Advance Care Planning – ein erfolgreiches, aber selten verwendetes Tool für die letzte Lebensphase

Onkologische Patient:innen bedürfen einer umfassenden Betreuung.1, 2 Neben der Antitumortherapie spielen Themen der Ernährung, Bewegung, Pflege und Psyche im Zusammenspiel mit den Angehörigen eine wesentliche Rolle.2–4 In der Praxis fehlt es sowohl den medizinischen Berufsgruppen als auch den Patient:innen und Angehörigen an Wissen bezüglich supportiver Angebote.5 Das ist insofern problematisch, als oft schon kleine Hilfestellungen den alltäglichen Ablauf der Patient:innen enorm erleichtern können.5

Advance Care Planning

Unter dem Begriff „Advance Care Planning“ (ACP) wird eine vorausschauende gesundheitliche Planung nach den Werten und Vorstellungen der Patient:innen verstanden.6 Es sollen insbesondere Behandlungsentscheidungen und Maßnahmen zur häuslichen Obsorge getroffen werden, welche die individuellen Interessen der Betroffenen widerspiegeln. Das Konzept der gesundheitlichen Versorgungsplanung ist mittlerweile fester Bestandteil des Gesundheitswesens in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Australien und Neuseeland.6 Hierorts fehlen jedoch noch grundlegende Strukturentscheidungen, um dieses Angebot der Bevölkerung bekannt zu machen und flächendeckend anbieten zu können.
Zentrale Fragestellungen innerhalb des Gesprächsprozesses beziehen sich auf die Wünsche der Patient:innen.7 Gesundheitliche Versorgungsplanung beschreibt demnach nicht nur das Erstellen einer Patientenverfügung. Es geht vielmehr darum, eine regionale Kultur der Vorausplanung in ihrer Gesamtheit zu etablieren, die wesentlich mehr umfasst. Sie soll helfen, grundlegende Themen mit den Betroffenen zu erheben:8–10

  • Was ist mir wichtig? (REFLEKTIEREN; Erfassen von Wünschen und der Wertehaltung zu Pflege und Behandlung; Patienten unterstützen, um Hoffnung und spirituellen Frieden zu finden sowie vertiefte Beziehungen mit sich selbst und Nahestehenden zu erhalten/finden)
  • Was möchte ich, und was lehne ich ab? (VERSTEHEN; Einschluss oder Ablehnung von medizinischen Maßnahmen; das Verständnis der Patient:innen/Angehörigen über Prognose, Therapie und Risiken der vorliegenden Erkrankung vertiefen)
  • Kenne ich alle Möglichkeiten? (DISKUTIEREN; Besprechung der Möglichkeiten mit dem zuständigen Gesundheitspersonal; qualitativ hochwertige Behandlung am Lebensende gewährleisten, die mit dem Wunsch und Willen der Patient:innen im Einklang stehen)
  • Wer spricht für mich? (FESTLEGEN; Bestimmung einer vertretungsberechtigten Person bei Verlust der Einwilligungsfähigkeit; Unterstützen bei der Auswahl eines gut vorbereiteten Stellvertreters/einer gut vorbereiteten Stellvertreterin)

Vor allem in den frühen Krankheitsphasen ist es oft schwierig, die persönliche Zukunft gedanklich zu erfassen. Um den Patient:innen eine informierte Entscheidung zu ermöglichen, ist eine suffiziente Aufklärung von speziell qualifizierten Gesundheitsfachkräften unabdingbar. Nur so kann eine hohe Qualität und Rechtssicherheit gewährleistet werden.7, 10
ACP-Gesprächsbegleiter steuern als professionelle Moderator:innen (sog. „facilitator“), meist bestehend aus nichtärztlichen Gesundheitsberufen wie Pflege, Sozialarbeit oder Seelsorge, den Gesprächsprozess. Als Pfeiler haben sich dabei die beiden Schwerpunkte „Beratung“ und „Fallbesprechung“ herauskristallisiert.7, 8

Ablauf

Der Gesprächsprozess soll von Achtsamkeit, Respekt und Empathie zur Ermittlung und Dokumentation des Patient:innenwillens geprägt sein. Er soll zu aussagekräftigen (wirksamen) und zuverlässigen (validen) Festlegungen führen, die sich in den Entscheidungssituationen bewähren.7–10 In der Regel dauern diese dynamischen Besprechungen 1–2 Stunden und erstrecken sich über mindestens zwei Termine.7 Zur Besprechung medizinischer Fragen wird dabei oft ein Arzt/eine Ärztin (Hausarzt/-ärztin, Onkologe/Onkologin, Palliativmediziner/-medizinerin etc.) hinzugezogen. Um die Wünsche der Betroffenen kennenzulernen und mitzutragen, sind oft auch Angehörige bzw. (zukünftige) rechtliche Vertreter:innen eingeladen.7, 8
Neben der Beratung bezüglich des aktuellen Zustandes sollen im Rahmen von Fallbesprechungen bewusst relevante, mögliche hypothetische Szenarien der Erkrankung besprochen werden, um mittels partizipativer Entscheidungsfindung gemeinsam Möglichkeiten des Umgangs zu erörtern.7, 10 Nach sorgfältiger Reflexion werden die Ergebnisse schließlich im Rahmen einer Patientenverfügung schriftlich dokumentiert sowie weitere Vorausplanungen wie Vollmacht oder Betreuungsverfügungen erstellt. Da sich die Behandlungsziele und Wünsche im Laufe der Erkrankung ändern können, ist ACP als dynamischer Prozess zu verstehen und nicht als einmalige Handlung.9

