SO 08|2021
Publikationsdatum: 2021-12-22
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Die Standardtherapie bei transplantablen Patienten mit neu diagnostiziertem multiplem Myelom umfasst eine Induktionstherapie, gefolgt von einer Hochdosis-Chemotherapie mit Melphalan und autologer Stammzelltransplantation (ASZT), einer Konsolidierung in bestimmten Situationen und einer Erhaltungstherapie (Abb.). Das Ziel der Erstlinientherapie ist das Erreichen einer tiefen Remission, die in einem möglichst langen progressionsfreien Überleben (PFS) und Gesamtüberleben (OS) resultiert. Diese Arbeit gibt einen Überblick über aktuelle Therapiestandards sowie neue Entwicklungen im Bereich der Erstlinientherapie des multiplen Myeloms im Transplant-Setting.
Die Induktionstherapie beim Multiplen Myelom im Transplant-Setting besteht aus einer Kombination von drei oder vier Medikamenten, die über zumindest vier (bis sechs) Zyklen verabreicht werden. Die verschiedenen Triplet- oder Quadruplet-Therapien setzen sich zusammen aus Proteasominhibitoren (PI), immunmodulierenden Substanzen (IMiDs), anti-CD38 monoklonalen Antikörpern (CD38-Ak) und/oder Cyclophosphamid, jeweils kombiniert mit Dexamethason. Mit dem Ziel einer möglichst raschen und anhaltenden Erkrankungskontrolle wurden über die letzten Jahre einige neue Substanzen in die Induktionstherapie integriert. Zunächst konnte im Rahmen der IFM-2013-04-Studie die Überlegenheit einer IMiD-haltigen Therapie mit VTd (Bortezomib/Thalidomid/Dexamethason) gegenüber dem bisherigen Standard mit VCD (Bortezomib/Cyclophosphamid/Dexamethason) gezeigt werden.1 Durch die Verwendung von Thalidomid kam es allerdings zu einer deutlich erhöhten Rate therapieassoziierter Polyneuropathien. Bei vergleichbarer Wirksamkeit wird daher in der Praxis häufiger Lenalidomid als Kombinationspartner für den PI eingesetzt, aufgrund des besseren Nebenwirkungsprofils2, 3, wenngleich es keinen direkten Vergleich der beiden Kombinationen VTd vs. VRd (Bortezomib/Lenalidomid/Dexamethason) in einer Phase-III-Studie gibt. VRd wird aktuell in allen relevanten internationalen Guidelines unter den bevorzugten Triplet-Kombinationen in der Erstlinientherapie genannt (ESMO, NCCN, mSMART, Onkopedia).
Eine Weiterentwicklung in der Frontline ist die Hinzugabe eines gegen CD38 gerichteten monoklonalen Antikörpers zu IMiD und PI. Die CASSIOPEIA-Studie hat überzeugende Phase-III-Daten zur Quadrupel-Therapie mit Daratumumab-VTd als Induktion erbracht und zur Zulassung der ersten Quadrupel-Kombination im Transplant-Setting geführt.4 Die Hinzugabe von Daratumumab resultierte in einem signifikant längeren PFS und darüber hinaus konnte ein signifikant höherer Anteil an MRD-Negativität erreicht werden. Ähnlich hohe Ansprechraten und MRD-Negativitäts-Raten konnten in der GRIFFIN-Studie (Phase II) für Daratumumab-VRd gezeigt werden.5 Die Daten der entsprechenden Phase-III-Studie (PERSEUS) bleiben abzuwarten. Die rezent publizierten EHA-ESMO-Guidelines nennen mit Dara-VTd erstmals eine Quadrupel-Therapie als bevorzugte Induktionstherapie neben VRd.6 Auch die mSMART-Guidelines der Mayo-Klinik beinhalten eine Quadrupel-Therapie mit Dara-VRd in der Frontline für Patienten mit high-risk Zytogenetik.
Für die nähere Zukunft werden die Daten zweiter Studien erwartet, die einen CD38-Antikörper in Kombination mit KRd (Carfilzomib/Lenalidomid/Dexamethason) in der Erstlinientherapie untersuchen. Die MASTER-Studie7 beinhaltet eine Induktionstherapie mit vier Zyklen Dara-KRd, gefolgt von autologer Stammzelltransplantation und MRD-getriggerter Konsolidierung. Bei Erreichen einer MRD-Negativität ist ein früherer Wechsel auf Erhaltungstherapie mit Lenalidomid vorgesehen. In der GMMG-CONCEPT-Studie8 wird ausschließlich die high-risk Population untersucht. Hier erfolgt eine Therapie mit Isatuximab-KRd in Induktion und Konsolidierung, gefolgt von einer Isatuximab-KR-Erhaltung. Nachdem KRd im direkten Vergleich mit VRd in der Erstlinie im Rahmen der Phase-III-Studie ENDURANCE9 keinen signifikanten Benefit bei standard-risk Patienten zeigen konnte, werden die Daten der Quadrupel-Therapien mit Carfilzomib und CD38-Antikörper mit Spannung erwartet, v. a. für das high-risk Kollektiv.
Die Hochdosis-Chemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation ist seit vielen Jahren fixer Bestandteil der Erstlinientherapie bei allen Patienten, die für eine Transplantation geeignet sind.
