Der nicht-transplantfähige Patient

Die Erstlinientherapie des Multiplen Myeloms wurde in den letzten Jahren sowohl für transplantable als auch für nicht-transplantable Patienten erfolgreich weiterentwickelt. Die Hochdosis-Chemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation (ASZT) gilt als Goldstandard in der Behandlung fitter, jüngerer Patienten. Bei der Bewertung, ob ein Patient für eine Hochdosistherapie mit ASZT in Frage kommt, ist nicht nur sein chronologisches Alter relevant, sondern sein Gesamtzustand, insbesondere allfällige Komorbiditäten2. Bei nicht transplant-fähigen Patienten ist eine genaue Beurteilung der körperlichen Fitness („fit“, „intermediate fit“ und „frail“) von besonderer Bedeutung, da die Heterogenität in Bezug auf den körperlichen Gesamtzustand bei älteren Patienten weitaus größer als bei jüngeren ist. Weitere Faktoren, die für die Therapiewahl berücksichtigt werden, sind der zytogenetische Risikostatus, Formvarianten der Erkrankung wie extramedulläre Manifestationen, Plasmazellleukämie, Begleitamyloidose, präexistente Neuropathie, Knochenmarkreserve und Nierenfunktion.

Das therapeutische Armamentarium

An therapeutischen Erstlinienoptionen mit I,A-Empfehlung im nicht-transplantablen Setting stehen gemäß aktuell gültiger EHA-ESMO-Guideline Daratumumab/Lenalidomid/Dexamethason (DaraRd), Daratumumab/Bortezomib/Melphalan/Prednison (DaraVMP) und Bortezomib/Lenalidomid/Dexamethason (VRd) zur Verfügung. Sind diese Optionen nicht verfügbar, bieten sich mit Bortezomib/Melphalan/Prednison (VMP) sowie Lenalidomid/Dexamethason (Rd) zwei Alternativen (ebenfalls mit I,A-Empfehlung).1 In Österreich kommt wohl DaraRd häufig zum Einsatz. Ist der Patient sehr fit, könnte man andenken, Daratumumab/Bortezomib/Lenalidomid/Dexamethason (DaraVRd) zu verabreichen – es ist allerdings zu betonen, dass diese Therapie in Europa nicht zugelassen ist und grundsätzlich eine Zulassung immer abzuwarten ist (die Studie DaraVRd vs. VRd bei nicht-transplantablen Patienten läuft, Ergebnisse sind noch ausständig). Bei sehr gebrechlichen Patienten hat sich Rd, aber auch „VRd light“ als effektive Option erwiesen. DaraVMP kommt, trotz Zulassung, kaum noch zur Anwendung, da gegenüber dem VMP-Schema eine gewisse Zurückhaltung besteht. Letzteres liegt am Einnahmeschema (Melphalan + Prednison oral an den Tagen 1–4, Bortezomib i.v. oder s.c. an den Tagen 1, 4, 8, 11, 22, 25, 29, 32) – hierfür (v. a. bei den Tabletten) braucht es eine gewisse Compliance, die bei älteren Patienten nicht immer gegeben ist.

Datenlage

VRd: In der SWOG S0777-Studie (VRd vs. Rd; medianes Follow-up von 84 Monaten) zeigte sich, dass die Addition von Bortezomib zu Lenalidomid und Dexamethason zu einer statistisch signifikanten und klinisch relevanten Verbesserung sowohl des progressionsfreien Überlebens (medianes PFS: 41 vs. 29 Monate; HR = 0,742; p = 0,003) als auch des Gesamtüberlebens (medianes OS: nicht erreicht vs. 69 Monate; HR = 0,708; p = 0,0114) führte.3 Bei gebrechlichen Patienten kommt VRd in modifizierter Form zum Einsatz (VRd lite; Bortezomib wird im Vergleich zum VRd-Schema nur einmal wöchentlich verabreicht). Die Verträglichkeit ist gut, das Outcome vergleichbar mit VRd. Die Gesamtansprechrate (ORR) lag bei 86 %, wobei 66 % der Patienten eine sehr gute partielle Remission (VGPR) oder besser erreichten. Nach einem medianen Nachbeobachtungszeitraum von 30 Monaten, lag das mediane PFS bei 35,1 Monaten, das mediane OS war zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht.4

