EHA-Update Multiples Myelom

Beim diesjährigen Kongress der European Hematology Association (EHA) war das multiple Myelom (MM) mit mehr als 200 Abstracts, darunter 18 Vorträge, abermals prominent vertreten. Der Fokus des Interesses lag nach wie vor auf der Verwendung von Immuntherapien, insbesondere CAR-T- Zellen und bispezifischen Antikörpern.

CAR-T-Zell-Studien

CARTITUDE-1 – finale Analyse
Die Zulassung von Ciltacabtagen Autoleucel (Cilta-cel), einem dualen gegen BCMA gerichteten CAR-T-Zell-Produkt zur Behandlung von relapsierten/refraktären (RRMM-)Patient:innen nach ≥ 4 (median 6) Vortherapien, erfolgte auf Grundlage eindrucksvoller Ergebnisse der Phase-Ib/II-Studie CARTITUDE-1 (02/2022, USA, bzw. 06/2022, EU). Sowohl beim ASCO als auch beim EHA 2023 wurden die finalen Analysen dieser Studie präsentiert. Eine eindrucksvolle Gesamtansprechrate (ORR) von 97,9 % (≥ CR 82,9 %, ≥ VGPR 94,9 %, MRD-Negativität 58 %) geht mit einer Ansprechdauer (DOR) von 33,9 Monaten und einem progressionsfreien Überleben (PFS) von 34, 9 Monaten einher.

Fazit: Mit fast 3 Jahren erreicht Cilta-cel das bisher längste PFS bei vielfach vortherapierten MM-Patient:innen mit refraktärer Triple-­Class-Erkrankung. Leider ist der Einsatz von CAR-T- Zellen nicht nur in Österreich aufgrund von Zugangsschwierigkeiten auch weiterhin nicht/nur im Rahmen von klinischen Studien möglich.

Referenzen: Berdeja et al., Lancet 2021; 398(10297):314–24; Martin et al., JCO 2023; 41(6):1265–74; Lin et al., JCO 2023; 41: (suppl 16; abstr 8009); Munshi N et al., EHA Library 2023; S202

CARTITUDE-4
Ebenfalls bereits beim ASCO (als Late Breaking Abstract) präsentiert, stellte die CARTITUDE-4-Studie (NCT04181827) auch das Multiple-Myelom-(MM-)Highlight beim EHA 2023 dar. In der Plenarsitzung vorgestellte Resultate dieser globalen Phase-III-Studie zeigten (nach einem medianen Follow-up von 15,9 Monaten) die klare Überlegenheit von Cilta-cel vs. Standardtherapien (Pomalidomid/Bortezomib/Dexamethason oder Daratumumab/Pomalidomid/Dexamethason) bei Lenalidomid-refraktären MM-Patient:innen nach 1 bis 3 Vortherapien. Das 12-Monate- bzw. mPFS betrug 76 % vs. 49 % bzw. NR vs. 11,8 Monate (HR 0,26); die ORR 99,4 % vs. 67 %; die Rate kompletter Remissionen (CR) 86,4 % vs. 22 % und die MRD-Negativität 60,6 % vs. 15,6 % (Cut-off: 10–5). Gesamtüberlebensdaten sind zwar noch unreif, favorisieren aber mit einer Hazard Ratio von 0,78 die Therapie mit Cilta-cel. Bemerkenswert: Dieser PFS-Vorteil war in allen Subgruppen nachweisbar, so auch bei Patient:innen mit zytogenetischem Hochrisiko, extramedullärer Erkrankung (EMD), ISS Stadium III und vorheriger Exposition mit Anti-CD38-Antikörpern und Proteasom-Inhibitoren. CAR-T-­Zell-spezifische Nebenwirkungen waren mit einer angemessen unterstützenden Behandlung gut beherrschbar. In der Tat wurden im Vergleich zur CARTITUDE-1 in der CARTITUDE-4-Studie eine geringere Inzidenz und ein geringerer Schweregrad von CRS (Cytokine-Release-Syndrom), ICANS (Immune Effector Cell-associated Neurotoxicity Syndrome), MNT (Movement and Neurocognitive Treatment-Emergent Adverse Events) und Zytopenien beobachtet. Dies weist auf eine bessere Verträglichkeit von Cilta-cel bei früherer Verwendung hin.

