SLiM – not fit for all?

In einer Präsentation aus dem Memorial Sloan Kettering Cancer Center (MSKCC), New York, beim diesjährigen EHA Kongress (2022) wurde die Validität eines der SLiM-Kriterien in Frage gestellt, eine baldige Progression in ein symptomatisches Myelom vorherzusagen.1

Der Januskopf des Smoldering Myelomas

An der Progressionskurve des Smoldering Myeloma lässt sich die Heterogenität dieser Entität gut studieren. In den ersten 5 Jahren von Diagnosestellung liegt die Wahrscheinlichkeit der Progression in ein symptomatisches Myelom bei 10 % pro Jahr, zwischen dem fünften und zehnten Jahr bei 3 % pro Jahr, um sich nach dem zehnten Jahr dem Progressionsrisiko der monoklonalen Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS) mit 1 % pro Jahr anzugleichen.2 Während also bei einigen Patient:innen mit Smoldering Myeloma ein „frühes“ aktives Myelom vorzuliegen scheint, ist bei anderen Personen die genannte Plasmazelldyskrasie einer MGUS biologisch ähnlicher, bei der sich der Plasmazellklon meist über lange Zeiträume indolent verhält.

Es wurden verschiedene Risikomodelle entwickelt, um eine Differenzierung dieser Untergruppen zu ermöglichen, wobei aktuell das Mayo-Risikomodell von 2018 am gebräuchlichsten ist.3 Die Risikokomponenten in diesem Modell sind das Ausmaß der Knochenmarksinfiltration mit Plasmazellen, die Höhe des M-Gradienten und die Ratio von involvierter zu nicht-involvierter Serum Leichtkettenkonzentration (sFLC-Ratio). Cut-offs-Werte für die Feststellung einer Risikokonstellation sind eine Plasmazellinfiltration von > 20 %, ein M-Gradient > 2 g/dL, eine sFLC-Ratio > 20 (= 20/2/20 SMM-Score), mit einem Progressionsrisiko von 20-25 % pro Jahr bei Vorliegen von 2 oder 3 Risikofaktoren, etwa 10 % pro Jahr bei Vorliegen eines Risikofaktors, und 3 % pro Jahr bei Fehlen jedes dieser 3 Risikofaktoren. Unter Ergänzung zytogenetischer Risikoparameter – t(4;14), t(14;16), 1q gain oder del13q – kann dieses Modell noch verfeinert werden.4

Ergänzend bzw. alternativ steht das PETHEMA-Risikomodell zur Verfügung, mit den Risikofaktoren aberranter Immunphänotyp in ≥ 95 % der Plasmazellen des Knochenmarks und Immunoparese. Letzteres ist definiert als Reduktion in zumindest einer nicht-involvierten Immunglobulinklasse.5 Es kann erwähnt werden, dass diese beiden gebräuchlichsten Risikomodelle (also Mayo und PETHEMA) nicht immer eine gute Konkordanz aufweisen.6 Molekulare Risikoklassifikationen sind in Arbeit und interessante erste Ergebnisse wurden bereits publiziert7, 8, bis dato sind diese Modelle aber klinisch nicht gebräuchlich.

SLiM not Smoldering

Im Jahr 2014 wurden von der International Myeloma Working Group (IMWG) biochemische Kriterien für das Vorliegen eines behandlungspflichtigen Myeloms definiert, und zwar eine ≥ 60%ige Plasmazellinfiltration des Knochenmarks, mehr als eine fokale Myelomläsion (≥  5mm) in der Magnetresonanzuntersuchung (MR) und eine sFLC-Ratio ≥ 100 bei involvierter sFLC-Konzentration ≥ 100 mg/L.9 Basis für diese Entscheidung waren Daten, die eine Progression in ein symptomatisches Myelom (d.h. mit Vorliegen von CRAB-Kriterien*) bei 80 % der Fälle von (vormals) Smoldering Multiple Myeloma (SMM) zu belegen schienen, wenn eines dieser sogenannten SLiM-Kriterien** vorhanden war. Seit dieser Publikation war die vormalige Gruppe von „Ultra“-Hochrisiko-SMM nicht mehr als Smoldering definiert, sondern als Myelom mit biochemisch definierten Behandlungskriterien („biomarkers of malignancy“ oder „myeloma defining events“).