DaraRd: In der MAIA-Studie wurde die Sicherheit und Wirksamkeit des Tripletts DaraRd gegenüber Rd evaluiert.5 Das rezent publizierte Daten-Update mit einem medianen Follow-up von knapp fünf Jahren (56,2 Monate) zeigte für DaraRd eine signifikante Reduktion des Risikos für Tod um 32 % vs. Rd (HR = 0,68; p = 0,0013), wobei das mediane OS in beiden Therapiearmen noch nicht erreicht wurde (Abb.).

 

 

Das mediane PFS war in der DaraRd-Gruppe zum Zeitpunkt der Auswertung noch nicht erreicht und lag bei 34,4 Monaten für Rd (HR = 0,53; p < 0,0001; Abb.). Die ORR war unter DaraRd 92,9 % und 81,6 % unter Rd (p < 0,0001), die Rate an MRD-negativen Befunden lag bei 31 % bzw. 10 % (p < 0,0001). Es traten keine neuen Sicherheitssignale auf.6 Diese Langzeitdaten untermauern den Einsatz von DaraRd in der Erstlinie als hochwirksame und gut verträgliche Therapie für ältere und fragile Patienten, die nicht für eine ASZT in Frage kommen.

DaraVMP: In der ALCYONE-Studie konnte die Überlegenheit der Kombination von Daratumumab mit VMP im Vergleich zu VMP alleine unter Beweis gestellt werden.7 Nach einem medianen Follow-up von 40,1 Monaten zeigte sich für DaraVMP ein signifikanter OS-Vorteil gegenüber VMP (HR = 0,60; p = 0,0003). Auch hinsichtlich des PFS zeigte DaraVMP vs. VMP eine signifikante Überlegenheit mit einer Hazard Ratio von 0,42 (p < 0,0001).8

Optimale Dauer der Therapie?
Die große Frage von klinischer Relevanz ist die optimale Therapiedauer einer Lenalidomid- oder Daratumumab (oder einer Kombination von beiden)-Erhaltungstherapie. Die Antwort darauf ist ausständig, da entsprechende Studien bis dato fehlen. In den soeben genannten Studien SWOG S0777, MAIA und ALCYONE erfolgte die Verabreichung der jeweiligen Therapie bis zum Progress oder bis zum Auftreten inakzeptabler Toxizität. In der klinischen Praxis zeigt sich, dass der Wunsch nach Beendigung der Behandlung oftmals von den Patienten selbst geäußert wird.

Infektionsprophylaxe

Patienten mit Multiplem Myelom weisen häufig eine eingeschränkte Immunabwehr auf. Diese ist zum Großteil auf myelombedingte Suppression des Immunsystems zurückzuführen, die durch die Nebenwirkungen der anti-Myelom-Therapien noch weiter verstärkt werden kann. Aus diesen Gründen zählen Infektionen immer noch zu den häufigsten nicht Myelom-bedingten Todesursachen.9 Prinzipiell stehen für die Kontrolle von Infektionen mehrere Ansätze zur Verfügung:

  • Prophylaxe durch Impfung
  • Prophylaxe durch antiinfektiöse Medikation (antibakteriell etwa mit Lidaprim, Levofloxacin und antiviral mit Aciclovir, Valganciclovir oder Famciclovir) bzw. Immunglobulinsubstitution
  • Surveillance, Vigilanz und rasches Handeln bei Infektionszeichen


