommt natürlich das Immunsystem ins Spiel. Ist es besser, hält man vermutlich mehr aus, bei immungeschwächten Personen reicht wahrscheinlich eine kleinere Virusmenge, um zur Infektion zu führen….

Von welcher Eintrittspforte ist auszugehen? Hier wird auch die Bindehaut immer wieder genannt?

Man geht davon aus, dass es primär das Respirationsepithel ist. Auch bei Influenza gibt es Hinweise, dass die Übertragung auch über die Augen erfolgt, deshalb sind auch Schutzbrillen Teil der Schutzausrüstung. Aber ob das tatsächlich ein Infektionsweg bei COVID-19 ist, weiß man momentan nicht.

Wie lange vor Symptombeginn ist man schon infektiös? Es heißt meist 1 oder auch 2 Tage. Wie beurteilen Sie das?

Das ist schwierig zu sagen. Diese Frage kann eigentlich erst mit Reihenuntersuchungen beantwortet werden. Das Robert-Koch-Institut spricht von einem Tag, auch in der Schweiz gilt ein Tag bis maximal zwei Tage.

Das ist natürlich eine relevante Frage für die Surveillance. Wird heute jemand positiv getestet und war am Vortag noch mit jemandem zusammen, hat er das Virus vielleicht schon ausgeschieden. Es ist unklar, welche Virenmenge tatsächlich ausreichend ist, um andere zu infizieren.

Haben denn alle Patienten Symptome?

Man glaubt, dass die meisten Betroffenen Symptome haben. Von den symptomatischen Patienten, die ein Krankenhaus in China aufsuchten, hatten 98% auch Fieber. Bei solchen symptomatischen Patienten sind auch hohe Virusmengen in den Nasen- oder Rachenschleimhäuten nachweisbar.

Was wir nicht wissen, ist jedoch, wie groß der „Eisberg“ darunter ist: Patienten, die vielleicht Carrier sind und nur minimale Beschwerden haben, die sie gar nicht als Erkrankung wahrnehmen, vielleicht als Symptome nur ein bisschen Hals- oder Kopfweh. Die Zahl solcher Asymptomatischer kann eigentlich nur durch eine systematische Untersuchung oder ein populationsbasiertes Screening mittels Serologie im Verlauf herausgefunden werden.

Kann man ihrer Meinung nach dann asymptomatisch übertragen?

Es ist die Frage, was der Begriff asymptomatisch besagt.

Das könnte ja jemand sein, der ein gutes Immunsystem hat und mit den Viren fertig wird, und wo vielleicht ein bisschen Virus-RNA da ist, die Virusload aber eine relativ geringe ist. Und bei dem wäre – nach dieser durchaus plausiblen Hypothese – das Übertragungsrisiko geringer als bei jemandem, der symptomatisch ist, und wo sich das Virus schon vermehrt und amplifiziert hat. Aber auch der Asymptomatische entwickelt eine Immunität gegen das Virus und würde dadurch die Herdenimmunität gegen Covid-19 verbessern.

Halten Sie Dauerausscheider für möglich?

Das Virus-RNA ist auch im Harn und Stuhl nachweisbar. Rezente Studien von deutschen Kollegen zeigen, dass es nicht möglich war, aus dem Harn oder Stuhl ein lebensfähiges Virus zu züchten, weshalb dieser Infektionsweg wohl keine wesentliche Bedeutung haben dürfte. Auch in den respiratorischen Epithelien kann man mitunter über einige Tage noch Virus-RNA nachweisen, obwohl kein lebendes Virus mehr vorhanden ist, das heißt es handelt sich hier um die „Virustrümmer“ einer ausgestanden Infektion.

Ob es möglich ist, dass jemand wie beim Zika-Virus über Monate Virus ausscheidet, wird man pro futuro sehen. Aus derzeitiger Sicht ist davon auszugehen, dass jemand, der die Infektion überstanden und damit auch eine Immunität erworben hat, auch keine lebenden Viren mehr ausscheidet.

Vielen Dank für das Gespräch

Das Interview wurde geführt am: 16.3.2020