Mehr Ärzte ins Parlament?

Mehr Ärzte ins Parlament – das wünscht sich die Ärztekammer. Um dem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hatte sie knapp vor der Nationalratswahl zu einer Pressekonferenz der besonderen Art gebeten und Ärzten, die für den Nationalrat kandidieren, die Möglichkeit gegeben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Pro wahlwerbender Partei war ein Kandidat eingeladen, sich selbst und die politischen Ziele vorzustellen. Der parteiübergreifende Wunsch nach mehr ärztlicher Kompetenz im Nationalrat stand somit über die Parteigrenzen hinweg im Vordergrund. Einigkeit besteht, dass das System weiterentwickelt werden müsse, am besten von Akteuren und Kennern des Systems – und das über Parteigrenzen hinweg.
Ärztekammerpräsident Dr. Thomas Szekeres:­ „Unser Wunsch ist es, dass möglichst viele Ärztinnen und Ärzte ins Parlament kommen. Deshalb wurden alle Kolleginnen und Kollegen, die auf den Wahllisten der wahlwerbenden Parteien stehen, eingeladen, jeweils einen Vertreter zur Pressekonferenz zu entsenden.“

Erfahrung im Gesundheitssystem

Hintergrund, so Szekeres, sei, dass man sich Fachleute wünsche, die aus dem System selber kommen, deshalb entsprechend mitreden und das System weiterentwickeln können. Szekeres verspricht sich damit auch, den vielfach kolportierten Falschinformationen gegenübertreten zu können, z. B. dass Österreichs Gesundheitsausgaben explosionsartig steigen würden etc. So liege Österreich bei den Ausgaben hinter Deutschland, obwohl das System vergleichbar gut sei.
Zwar stehen 40 Ärztinnen und Ärzte auf den Wahllisten der wahlwerbenden Parteien, die meisten jedoch nicht auf vorderen Listenplätzen, die einen Einzug in den Nationalrat auch tatsächlich wahrscheinlich machen würden. Dennoch war ein ärztlicher Vertreter pro Partei der Einladung der Ärztekammer zur Vorstellung gefolgt. Die Vertreter von ÖVP, FPÖ und SPÖ ebenso wie der Grünen (die beiden Letztgenannten allerdings auf eher aussichtslosen Plätzen) konnten dabei mit gesundheitspolitischer Fachkompetenz und gesundheitspolitischen Visionen aufwarten, die einander durchaus ergänzten.

Vorausschauende Planung und Steuerung fehlen

Prim. Dr. Brigitte Povysil ist seit 24 Jahren Leiterin des Departments für Kinder- und Frauenradiologie am Kepler Universitätsklinikum Linz und derzeit FPÖ-Gesundheitssprecherin im oberösterreichischen Landtag; ihr Einzug in den Nationalrat gilt als wahrscheinlich. „Ich kann aus Erfahrung sagen, dass es für mich noch nie so schwer war wie jetzt, Fachärzte zu bekommen und zu halten. D. h. ich kann derzeit meinen Versorgungsauftrag kaum erfüllen.“ Seit Jahrzehnten fehle eine vorausschauende und visionäre Planung und Steuerung des Gesundheitssystems. „Dass wir ein Ärztearbeitszeitgesetz haben oder dass ein Ärztemangel entsteht, das bricht ja nicht wie ein Tsunami herein, sondern das wissen wir ja.“ Hier würden ein vorausschauender Zugang und eine Planung fehlen. Notwendig seien eine Sicherung der Ärzteausbildung, ein Stoppen der Abwanderung sowie Stipendienmodelle mit Bindung. Der Arztberuf müsse flexibel, attraktiv und im Vergleich mit anderen Ländern wettbewerbsfähig werden. Die konkreten Ideen reichen hier von flexiblen Dienstzeitmodellen für Jüngere bis zum „Senior Doctorship“ für ältere Kollegen, die auch nach dem Erreichen des Pensionsalters als Ausbildende ihre Expertise zur Verfügung stellen könnten. Eine Gefahr sieht sie darin, dass das in den letzten 50 Jahren aufgebaute Spezialistentum unter ökonomischem Druck wieder rückentwickelt werde. Um schneller gute Ärzte ins Land holen zu können, müssten Nostrifizierungen – ohne Qualitätsverlust – beschleunigt werden. Dem absehbaren, drohenden Ärztemangel im niedergelassenen Bereich müsse bereits jetzt vorgebeugt werden – mit Ausbildungsverpflichtungen für Allgemeinmediziner an den Krankenanstalten. Sie fordert: „Ärzte sollen und müssen die Leitfiguren des Gesundheitssystems bleiben, mit auszubauendem Delegationsrecht an andere Gesundheitsberufe.“ Neben einer vorausschauenden Planung des Gesundheitssystems fordert sie eine Reform der Sozialversicherungen mit einer Leistungsvereinheitlichung und einer Verminderung der Trägerzahl sowie eine effiziente Finanzierung, wenn möglich aus einer Hand. „Die Politik braucht Ärzte und Gesundheitsberufe an Bord. Ein eindeutiges Ja zu mehr ärztlicher Kompetenz in der Politik, Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg. Wir arbeiten nicht für eine Partei, sondern für die Medizin und die Patienten. Und keine unhaltbaren Wahlversprechungen, die wir nachher wieder reparieren müssen.“

