Wertschätzung für Spitalsärzte: Wir wollen einfach in Ruhe arbeiten dürfen

Für Dr. Harald Mayer, Obmann der Bundeskurie „Angestellte Ärzte“ der Österreichischen Ärztekammer, zählt zur Wertschätzung im Spitalsalltag alles, das mit Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten, Zusammenarbeit (Stichwort Mobbing und Bossing) und Arbeitsressourcen zu tun hat. Alle Defizite in den Arbeitsbedingungen sind für ihn letztlich Ausdruck mangelnder Wertschätzung und werden von den Betroffenen auch als solche erlebt und empfunden. Das große Problem der fehlenden Wertschätzung, unter dem im Krankenhaus Tätige immer mehr leiden, liegt damit weniger im zwischenmenschlichen Bereich, sondern vielmehr in den strukturellen, institutionellen Defiziten begründet. Mayer: „Und wenn ich sage: ich will einfach nur in Ruhe arbeiten können, heißt das eigentlich, dass mir nicht einmal die Wertschätzung gewährt wird, um meine Arbeit in Ruhe tun zu können.“

Fremd bestimmt, mit Administration belastet

Der oberste Vertreter von Österreichs Spitalsärzten sieht darin ein immer virulenteres Problem: „Letztendlich hat die EU-Arbeitszeitrichtlinie, die wir zwar alle wollten und über die wir alle prinzipiell auch glücklich sind, natürlich zu einer Arbeitsverdichtung geführt.“ Ein besonderes Problem, unter dem man mehr denn je leide, sei in diesem Zusammenhang noch immer die ungebremste Dokumentationsflut. „Wenn man uns zumindest die Hälfte unserer Dokumentationstätigkeit abnehmen würde, dann hätten wir um 25% mehr Zeit für Patientenbetreuung. Es ist absurd, dass sich damit niemand auseinandersetzt.“
Verstärkt wird das Problem hier wie dort durch eine Vielzahl an strukturellen Unzulänglichkeiten, z. B. in den EDV-Systemen, die mit einem Vielfachen des Aufwandes für die Betroffenen verbunden sind und ein ständiges Kontrollieren der vermeintlich automatisierten Erfassungsschritte und oft mehrfache händische Eingaben erfordern – von Ärzten wie Pflegekräften. Mayer: „Es geht hier den Kernleistungserbringern allen gleich. Denn es kann ja auch nicht Aufgabe einer Pflegekraft sein, sich um die Tücken eines EDV-Systems zu kümmern!“ Als anschauliches Beispiel schildert er EDV-Störungen, die plötzlich ein händisches Abschließen jedes einzelnen Untersuchungsschrittes erfordern würden. Erfolgt das nicht, schlägt jede nicht einzelne ausgecheckte medizinische Handlung wiederum mit Wartezeiten zu Buche – eigentlich nur eine unglückliche Verkettung. „Aber genau mit dieser Wartezeitenstatistik wird der Arzt dann konfrontiert, obwohl diese völlig willkürlich und Folge des EDV-System-Fehlers ist …“ Vieles, das den Spitalsalltag und das Arbeiten so beschwerlich macht, liegt also in den Strukturen und den vermeintlichen Bemühungen zur Effizienzsteigerung begründet.

Fraglicher Zwang zur Effizienzsteigerung

„Wir leben in einem Benchmark-getriggerten System, wo uns in der medizinischen Versorgung ahnungslose Wirtschafter erklären wollen, wie man arbeiten muss und Effizienz steigern sollte und wir das achselzuckend zur Kenntnis nehmen müssen“, formuliert Mayer pointiert. Kein Wunder also, wenn immer mehr Ärzte resignieren und das Arbeiten im Spital als immer unattraktiver empfinden. Besonders der ständige Effizienzdruck bei gleichzeitiger Verpflichtung zu Aufgaben, die nichts mit der Kerntätigkeit, nämlich dem Dienst am Patienten, zu tun haben, wird als permanente Geringschätzung empfunden. „Auch eine statistische Auswertung mag einen Nutzen haben, aber sie könnte im Hintergrund laufen.“ Oft sei der einzig erkennbare Zweck jedoch wieder nur, das Personal zur Effizienzsteigerung anzuhalten, resümiert Mayer.