End-of-Life-Board

In diesem Kontext soll auch die Etablierung von relativ rezent aufkommenden „End-of-Life­-Boards“ erfolgen.1 Diese beschreiben eine Sitzung, bei der sich ein multidisziplinäres Team bestehend aus Palliativmediziner:innen (optional Onkolog:innen, Internist:innen), diplomiertem Pflegepersonal, Diätolog:innen, Sozialarbeiter:innen, Physiotherapeut:innen, Psycholog:innen sowie Seelsorger:innen umfassend Angebote für Patient:innen und deren jeweilige individuelle Bedürfnisse besprechen und deren Umsetzung planen.1
In der Praxis scheitert das bereits lang bekannte Angebot des Advance Care Planning an vielen Hindernissen.9 Zuständigen behandelnden Ärzt:innen fehlen im Alltag oft Zeitkontingente und Gesprächsführungskompetenz, um Patient:innen in diesem so sensiblen Thema zu beraten. Leider gibt es noch immer eine hohe Anzahl an Menschen, die an Tumorerkrankungen leiden, die aber nicht wissen, ob ihre aktuelle Therapie in kurativer oder nichtkurativer Intention erfolgt.11 Hier wäre es ratsam, eine einfache Regel zu etablieren. Sobald bei Patient:innen Metastasen aufgetreten sind, soll eine Vorstellung an einem palliativmedizinischen Zentrum zur weiteren Beratung und supportiven Therapie erfolgen. Neben den strukturellen Veränderungen wäre es interessant, wenn Onkolog:innen einmal in der Woche reflektieren würden, wie viele Patient:innen sie in der Woche auf palliativmedizinische Unterstützung (vor allem auch im häuslichen Umfeld) hingewiesen haben.

Praxisbeispiele

Deutschland:
beizeiten begleiten®
www.beizeitenbegleiten.de
Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e. V. https://www.dhpv.de

Österreich:
Vorsorgedialog
www.hospiz.at
Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) https://www.palliativ.at

 

Referenzen: (1) Masel EK et al., Wien Klin Wochenschr 2018; 130(7–8):259–63
(2) Davis MP et al., Ann Palliat Med 2015; 4:99–121 (3) Davis MP et al., Support Care Cancer 2015; 23:2677–85 (4) Finn L et al., Ochsner J 2017; 17:393–7 (5) Coors M; Jox R; In der Schmitten J (Hrsg.) (2015): Advance Care Planning: eine Einführung. In: Coors M; Jox R; In der Schmitten J (Hrsg.) (2015): Advance Care Planning – von der Patientenverfügung zur gesundheitlichen Vorausplanung, 1. Auflage, W. Kohlhammer: Stuttgart (S. 11–22) (6) Hammes B, Briggs L. (2015): Das „Respecting Choices“ Advance-Care-Planning-Programm in den USA: ein nachgewiesener Erfolg. In: Coors M, Jox R.; In der Schmitten J (Hrsg.) (2015): Advance Care Planning – von der Patientenverfügung zur gesundheitlichen Vorausplanung, 1. Auflage, W. Kohlhammer: Stuttgart (S. 181–195) (7) In der Schmitten J, Marckmann G (2015b): Theoretische Grundlagen von Advance Care Planning. In: Coors M; Jox R; In der Schmitten J (Hrsg.) (2015): Advance Care Planning – von der Patientenverfügung zur gesundheitlichen Vorausplanung, 1. Auflage, W. Kohlhammer: Stuttgart (S. 75–94) (8) Kass-Bartelmes B, Hughes R, J Pain Palliat Care Pharmacother 2004; 18(1):87–109 (9) Collins L, Parks S, Winter L, Am J Hosp Palliat Care 2006; 23(5):378–84 (10) Deutsche Hospiz- und PalliativVerband e. V. (DHPV): ADVANCE CARE PLANNING (ACP) in stationären Pflegeeinrichtungen. Eine Ein­führung auf Grundlage des Hospiz- und Palliativgesetzes (HPG). 23. 02. 2016. https://www.dhpv.de/files/public/themen/20160223_Handreichung_ACP.pdf (Zugriff: 01. 03. 2022) (11) Weeks J et al., NEJM 2012; 367(17):1616–25