Patienten mit Multiplem Myelom
sollten gegen folgende Infektionserreger geimpft werden: Influenza, Pneumokokken, Herpes Zoster und Haemophilus influenzae. Patienten mit Multiplem Myelom haben auch ein erhöhtes Risiko, an COVID-19 zu erkranken, aber auch für einen protrahierten Verlauf und für eine erhöhte Mortalität. Daraus ergibt sich für diese Patientengruppe eine besondere Dringlichkeit, sich gegen SARS-CoV-2 impfen zu lassen. Leider ist die Impfantwort bei einem beträchtlichen Teil der Patienten suboptimal. Risikofaktoren für eine ungenügende Immunantwort sind unkontrollierte Erkrankung, höheres Lebensalter, Komorbiditäten und Behandlung mit CD38-Antikörper- oder BCMA-gerichteter Therapie.10 Daher sollte bei Myelom-Patienten generell die Impfantwort überprüft werden. Ist diese ungenügend, so sollte eine weitere Booster-Impfung vorgenommen werden. Führt auch eine dritte oder in Zukunft sogar vierte Impfung nicht zum gewünschten Erfolg, so sind die Patienten angehalten, „normale“ Präventionsmaßnahmen wie das Tragen von Masken, soziale Distanzierung etc. besonders zu berücksichtigen. In Kürze werden endlich auch in Österreich monoklonale Anti-Spike-Antikörperpräparate (Ronapreve®, Regdanvimab®) für die Prophylaxe schwerer Verläufe und deren Therapie zur Verfügung stehen. Mit der im kommenden Jahr zu erwartenden Verfügbarkeit der neuen oralen anti-COVID-Nukleosid-Analoga (Lagevrio® und Paxlovid®) sollten schwere Krankheitsverläufe bei mehr als 85 % der Betroffenen verhindert werden können. Sollten die mit diesen Medikamenten bisher in frühen Studien erzielten Ergebnisse auch in der klinischen Praxis reproduzierbar sein, so sollte damit die bisher hohe Mortalität einer COVID-Infektion bei Myelompatienten drastisch verringert werden können.

Eine antibiotische Infektionsprophylaxe (z. B. Levofloxacin) ist bei Patienten, die bereits vor Diagnosestellung bzw. im Erkrankungsverlauf eine erhöhte Infektanfälligkeit aufwiesen, sowie bei multimorbiden und gebrechlichen Patienten in Erwägung zu ziehen. Bei einer Therapie mit Proteasom-Inhibitoren, Daratumumab und auch bei einem langfristigen Einsatz von Kortison sollte während der gesamten Dauer der Therapie eine Herpes-Prophylaxe mit Nukleosidanaloga (Aciclovir, Valaciclovir oder Famciclovir) angedacht werden, da die angeführten Therapeutika zu einer Suppression der T-Zell-Aktivität und damit zu einem erhöhten Risiko für eine Reaktivierung von Herpes- und Varizella-Zoster-Infektionen führen.

Sorgfältige Surveillance empfiehlt sich bei allen Myelompatienten, die unter aktiver Therapie stehen, wobei das Infektionsrisiko bei der Einleitung einer Erstlinienbehandlung am größten ist. Neben dem üblichen Kriterium Fieber sollten Patienten auch nach allfälligem Nachtschweiß und plötzlich auftretender Müdigkeit befragt werden; letztgenannte Symptome sind häufig Indizien für eine akut oder rezent aufgetretene bakterielle oder virale Infektion.


1 Dimopoulos MA et al., Ann Oncol 2021; 32 (3):309-22
2 Onkopedia-Guideline Multiples Myelom; Stand: Mai 2018
3 Durie BGM et al., Blood Cancer J 2020; 10 (5):53
4 O’Donnell EKO et al., Br J Haematol 2018; 182 (2):222-30
5 Facon T et al., N Eng J Med 2019; 380:2104-15
6 Facon T et al., Lancet Oncol 2021; 22 (11):1582-96
7 Mateos MV et al., N Engl J Med 2018; 378:518-28
8 Mateos MV et al., Lancet 2020; 395:132-41
9 Ludwig H et al., Leukemia 2021; 35 (1):31-44
10 Ludwig H et al., Lancet Haematol 2021; 8 (12):e934-e46