Fazit: Diese eindrucksvollen Daten der CARTITUDE-4-Studie implizieren, dass Cilta-cel – wiederum seine Verfügbarkeit vorausgesetzt – ein neuer Standard für Patient:innen mit Lenalidomid-refraktärem MM im ersten Rezidiv werden könnte. Daten dieser Studie wurden zeitgleich zu EHA 2023 im N Engl J Med publiziert. Ob die CAR-T-Zell-Therapie als frühere Behandlungsoption Heilungsmöglichkeiten für Patient:innen mit MM eröffnet, bleibt abzuwarten. In laufenden Studien, inklusive der CARTITUDE-4-Studie, scheint sich aktuell keine Abflachung der PFS-Kurve abzuzeichnen. Allerdings bleibt abzuwarten, ob sich die deutlich höhere MRD-Negativität in der CARTITUDE-4- vs. CARTITUDE-1-Studie nicht in ein längeres PFS übersetzen lässt. Weitere Studien, wie die CARTITUDE-5-Studie, an der auch österreichische Zentren teilnehmen, untersuchen bereits den Einsatz von CAR-T- Zellen in der Erstlinie; erste Ergebnisse werden mit Spannung erwartet.

Referenzen: Berdeja et al., Lancet 2021; 398(10297):314–24; Martin et al., JCO 2023; 41(6):1265–74; Lin et al., JCO 2023; 41: (suppl 16; abstr 8009); Munshi N et al., EHA Library 2023; S202

KarMMa-3: Subgruppenanalyse

Idecabtagen Vicleucel versus Standardtherapien bei Hochrisiko-Patient:innen: Basierend auf der Phase-II-Studie KarMMa (NCT03361748) war das gegen BCMA gerichtete Idecabtagen Vicleucel (Ide-cel, bb2121) das erste zur Behandlung von MM-Patient:innen (nach ≥ 4 vorangegangenen Therapielinien, einschließlich eines IMiD, eines Proteasom-Inhibitors und eines CD38-mAKs) zugelassene CAR-T-Zell-Produkt. In diesem Jahr publizierte Daten der multizentrischen, randomisierten Phase-III-Studie KarMMa-3 (NCT03651128) zeigten erstmals eine Überlegenheit von Ide-cel gegenüber Standardtherapien (Dara-Pd, Elo-Pd, Kd, Dara-Vd, und Ixa-Rd) im (früheren) RRMM-Setting, nämlich nach ≥ 2 Vortherapien. Beim EHA 2023 präsentierte Daten untermauerten die klinisch bedeutsame Verbesserung des PFS, der ORR und der Tiefe des Ansprechens im Vergleich zu Standardtherapien, unabhängig von R-ISS III (Aussagekraft aufgrund der kleinen Patientenzahl limitiert), Triple-Class-Refraktärität, Hochrisiko-Zytogenetik, extramedullärer Erkrankung und hoher Tumorlast. Das Toxizitätsprofil von Ide-cel bei Patient:innen mit hohem Risiko war beherrschbar und stimmte mit der Gesamtbevölkerung und früheren Studien überein.

Fazit: Die aktuellen Daten bestätigen die einzigartige Aktivität von CAR-T-Zellen bei RRMM-Patient:innen. Auch unter dem Aspekt, dass die Anwendung von CAR-T-Zellen in diesem Setting nicht zu einer Heilung führt, muss doch betont werden, dass sich die Lebensqualität der Patient:innen nach einer Einmalgabe eines CAR-T-Zell-Produkts vs. einer kontinuierlichen Triplet-Therapie bis zum Progress deutlich unterscheidet.