EHA 2022: Muss SLiM revidiert werden?

Nun war den Autoren Akhlaghi et al.1 aufgefallen, dass verschiedene Fallserien tatsächlich sehr unterschiedliche 2-Jahres-Progressionsraten von (vormals) SMM mit sFLC Ratio ≥ 100 berichtet haben, die teilweise deutlich unter den kolportierten 80 % lagen. Hier kann erwähnt werden, dass sich die IMWG-Arbeit (2014) für die Heranziehung der sFLC-Ratio ≥ 100 als myeloma defining event vor allem auf eine Fallserie bezog, die bis in die 1970er Jahre zurückreichte (586 Patient:innen mit Smoldering Myeloma diagnostiziert 1970-201010). Um der Frage des Progressionsrisikos nachzugehen, analysierten die Autoren eigene Patient:innen mit SMM die zwischen 2002 und 2019 am MSKCC diagnostiziert wurden.1 Insgesamt 466 Patient:innen mit SMM wurden identifiziert, davon 401 mit sFLC-Ratio < 100 (86 %) und 65 mit sFLC-Ratio ≥ 100 (14 %). Die Knochenmarksinfiltration lag im Durchschnitt bei 18 % (13-40 %), das Alter der Patient:innen im Durchschnitt bei 64 Jahren (Range: 55-72 Jahre). In ihrer Serie berichten die Autoren über eine 2-Jahres-Progressionsrate mit sFLC-Ratio ≥ 100 unter Observanz (bei Einschluss einzelner Patient:innen in eine Smoldering Myeloma Therapiestudie wurde der betreffende Patient/die betreffende Patienten zensiert) bei 36 %, bei sFLC-Ratio < 100 bei 16 %. Bei 7 Patient:innen mit sFLC-Ratio ≥ 100 war auch nach einem medianen Follow-up von 8,3 Jahren keine Progression zu verzeichnen. Nur mit dem zusätzlichen Heranziehen der anderen Mayo-SMM-Risikokriterien konnte tatsächlich eine Gruppe mit höherem 2-Jahres-Progressionsrisiko identifiziert werden. Bei Knochenmarksinfiltration mit Plasmazellen > 20 % und M-Gradient > 2g/dL zusätzlich zu einer sFLC-Ratio ≥ 100 lag das 2-Jahres-Progressionsrisiko in ein symptomatisches Myelom bei 89 %, wenn nur eines dieser beiden Kriterien zusätzlich vorlag bei 45 %, wenn keines der beiden Kriterien zusätzlich vorlag, also wenn alleinig die sFLC-Ratio ≥ 100 als Risikokriterium bestand, bei 24 %. Die Autoren schlossen, dass Patient:innen mit sFLC-Ratio ≥ 100 sehr unterschiedliche Progressionstendenzen aufweisen können und dass zusätzliche Kriterien herangezogen werden sollten, um das Progressionsrisiko abzuschätzen. Einige dieser Patient:innen können über lange Zeiträume observiert werden, ohne dass eine Transformation in ein symptomatisches Myelom stattfindet.

Interessanterweise kommt eine rezente Analyse aus der Mayo Klinik (Rochester)11 zu einer ähnlichen Konklusion, indem gezeigt wurde, dass Patient:innen mit sFLC-Ratio ≥ 100 aber einer Eiweißausscheidung im Harn (Proteinurie) < 200 mg/24h ein ähnliches Risikoprofil haben, wie Patient:innen mit einer sFLC-Ratio < 100 (2-Jahres-Progressionsrisiko von 13,5 %). Bei Patient:innen mit sFLC-Ratio ≥ 100 und Proteinurie ≥ 200 mg/24h lag das Progressionsrisiko bei 36,2 % (und somit ähnlich wie in der Gesamtkohorte der Patient:innen mit sFLC Ratio ≥ 100 in der MSKCC-Serie).