Medizinische und organisatorisch-­politische Lösungen gefragt

Dr. Miriam Leitner ist Fachärztin in Ausbildung, Betriebsrätin am AKH Wien und kandidiert für die SPÖ. Auch sie betont die Notwendigkeit ärztlicher Kompetenz in der Politik. Warum sie sich politisch engagiere, begründet sie damit, dass im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit oft der Punkt erreicht werde, wo man nicht mehr weiterkomme. Oft sei dann keine medizinische, sondern eine organisatorische oder politische Lösung gefordert. „Diese beiden Bereiche kann man schwer voneinander trennen! Wenn ich die beste Versorgung möchte, muss ich in Kommunikation mit der Politik treten.“ Sie pflichtet Povysil bei und betont die Notwendigkeit einer planenden Vorausschau. In der Gesundheitspolitik müsse über die Legislaturperiode hinaus gedacht werden. Am Beispiel einer Diabetespatientin erläutert sie die über die eigentliche medizinische Behandlung hinausgehenden Fragen – von der Verfügbarkeit und Erreichbarkeit sowie vom Zugang zu spezialisierten Angeboten über die Transparenz in der medikamentösen Behandlung und angeleiteten Lebensstilveränderungen bis hin zu sozialen Implikationen. Entscheidende Frage in der Patientenbetreuung, bei der sich der Bogen zur Politik schließt, ist für sie: „Was wäre denn eine gute organisatorische Lösung?“ Ein Anliegen ist ihr eine weitere Verbesserung der Ausbildungssituation ebenso wie der Arbeitsbedingungen, wenngleich sich in den letzten Jahren schon manches zum Besseren verändert habe.
Dr. Karlheinz Kornhäusl, Facharzt in Ausbildung und Stellvertretender Bundeskurienobmann Angestellte Ärzte, kandidiert für die ÖVP. Auf der Bundesliste steht er nur auf Platz 27, Chancen für ein Nationalratsmandat könnte er allenfalls über Vorzugsstimmen auf der steirischen Landesliste haben. Auch er betont, dass Politik aus dem Leben kommen müsse. Er berichtet ähnlich wie Leitner aus dem Stationsalltag, wo die zugrunde liegenden Probleme weit über das eigentlich Medizinische hinausgehen (Stichworte: pflegebedürftige ältere Menschen, fragile Familienstrukturen, jugendliche Suchterkrankungen etc.) und daher politische Lösungen gefragt sind. Neben der Systemkompetenz nennt Kornhäusl zwei besondere ärztliche Fähigkeiten, die in der Politik von Nutzen wären: erstens zuhören und zweitens Entscheidungen treffen können.
Kornhäusl unterstreicht die Forderungen seiner Vorrednerinnen und betont bei den grundlegenden medizinischen Themen den Brückenschlag über Parteigrenzen hinweg (Stichworte: Ausbildung, bundesweite Finanzierung der Lehrpraxis, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Entlastung von Bürokratie etc.). Wichtig seien gut abgestimmte Versorgungsstrukturen mit einer guten Hausarztversorgung.
Dr. Günter Ranftl ist Gemeindearzt im Burgenland und kandidiert für die Grünen. Entscheidend für sein politisches Engagement sind die strukturellen, sozialen und demografischen Veränderungen, die er beobachtet. Er berichtet vom Ärztemangel bei niedergelassenen Ärzten, von nicht besetzten Kassenplanstellen, 60% der Ärzte seien heute älter als 55 Jahre. Junge Leute würden die Orte verlassen, alte Menschen hätten aufgrund fehlender öffentlicher Verkehrsmittel kaum die Möglichkeit, Fachärzte zu erreichen. Er will daher seine medizinische Expertise in seiner Gemeinde und darüber hinaus auch in der Politik der Grünen einbringen. Auf der grünen W
ahlliste steht er allerdings auf völlig aussichtloser Platzierung.