Referenzen: Munshi et al., NEJM 2021; 384(8):705–16; Rodriguez-Otero et al., NEJM 2023; 388:3002:9014; Patel et al.,
EHA Library 2023; Abstract S195; Martin et al., Lancet Haematol 2022; 9(12):e897–e905

BMS-986393/GPRC5D-CAR-T-Zellen: Neben BCMA-CAR-T-Zellen wird bereits auch die Anti-MM-Aktivität von Non-BCMA-CAR-T-Zellen in klinischen Studien untersucht. Aufgrund der hohen Expression in malignen Plasmazellen ist G Protein-coupled Receptor Class C Group 5 Member D (GPRC5D) der, neben BCMA, vielversprechendste immunologische Angriffspunkt für die MM-Therapie. Die beim EHA 2023 gezeigten Phase-I-Daten der multizentrischen, offenen Dosis-Eskalations- und -Expansions-Studie BMS-986393 (CC-95266) mit GPRC5D-CAR-T-Zellen zeugen – bei guter Toleranz – von einer hohen Anti-MM-Aktivität bei RRMM-Patient:innen (ORR 86,5 %; 76 % nach vorheriger gegen BCMA gerichteter Therapie).

Fazit: Diese vorläufigen Daten unterstützen eine GPRC5D-gerichtete CAR-T-Zell-Therapie mit BMS-986393 zur Behandlung von RRMM-Patient:innen, unabhängig von einer vorherigen gegen BCMA gerichteten Therapie.

Referenz: Bal et al., EHA Library 2023; Abstract S193

Bispezifische Antikörper

MonumentTAL-1
Talquetamab ist der erste gegen CD3 × GPRC5D gerichtete Duokörper. Aktualisierte Phase II-Daten der zulassungsrelevanten MonumenTAL-­1-Studie (NCT03399799/NCT04634552) zu seiner Verwendung bei MM-Patient:innen, die ≥ 3 (median 6 bzw. 5) Vortherapien erhalten hatten, wurden zuerst beim ASCO, dann auch beim EHA 2023 präsentiert. Nach einem Follow-up von 11,7 Monaten war die ORR der beiden Phase-II-Dosierungen (0,8 mg/kg alle 2 Wochen bzw. 0,4 mg/kg wöchentlich) ähnlich, bei jeweils > 71 % (12-Monate-DOR: 79 % bzw. 91 %; geschätztes mPFS: 7,5 bzw. 14,2 Monate; 12-Monate-OS: 76 % bzw. 77 %). Besonders erwähnenswert: Hohe Ansprechraten (65 %) waren auch in der Patientenkohorte nach vorheriger Effektorzell-rekrutierender Therapie nachweisbar (12-Monate-DOR 81 %; geschätzte mPFS: 5,1 Monate; 12-Monate OS: 63 %). Die Nebenwirkungen waren überschaubar; orale, haut- und nagelassoziierte Toxizitäten nicht behandlungslimitierend. Die Infektions- und Neutropenieraten Grad 3 und 4 waren im Vergleich zu BCMA-gerichteten Therapien etwas niedriger.

Fazit: Dies sind beeindruckende Daten. Ein potenzieller Vorteil einer gegen GPRC5D- vs. BCMA-gerichteten Therapie könnte darin liegen, dass es nicht aus der Plasmazelloberfläche ausgeschieden wird. Darüber hinaus lassen mäßige Infektionen und Neutropenien darauf schließen, dass sich das Nebenwirkungsprofil nur teilweise mit dem anderer Immuntherapien überschneidet. Resultate weiterer Untersuchungen über die Anwendung von Talquetamab als Monotherapeutikum und in Kombinationen und über den Zeitpunkt des bestmöglichen Einsatzes sind notwendig.