Serielle Untersuchung statt Momentaufnahme

Das SLiM-Kriterium sFLC-Ratio ≥ 100 isoliert betrachtet, sollte somit jedenfalls nicht zwingenden Anlass für einen Therapiebeginn geben. Die Zusammenschau aller Befunde, insbesondere zu anderen Risikofaktoren, ist für eine adäquate Risikoeinschätzung notwendig. Auch sollte bei Fehlen einer klaren Krankheitsaktivität (insbesondere Fehlen von CRAB-Kriterien) die Krankheitsdynamik in seriellen Untersuchungen über einen gewissen Zeitraum erfasst werden, anstatt sich für Entscheidungen mit tiefgreifender Konsequenz und dauerhafter Nachwirkung auf die singuläre Momentaufnahme einer Befundkonstellation zu verlassen. Eine Zunahme des M-Gradienten über einen gewissen Zeitraum („evolving type“) scheint jedenfalls ein harter Risikofaktor für die Transformation eines Smoldering Myelomas in ein symptomatisches Myelom zu sein.12 Wenn ein solches Muster fehlt, ist weiteres Zuwarten angezeigt, vor allem auch weil sich mit zunehmender Dauer des Smoldering-Zustandsbildes die Progressionskurve abflacht und das Progressionsrisiko reduziert (siehe oben).

Neben der Re-Evaluation der sFLC-Ratio als myeloma defining event scheint auch eine Überprüfung der beiden anderen SLiM-Kriterien indiziert. Bei Myelom-suspekten Läsionen in der MR-Untersuchung sind durchaus benigne Differentialdiagnosen in Betracht zu ziehen und auch bei dem sonst scheinbar harten Kriterium einer ≥ 60%-igen Knochenmarksinfiltration könnte ein lokal wechselhaftes Infiltrationsmuster zu einem verzerrten Eindruck und unsicherer Risikokonstellation führen. In letztgenannten Fällen (höhere Knochenmarksinfiltration bei Fehlen von CRAB-Kriterien) könnte beispielsweise die Bestimmung und Evaluation des Hämoglobinwertes im Zeitverlauf Aufschluss darüber geben, ob eine zunehmende Knochenmarksinfiltration im Rahmen der Plasmazelldyskrasie zu einer progredienten Verdrängung der normalen Hämatopoese führt (ohne dass formal das CRAB-Kriterium Anämie < 10g/dL erfüllt sein müsste) und damit eine Therapie in den Raum gestellt werden sollte.

Hinsichtlich therapeutischer Interventionen beim Smoldering Myeloma sei hier nur erwähnt, dass für beide publizierten positiven Phase-III-Studien (QuiRedex, Lenalidomid + Dexamethason vs. Observation; ECOG E3A06, Lenalidomid vs. Observation) etliche Kritikpunkte vorgebracht wurden. Für Einzelheiten dazu sowie zu den aktuell laufenden Therapiestudien bei Smoldering Myeloma sei auf 2 rezente Übersichtsartikel verwiesen.13, 14 Jedenfalls scheint im Lichte der rezenten Erkenntnisse bei früher Indikationsstellung zur Therapie (im Rahmen von Studien bei Smoldering Myeloma bzw. auch in der klinischen Routine beim Myelom mit biomarkers of malignancy) die Abwägung potenzieller Risiken einer therapieinduzierten Toxizität und weiterer durch die Therapie induzierter Belastungen des Patienten/der Patientin gegenüber einer erwünschten Verhinderung/Verzögerung einer Transformation in eine aktive, symptomatische Erkrankung dringend notwendig.

*CRAB-Kriterien:  C: hyperCalcemia, Hyperkalziämie, R: Renal failure, Nierenschäden, A: Anemia, Anämie und/oder B: Bone disease, Knochenläsionen

** SLiM-Kriterien: S: Sixty, 60 % Knochenmarksinfiltration; Li: Light chain Ratio ≥ 100 bei involvierter sFLC-Konzentration ≥ 100 mg/L; M: mehr als eine fokale Läsion im MR

1 Akhlaghi T et al., EHA2022 Hybrid Congress, Abstract S177
2 Kyle et al., New Engl J Med 2007
3 Lakshman et al., Blood Cancer J 2018
4 Mateos et al., Blood Cancer J 2020
5 Perez-Persona et al., Blood 2007
6 Hill et al., JAMA Oncol 2021
7 Bustoros et al., J Clin Oncol 2020
8 Bustoros et al., Nature Commun 2022
9 Rajkumar et al., Lancet Oncol 2014
10 Larsen et al., Leukemia 2013
11 Visram et al., Leukemia 2022
12 Fernandez de Larrea et al., Leukemia 2018
13 Musto et al., Haematologica 2021
14 Vaxman and Gertz, Blood 2022