Wo bleibt der Mensch?

Dabei wird oft vergessen, dass sich Gesundheitsversorgung von einem Industriebetrieb unterscheidet, weil hier Menschen betreut werden, die eben individuell und nicht gleich sind. Patienten unterscheiden sich in ihren Erkrankungen, in ihrem Leidensdruck, aber auch in ihren Persönlichkeitsstrukturen und ihrem Verständnis. So wird das Gespräch mit einem schon ein wenig dementen, alten Menschen mehr Zeit in Anspruch nehmen, ebenso die Behandlung eins Kindes, bei dem auch noch die begleitende besorgte Mutter zu beruhigen ist. Mayer: „Da kann man nicht mit der Stoppuhr messen und sich auf einen Standard berufen.“ Hier schließt sich beim Thema Wertschätzung für Mayer auch der Bogen zum Patienten: „Denn was wollen Patienten von uns Ärzten? Auch sie wollen wertgeschätzt werden. Und die Wertschätzung für den Patienten ist letztendlich die Zeit, die ich ihm widme.“ Patienten wollen ihren Ärzten vertrauen können. „Nur muss dieses Vertrauensverhältnis auch aufgebaut werden. Das erwirbt man bei jedem Patienten, indem man ihm die notwendige Zeit zur Verfügung stellt. Und genau daran mangelt es.“

Wertschätzung ist Zeit

Zusammengefasst könnte man Wertschätzung ganz simpel auch mit ausreichend Zeit für die eigentliche Tätigkeit umschreiben. Hier vermisst Mayer das Verständnis der für Gesundheitsversorgung verantwortlichen Player, egal ob Krankenhausträger, Länder oder Sozialversicherung. „Warum boomt denn der Wahlärztemarkt? Weil die Patienten dort im Regelfall das bekommen, was sie wollen: Zuwendung und Zeit. Und der Wahlarzt hat dort offenbar auch die Arbeitsbedingungen, die er gerne haben möchte, weil er sie selbst gestaltet. Der ist nicht fremdgesteuert von Kennzahlen und von Benchmarks getrieben!“
Die vor kurzem präsentierte, im Auftrag der Ärztekammer durchgeführte IFES-Umfrage unter Spitalsärzten hat zwar erstmals einen positiven Trend gezeigt, was die Zufriedenheit mit der aufgrund des AZG reduzierten Arbeitszeit und mit den Gehältern betrifft (siehe klinik 2/16, Seite 8–10). In all jenen Bereichen, die die eigentlichen Arbeitsbedingungen und die Arbeitsbelastung widerspiegeln, liegt die Zufriedenheit aber noch mehr im Argen als in den Jahren davor. Steigende Arbeitsverdichtung und zunehmende Dokumentationstätigkeiten werden als belastender denn je empfunden. Mayer:­ „Dennoch wird an den Rädern, an denen man relativ einfach drehen könnte, nämlich Zurückfahren der Dokumentation, Bürokratieabbau etc, überhaupt nicht gedreht!“ Die Adressaten der Kritik – nämlich Träger, Zahler, politisch Verantwortliche – sind taub. „Mir ist vollkommen bewusst, dass Gesundheit aus der Sicht der politisch Verantwortlichen ein enormer Kostenfaktor ist, mit dem man nichts gewinnen kann. Aber genauso geht man mit uns um, wie mit einem Kostenfaktor.“
„Wir, die Spitalsärzte als Gruppe, fühlen uns nicht ausreichend wertgeschätzt. Wir wollen gute Arbeitsbedingungen, wir wollen Zeit für unsere eigentliche Tätigkeit, wir wollen einfach unsere Arbeit machen dürfen!“

AutorIn: Susanne Hinger

Klinik 03|2016

Herausgeber: MedMedia Verlag und Mediaservice GmbH
Publikationsdatum: 2016-07-01