Mit Einführung der PIs und IMiDs wurde der Stellenwert der ASZT wiederholt in Frage gestellt, wobei bis dato keine Studie gleichwertige Ergebnisse bei Verzicht auf die ASZT zeigen konnte. In der EMN02/HO95-Studie10 konnten PFS und OS durch die ASZT im Vergleich zu einer konventionellen Therapie mit VMP signifikant verbessert werden. Die IFM2009-Studie3 untersuchte VRD als Induktion und Konsolidierung gefolgt von Lenalidomid-Erhaltung mit oder ohne ASZT, und auch hier konnte ein signifikant längeres PFS im ASZT-Arm erreicht werden, allerdings bei vergleichbarem Gesamtüberleben. Im kürzlich präsentierten Langzeit-Follow-up zeigte sich ein vergleichbares OS, wenn die ASZT erst im ersten Rezidiv durchgeführt wurde, wenngleich 23 % der Patienten zu diesem Zeitpunkt dann nicht mehr für eine Transplantation geeignet waren.11 In einer weiteren Phase-III-Studie (FORTE) wurde u. a. KRd mit oder ohne ASZT verglichen12, wobei auch hier im ASZT-Arm das PFS signifikant verlängert werden konnte. Somit bleibt auch in der Ära der neuen Substanzen die ASZT nach Hochdosis-Chemotherapie mit Melphalan ein wichtiger Bestandteil der Myelomtherapie.
Die ASZT kann als Single- oder Tandem-Transplantation durchgeführt werden. Das Konzept der Tandem-Transplantation im Sinne einer zweiten konsolidierenden Transplantation innerhalb von etwa drei Monaten nach erster Transplantation ist v. a. für Patienten mit high-risk Zytogenetik sinnvoll. Für die high-risk Population konnte in der EMN02/HO95-Studie ein signifikanter Vorteil hinsichtlich PFS und OS gezeigt werden.10 Auch in der STaMINA-Studie wurde nach initial negativem Ergebnis in einem rezenten Update mit As-treated-Analyse ein signifikant längeres PFS nach Tandem-ASZT erreicht.13
Eine Konsolidierung wird in den aktuellen Guidelines nicht zwingend empfohlen, wenngleich in diversen Studien eine Vertiefung des Ansprechens durch eine konsolidierende Therapie gezeigt werden konnte2, 3, 10 und ein Großteil der aktuellen Studien eine Konsolidierung beinhaltet4, 5, 7, 8, 12, die zumeist der Induktionstherapie entspricht. Nicht nur das tiefere Ansprechen im Allgemeinen, sondern v. a. das Erreichen einer MRD-Negativität bei einem größeren Teil der Patienten macht eine Konsolidierung zu einem interessanten Konzept. Es gibt klare Hinweise, dass v. a. die anhaltende MRD-Negativität ein Surrogat-Parameter für ein längeres Ansprechen und Gesamtüberleben ist.14 Insbesondere bei kurzer Induktion oder Resterkrankung nach ASZT ist eine Konsolidierung daher eine plausible Option.
Die Erhaltungstherapie wird für alle Patienten als abschließender Teil der Erstlinientherapie empfohlen. Die umfassendsten Daten liegen für Lenalidomid vor, daneben kommen derzeit Bortezomib und Ixazomib in Frage. Für Carfilzomib und CD38-Antikörper als Erhaltung sind die Daten großer Studien noch unreif. Nachdem mehrere Studien ein deutlich längeres PFS unter Lenalidomid-Erhaltung zeigen konnten, wurde mit der Metaanalyse von McCarthy et al.15 auch ein verlängertes OS nachgewiesen, was den Stellenwert der Erhaltungstherapie mit Lenalidomid weiter gefestigt hat. Patienten profitieren unabhängig vom Remissionsstatus von einer Erhaltungstherapie, insbesondere bei gutem Ansprechen kann die Ansprechdauer noch verlängert werden. Bei high-risk Zytogenetik ist die Datenlage gemischt. Während in der oben genannten Metaanalyse die high-risk Population nicht eindeutig von der Lenalidomid-Erhaltung profitierte, konnte in der Myeloma-XI-Studie für verschiedene high-risk Veränderungen ein PFS-Vorteil gezeigt werden.16
Alternativ zu Lenalidomid kann eine Erhaltungstherapie mit einem Proteasominhibitor erfolgen, besonders bei high-risk Patienten. Für Bortezomib liegen hier die meisten Daten vor, wobei der Einsatz und die Dauer der Bortezomib-Erhaltung häufig durch Nebenwirkungen limitiert werden.17 Eine für die meisten Patienten gut verträgliche und oral einzunehmende Therapieoption ist Ixazomib, die Wirksamkeit ist allerdings den anderen Substanzen in der Erhaltung unterlegen. Im Vergleich zu alleiniger Observanz kann das PFS jedoch signifikant verlängert werden, sodass es auch für Ixazomib einen Platz in der Erhaltungstherapie gibt.18
In der Induktionstherapie bei neu diagnostiziertem multiplem Myelom geht der Trend in Richtung Quadrupel-Kombinationen mit Hinzugabe eines CD38-Antikörpers zu PI und IMiD, worunter sich ein tieferes Ansprechen mit höheren MRD-Negativitätsraten erzielen lässt. Trotz der diversen neuen Substanzen bleibt die autologe Stammzelltransplantation nach Hochdosis-Melphalan Teil der Erstlinientherapie, da durch die ASZT ein längeres PFS und OS erreicht wird. Nach der Transplantation folgt eine optionale Konsolidierung mit einer Kombination analog zur Induktion, abschließend wird bei allen Patienten eine Erhaltungstherapie empfohlen, vorzugsweise mit Lenalidomid.