Was qualifiziert Ärzte für Politik?

Mit den Stichworten „Blaulicht, a priori kein Strafmandat und kein Führerscheinentzug für Ärzte in Berufsausübung“ brachte Dr. Anton Pruntsch, niedergelassener Arzt in Kärnten, primär individuelle Berufsthemen in die Diskussion ein. Er kandidiert für die NEOS und betont sein liberales Grundprinzip: Jeder soll tun und lassen dürfen, was er will, solange er keinem weh tut. Sein Anliegen: mit Blaulicht fahren zu dürfen, auch wenn er nicht lebensrettend, sondern zu Palliativbehandlungen unterwegs ist. Er fordert daher verkehrsrechtliche Erleichterungen in begründeten Fällen (kein Führerscheinentzug für einen Landarzt in Ausübung des Berufs etc.) und wünscht sich insgesamt weniger Vorschriften und weniger Einflussnahme der Politik. Ein weiteres Anliegen ist ihm die Liberalisierung von Cannabis zur medizinischen Verwendung. Er warnt vor einer Überwachung des Einzelnen und Überreglementierung.
Was qualifiziert nun einen Arzt per se dazu, im Nationalrat mitzureden? Für Szekeres ist das die Systemkenntnis. Er verweist stellvertretend für alle Diskutanten auf den parteiübergreifenden Tenor: „Unser Gesundheitssystem ist ein wichtiges, gutes und erhaltenswertes.“ Es sei daher wichtig, dass Kenner des Systems ins Parlament kommen.

 

Kommentar:

Wir wollen eine Weiterentwicklung des Systems …

Als Quereinsteiger in die Politik und erfahrener Ärztevertreter möchte Prim. Dr. Werner ­Saxinger, Vorstand der Abteilung für Dermatologie und Angiologie, Klinikum Wels – Grieskirchen, seine Expertise in die Politik einbringen. Auf Platz 15 der ÖVP-Bundesliste könnte er durchaus Chancen auf ein Mandat haben.
Als Systemkenner hat er ein 10-Punkte-Konzept entwickelt. Saxinger: „Wir wollen eine Weiterentwicklung des Systems.“ Saxinger hält es für notwendig, Strukturen aufzubrechen. „Ich glaube, die Zeit war noch nie so günstig. Einfach, weil es vielen reicht. Wir arbeiten jetzt noch in Strukturen wie vor 40 Jahren. Man könnte aber strukturell in den nächsten Jahren einiges bewegen.“ Ein besonderes Anliegen sind ihm eine bessere Vernetzung der Systeme mit einer besseren Nutzung und Öffnung der vorhandenen ambulanten Versorgungsstrukturen (das würde auch eine strukturiere Zusammenarbeit von Niedergelassenen und Ambulanzen einschließen), neue Versorgungsformen (Stichwort: Anstellung von Ärzten bei Ärzten) mit leistungsgerechten Honorierungen und die Etablierung verbindlicher Versorgungskaskaden mit einem strukturierten Zugang ins Gesundheitssystem (Stichwort Patientensteuerung).
„Es geht um die Entwicklung des Gesundheitssystems. Ich finde unser System im Vergleich zu anderen Systemen gut und patientenfreundlich, aber es muss weiterentwickelt und optimiert werden. Vor allem die strenge Trennung zwischen Niedergelassenen und Spital ist in dieser Form nicht sinnvoll. Wir brauchen nicht immer mehr Ärzte und oft nicht mehr Ordis, man muss die vorhandenen Strukturen besser vernetzen. Hier müssen Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden.“
Was qualifiziert Ärzte für den Nationalrat? Saxinger: „Man weiß, wo der Schuh drückt. D.h. aus dem Alltag heraus wissend, wo die wirklichen Probleme sind. Wenn man das tagtäglich erlebt, hat man andere Sichtweisen und einen Blick für die drängendsten Probleme – wie ihn die Politik nicht hat, weil sie diese Probleme primär ja gar nicht selbst erlebt. Darum ist es wichtig, diese Problematiken auch in die politischen Gremien zu bringen und auch praktikable Lösungen zu erarbeiten.

 

Kommentar von: Prim. Dr. Werner Saxinger

Klinik 04|2017

Herausgeber: MedMedia Verlag und Mediaservice GmbH
Publikationsdatum: 2017-10-09