Ausbildungskultur im Wandel

Mehr als ein Drittel aller Absolventen österreichischer Medizinuniversitäten scheinen nicht in den Ärztelisten der Landesärztekammern auf. Nachdem sich bereits ein Fach- und Landärztemangel abzeichnet, scheint – auch angesichts der demografischen Entwicklung – ein allgemeiner Ärztemangel nicht mehr weit entfernt. Eine Umfrage zur Ausbildungssituation unter Ärzten in Ausbildung wurde österreichweit im Sommer 2020 durchgeführt und im Oktober präsentiert.1 ARZT & PRAXIS sprach mit dem Anästhesisten Dr. Daniel von Langen (stellvertretender Kurienobmann angestellte Ärzte und Obmann der Bundessektion Turnusärzte der Österreichischen Ärztekammer) über die Ergebnisse dieser Umfrage und über die Möglichkeiten, die Ausbildungssituation in Österreich zu verbessern.

ARZT & PRAXIS: 2015 ist eine neue Ausbildungsordnung in Kraft getreten. Hat sich die Ausbildung seither nachhaltig verbessert?
Dr. Daniel von Langen: Dort, wo Ausbildung als wichtige Aufgabe erkannt wird, ist das sicher der Fall. Das Konzept der neuen Ausbildung ist gut, jedoch muss man in der Umsetzung geduldig sein, schließlich kann man nicht davon ausgehen, dass von Anfang an alle von einem neuen Konzept überzeugt sind.
Um ein Beispiel zu nennen: Die Basisausbildung wird von den jungen Kollegen mehrheitlich befürwortet und ist inzwischen an manchen Standorten sogar zum Magneten für Absolventen aus dem Ausland geworden. Auch das von der Österreichischen Ärztekammer geplante elektronische Logbuch wird hier einen weiteren Schub in Richtung Transparenz und Nachhaltigkeit geben.

Mehr als ein Drittel der Befragten ist bereit, für eine bessere Ausbildung ins Ausland zu gehen. Zusätzlich besteht bei mehr als der Hälfte die Bereitschaft dazu, stünden keine privaten Faktoren im Weg. Ist das ein Alarmsignal?
Das bedeutet, es lauert Gefahr in jedem weiteren Verzug! Das ist – gerade in Zeiten, in denen Gesundheitspersonal besonders wertvoll ist – der dringende Aufruf zur Änderung der Ausbildungskultur.
Die Ausbildung gehört ins Zentrum gerückt und nicht an den Rand gedrängt. Die jungen Kollegen wollen primär gute Ärzte sein und werden – dafür sind viele von ihnen bereit, einen beschwerlichen Weg zu gehen. Für so manchen führt dieser ins Ausland. Es bedarf dringend einer Investition in die Zukunft, um die Bedingungen (nicht nur in der Ausbildung, sondern auch z. B. bei der Arbeitszeit) nachhaltig zu verbessern. Andererseits müssen wir allerdings auch am Image der Ausbildung in Österreich arbeiten, denn ich bin davon überzeugt, dass man in Österreich bereits heute in vielerlei Hinsicht eine hervorragende Ausbildung erhält.

Viele Ärzte, die sich in Ausbildung befinden, haben bereits das KPJ mit entsprechendem Mentoring-System absolviert. Bei der aktuellen Umfrage bewerten mehr als drei Viertel der Befragten ein solches als „sehr wichtig“ oder „wichtig“. Sind die Ressourcen dafür überhaupt vorhanden?
Leider ist das meistens nicht der Fall. Vielen Kollegen bereitet es Freude, ihren Assistenten etwas beizubringen. Jedoch ist Ausbildung nach wie oft etwas, das neben der immer mehr werdenden klinischen Arbeit stattfinden soll. Es fehlt oft an der Zeit, die nur für Lehren und
Lernen vorgesehen ist – letztendlich ist der Ausbildende oft schneller fertig, wenn er etwas selbst macht und nicht einen Kollegen supervidiert. Entsprechende Ressourcen wären ein zentraler Teil der Investition in die Zukunft.

Oft wird im Zusammenhang mit dem österreichischen Gesundheitssystem der Föderalismus als Problemquelle genannt. Gilt das auch für die Ausbildungssituation?
Dass unsere Krankenhäuser in der Landespolitik eine große Rolle spielen, lässt sich nicht von der Hand weisen. Das kann in der Tat zu Problemen führen. Wenn beispielsweise eine gewisse Konkurrenz um die Patienten entsteht, kann das dazu führen, dass einzelne Abteilungen die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, um eine Ausbildung anbieten zu können. Auf der anderen Seite sehe ich dieses politische Gewicht der Krankenhäuser – nicht ohne einen Blick in Richtung Deutschland zu riskieren – als eine große Chance für unser öffentliches Gesundheitssystem.

83 % der Befragten sagen, dass weniger administrative Tätigkeiten dazu beitragen würden, eine gute Ausbildung mit der 48-Stunden-Woche zu vereinbaren. Durch welche Maßnahmen könnte man den administrativen Arbeitsanteil verringern? Gibt es dazu bereits Positiv- Beispiele?
Unter der Voraussetzung, dass alle diese Aufgaben weiterhin so erledigt werden sollen, wie wir das heute als selbstverständlich erachten, bleibt nur die Möglichkeit, diese durch qualifiziertes Assistenzpersonal durchführen zu lassen. Hierdurch verschafft man den Ärzten in Ausbildung mehr Zeit am Patienten und kann den Arbeitsablauf deutlich effizienter gestalten. Als positives Beispiel kommt man nicht um die sich immer weiter durchsetzenden Medizinischen Organisationsassistenten (MOAs) herum. Immer mehr Krankenhäuser erkennen die Sinnhaftigkeit dieser Struktur, aber es dürfte gerne etwas schneller gehen.

56 % der Befragten wünschen sich mehr Ausbildungsoberärzte, aber nur 5 % eine bessere Betreuung durch dieselben. Ist Ausbildung demnach hauptsächlich ein Ressourcenthema?
Es zeigt vor allem, dass die Ressource Zeit in der Ausbildung sehr knapp bemessen ist, sich die Ausbildenden in der zur Verfügung stehenden Zeit aber große Mühe geben. Man könnte auch sagen, die Lehrer sind gut, aber die Klassen zu groß.

Gibt es noch ein Thema, das Sie besonders gerne ansprechen möchten?
Das gibt es in der Tat. Die Österreichische Ärztekammer trägt schon seit vielen Jahren die Verantwortung für die ärztliche Ausbildung. Derzeit ist eine politische Diskussion im Gange, die unter Umständen dazu führen wird, dass die Letztkompetenz in Sachen Ausbildung den Ländern oder den Magistraten bzw. den Bezirkshauptmannschaften übergeben wird. Das muss unbedingt verhindert werden, schließlich kann man nicht von Transparenz sprechen, wenn der
Eigentümer der Krankenhäuser den Ausbildungsschlüssel selbst bestimmen darf! Unsere Unabhängigkeit ist in dieser Sache ein wichtiger Garant für die Qualität in der Ausbildung, welche letztlich ausschlaggebend ist, ob junge Ärzte in Österreich bleiben oder nicht.