Innovationsschub bei Arzneimitteln

Am 10. Mai 2022 wurde im Rahmen eines Pressegesprächs ein Report der Medizinmarktaufsicht der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) und des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI) präsentiert.

Großer Nutzen für die Gesellschaft

„Die forschende Pharmaindustrie steckt europaweit 38 Mrd. Euro pro Jahr in die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente und Therapien. Selbst in Österreich werden 311 Mio. Euro aufgewendet. Und das ist ein Investment in die Zukunft“, betonte Bernhard Ecker, Präsident des FOPI, anlässlich der Präsentation der Arzneimittel-Innovationsbilanz 2021. Diese – mit mehr als 15% höchste – F&E-Quote aller Technologiesektoren erzeugt für die Gesellschaft einen hohen Nutzen, ist Ecker überzeugt: „Bedenkt man, dass die Corona-Lockdowns nach Berechnungen von Agenda Austria rund 17,03 Mrd. Euro gekostet haben, kann man die Investitionen in die Gesundheit der Österreicher:innen gar nicht hoch genug einschätzen. Gesundheit ist somit also auch ein Wirtschaftsfaktor.“

Klinische Forschung in Österreich wieder im Steigen

Abb.: Klinische Studien in Österreich nehmen wieder zu.

Um fortschrittliche Therapien entwickeln und auf den Markt bringen zu können, ist klinische Forschung unverzichtbar. „Nach einigen Jahren mit rückläufiger Tendenz ist die Zahl der klinischen Studien erfreulicherweise wieder gestiegen“, so Ecker weiter (siehe Abb. ). Nach 273 hierzulande ge­starteten klinischen Studien im Jahr 2020 erhöhte sich der Wert 2021 auf 289 Studien. Mehr als 8% davon entfielen auf Studien mit Bezug zu COVID-19.Der Löwenanteil der klinischen Forschung entstammt der Onkologie: 52% der Studien sind hier angesiedelt, 15% in der Hämatologie, gefolgt von je 11%, die sich mit Autoimmunerkrankungen und mit neurologischen Erkrankungen befassen.

Hoher Wert klinischer Forschung

Weiters betonte Ecker den hohen Stellenwert dieser klinischen Studien für das österreichische Gesundheitssystem, da die Forschung nicht nur Top-Ärzt:innen anziehe, sondern auch zur Ausbildung der Mediziner:innen beitrage, da die Befassung mit State-of-the-Art-Medizin im Zentrum stehe. Zudem ermögliche sie Patient:innen den Zugang zu neuesten Entwicklungen und gewährleiste eine engmaschige Betreuung. Außerdem bringen sie dem System Einsparungen, da die Medikamente von den forschenden Unternehmen getragen werden, und sie erzielen nachweislich hohe Wertschöpfung, so Ecker: „Eine Untersuchung des IPF ergab etwa, dass dem Gesundheitssystem im Zuge klinischer Forschung medizinische Behandlung im Wert von 100 Mio. Euro erspart wurde.“
„Dementsprechend sollten wir alles tun, um klinische Studien nach Österreich zu holen“, fordert der FOPI-Präsident. „Doch da steht Österreich im Wettbewerb mit anderen europäischen Ländern, und dabei zählt auch der rechtzeitige und gerechte Zugang zu Innovationen. Leider verschafft sich unser Land durch die gelebte Praxis des EKO jedoch durch teilweise drastische Verzögerungen immer wieder Nachteile.“

Fast 400 innovative Arzneimittel in den letzten zehn Jahren

Ergebnis der intensiven Forschungsarbeit sind innovative Medikamente mit neuen Wirkstoffen. „In den letzten zehn Jahren wurden in Summe 378 innovative Arzneimittel in Österreich zugelassen“, erläuterte Christa Wirthumer-Hoche, Leiterin des Geschäftsfelds Medizinmarktaufsicht der AGES. „Damit konnte das hohe Niveau der letzten Jahre – trotz Pandemie – unverändert aufrechterhalten werden.“ 2021 konnten in der Europäischen Union und damit auch in Österreich exakt 41 Innovationen zugelassen werden – darunter 10 neue ­Onkologika, 4 Medikamente gegen seltene Erkrankungen bei Kindern, 4 COVID-19-Impfstoffe und 3 COVID-19-Therapeutika.

Innovation auch in den Prüf- und Zulassungsverfahren

„Die letzten beiden Jahre waren aber auch ein Musterbeispiel für Innovation in den Prozessen“, unterstrich Wirthumer-Hoche. „Der von der EMA eingeführte Rolling Review konnte die Prüf- und Zulassungsabläufe markant beschleunigen. Kombiniert mit der exzellenten Kooperation von Behörden, Ethikkommissionen und Industrie, konnten den Patient:innen somit in nie gekannter Geschwindigkeit neue Medikamente und Therapien zur Verfügung gestellt werden.“

Wichtige Stellung Österreichs im europäischen Zulassungsprozess

Die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) spielt dabei eine entscheidende Rolle, und ihre Arbeit wird auch in den europäischen Institutionen geschätzt: So erhielt die AGES letztes Jahr im zentralen Zulassungsverfahren 18x als (Co-)Rapporteur und 5x im multinationalen Gutachterteam den Zuschlag, die Begutachtung vorzunehmen. Damit liegt die heimische Institution sowohl im Bereich der Begutachtung für zentrale Zulassungsverfahren als auch bei den Verfahren zur wissenschaftlichen Beratung im europäischen Spitzenfeld.

Ärzt:innen und Patient:innen ­profitieren

Aus ärztlicher Sicht hob Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Hilbe, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie (OEGHO), die Bedeutung von innovativen Therapien hervor. Er betonte aber gleichzeitig auch: „Die Österreicher:innen werden immer älter und leben mit verschiedenen Erkrankungen immer länger. Das bedeutet für die Onkologie, dass wir mittelfristig von einer Verdoppelung der Patientenzahlen ausgehen müssen. Wir haben es dann mit polymorbiden Patient:innen zu tun, die eine komplexe polypharmazeutische Behandlung erhalten. Das erfordert hohes Know-how von den Ärzt:innen und passende Strukturen in unserem Gesundheitssystem. Denn es bringt nichts, wenn hochinnovative Therapien am Markt sind, die Patient:innen aber nicht erreichen“, so Hilbe. „Es wird daher nötig sein, dass exponentiell ansteigende Wissen über Therapien zu bündeln, also zu zentralisieren, und parallel dazu die Versorgung der Menschen niederschwellig anzubieten, also zu dezentralisieren.“
Aus Sicht der Allianz der onkologischen PatientInnenorganisationen sollten laut Obfrau Helga Thurnher die Bedürfnisse und Erfahrungen der Patient:innen mehr berücksichtigt werden und in die Forschung einfließen. Hierzu gibt es bereits erprobte Vorgehensweisen und Erfahrungen. Lebensverlängerung muss mit Lebensqualität einhergehen, und dazu gehören auch ein gutes Nebenwirkungsmanagement, stetige Informationen über neue Therapien sowie ein unbürokratischer Zugang, um diese auch zu bekommen.