Referenzen: Chari et al., NEJM 2022; 387(24): 2232–44; Touzeau et al., EHA Library 2023; Abstract S191

RedirecTT-1
Die Anwendung der bispezifischen Antikörper Teclistamab (CD3 × BCMA) und Talquetamab (CD3 × GPCR5D) als Monotherapeutika hat hohe Anti-MM-Aktivität bei vielfach vortherapierten Patient:innen demonstriert und zur Zulassung von Teclistamab geführt. Die Zulassung für Talquetamab wird noch für dieses Jahr erwartet. Die RedirecTT-­1-Studie (NCT04586426) untersucht erstmals den Nutzen der dualen Verwendung bispezifischer Antikörper bei hämatologischen Malignomen, speziell die Anti-MM-Aktivität der Kombination von Teclistamab und Talquetamab bei vielfach (median 5-fach) vortherapierten RRMM-Patient:innen. Die von Dr.in Mateos, der diesjährigen Preisträgerin des Robert A. Kyle Lifetime Achievement Award, präsentierten ersten Resultate zeigten eine – gegenüber den Monotherapien noch weiter gesteigerte – ORR von bis zu 96,3 % (in der für die Phase-II-Studie empfohlenen Dosierung von Teclistamab 3 mg/kg bzw. Talquetamab 0,8 mg/kg q2w). Hierbei ist zu betonen, dass 33 % dieser Patient:innen eine Hochrisikozytognetik, 78 % Triple-Class-refraktär, 63 % Penta-Drug-exponiert und 43 % eine extramedulläre Manifestation (EMD) aufwiesen. Das Nebenwirkungsprofil der Kombination ist mit dem der Monotherapien vergleichbar.

Fazit: Diese exzellenten Ergebnisse sprechen für die weitere Evaluierung der dualen Therapie mit den bispezifischen Antikörpern Teclistamab und Talquetamab, möglicherweise insbesondere zur Anwendung von Patient:innen mit EMD.

Referenzen: Moreau et al., NEJM 2022; 387(6):495–505; Chari et al., NEJM 2022; 387(24):2232–44; Mateos MV et al., EHA 2023; Abstract S190

TRIMM-2
Die steroidfreie Phase-Ib-Studie TRIMM-2 untersucht die Toleranz und Antitumoraktivität von Daratumumab in Kombination mit Talquetamab oder Teclistamab mit/ohne Pomalidomid zur Behandlung vielfach (median 5-fach) vortherapierter MM-Patient:innen. Beim EHA 2023 präsentierte Follow-up-Daten der mit Daratumumab und Talquetamab behandelten Patientenkohorte zeigen nach einer Beobachtungszeit von 11,5 Monaten, dass diese Kombination im Vergleich zu den Monotherapien kein erhöhtes Sicherheitsrisiko bei vielversprechender Effektivität aufweist. So konnte in der Gruppe Tal 0,8 mg/kg q2w plus Daratumumab eine ORR von 84 % und in der Gruppe Tal 0,4 mg/kg q2w plus Daratumumab eine ORR von 71,4 % erzielt werden. Hohe Effektivität war auch in den schwer behandelbaren Untergruppen zu beobachten: 78,4 % bei Patient:innen mit CD38-refraktärer und 79 % bei Patient:innen nach vorheriger bispezifischer T-Zell-rekrutierender Antikörpertherapie. Die Dauer des Ansprechens war langanhaltend und vertiefte sich über die Zeit. Alle Patient:innen entwickelten ≥-Grad-1-Nebenwirkungen, zumeist Grad-1–2-CRS, Dysgeusie, Mundtrockenheit, Anämie, Fatigue und Hauterscheinungen. 84 % der Patient:innen sind immer noch unter laufender Therapie.

Fazit: Hierbei handelt es sich um sehr überzeugende und beeindruckende Ergebnisse für eine steroidfreie Behandlung mit Talquetamab und Daratumumab bei intensiv vorbehandelten Patient:innen, die im klinischen Alltag eine große Herausforderung darstellen. Auf Phase-II/III-Daten darf man gespannt sein.