Der Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) Peter Fasching spricht im RELATUS-Sommergespräch über Fortschritte in der Versorgung von Typ-2-Diabetes und neue Forschungsansätze bei Typ 1.
Welche Fortschritte hat es in der Diabetes-Versorgung in Österreich in den vergangenen Jahren gegeben? Einer der Hauptschwerpunkt der Österreichischen Diabetes Gesellschaft ist nach wie vor die Versorgung von Menschen mit Typ-2-Diabetes zu verbessern. Wir wollten und wollen ein strukturiertes Versorgungsprogramm im Rahmen einer integrierten Betreuung etablieren. Als ÖDG haben wir versucht, nicht nur ein Player unter vielen zu sein, sondern maßgeblich Einfluss auf Entwicklungen zu nehmen. Das ist uns, denke ich, gelungen. Es gab in den vergangenen Jahren verschiedene Initiativen mit dem Ministerium, der Arbeiterkammer, der GÖG, um Programme zu entwickeln. Die inhaltlichen Konzepte waren nicht immer realistisch, vieles wurde daher bis heute nicht umgesetzt. Aber jetzt ist es gelungen: Gemeinsam mit Fachgesellschaften und dem Ministerium haben wir ein finales Konzept für ein integriertes Versorgungsmodell für Typ-2-Diabetes erarbeitet, über alle Versorgungsstufen hinweg.
Welche Vorteile soll dieses Versorgungsmodell bringen? Ziel ist es, sowohl die primärmedizinische als auch die fachärztliche Betreuung zu verbessern. Diabetologisch-internistische Leistungen sollen in die Kassenrefundierung kommen. Therapeutische Gespräche sind bisher unzureichend honoriert. Mal sehen, ob es im Rahmen der Diskussionen über den Gesamtvertrag und die Modernisierung des kassenärztlichen Leistungsprofils eine Chance gibt, diese diabetologischen Kompetenzen einzubringen.
Welche konkreten Schritte sind nun notwendig? Wichtig ist die gesetzlich verankerte Diagnosecodierung im niedergelassenen Bereich. Sie ist gesetzlich verankert, aber noch nicht umgesetzt, wird aber kommen. Damit hat man den Schlüssel, um mit der Erstdiagnose Typ-2-Diabetes ins integrierte Modell einzutreten. Das soll Standard werden, die Frage ist, inwiefern die Kassenärzt:innen mitmachen. Mit der elektronischen Diagnoseerfassung müsste das gewährleistet sein – ähnlich wie beim Impfpass. Auch ein elektronischer Diabetespass sollte angelegt werden, mit allen erhobenen und zu erhebenden Befunden, inklusive Diabetes- und Ernährungsschulung. Später könnten Patient:innen diesen Pass auch als App nutzen, mit Infos zu Kontrolluntersuchungen – möglichst mit einem digitalen Erinnerungssystem, dem aktuellen HbA1c-Wert und so weiter. Daraus ließe sich als wichtiges Zusatzprojekt ein anonymisiertes österreichweites Diabetes-Register erstellen, was uns ja derzeit noch fehlt.
Welche Rolle spielt dabei die elektronische Gesundheitsakte ELGA? Befunde sollen über ELGA allen Gesundheitsberufen zugänglich sein, die Patient:innen betreuen, auch Pflege und therapeutischen Dienste, wie die Diätologie. Das kann dabei helfen, Kriterien zu definieren, ab wann eine Überweisung in die nächste Versorgungsebene notwendig ist. Wenn jemand dann wieder gut eingestellt ist, kann die Betreuung wieder in der Primärversorgung weiter erfolgen. Alles soll elektronisch mitlaufen, inklusive E-Medikation.
Wie realistisch ist die baldige Umsetzung des integrierten Versorgungsmodells? Es ist in greifbare Nähe gerückt. Die ÖDG hat dafür viel investiert, Unterstützung kam auch vom Verein Praevenire, etwa bei Präsentationen. Bei den Gesundheitstagen in Eisenstadt am 10. Oktober 2025 wollen wir das integrierte Diabetes-Versorgungsmodell-Modell Frau Sozialministerin Korinna Schumann als Leuchtturmprojekt präsentieren und dies mit ihr diskutieren. Wir hoffen, dass es für die Ministerin wichtig und relevant ist. Dann könnten in der Folge Mittel freigegeben werden, um eine Umsetzung bis 2028 zu realisieren. Das braucht auch Mittel aus dem Budget, das im Moment ja eher schmal erscheint. Aber es könnte klappen, wenn Ministerin Schumann und Staatssekretärin Königsberger-Ludwig auch von unserem Projekt überzeugt sind. Im ersten Quartal 2026 ist wieder ein Treffen der dafür eingerichteten, fokussierten Expert:innengruppe vorgesehen, die weitere Schritte diskutiert. Das integrierte Versorgungsmodell könnte ja auch auf andere chronische Erkrankungen ausgeweitet werden, etwa Chronische Herzinsuffizienz und COPD.
Woran arbeitet die ÖDG außerdem? An einer Neuauflage unserer Therapieempfehlungen. Die aktuellen stammen aus 2023, die nächsten werden 2026 publiziert, voraussichtlich zur Frühjahrstagung vom 21. bis 22. Mai in Linz, abrufbar als ePub. Die Koordination liegt bei meinem Kollegen Martin Clodi. Außerdem blicken wir mit Freude auf die bald stattfindende Jahrestagung vom 20. bis 22. November 2025 in Salzburg.
Welche Diskussionen erwarten Sie dort? Ein großes Thema ist die Refundierung neuer Arzneimittel. Die Verfügbarkeit und Lieferbarkeit von GLP-1-Rezeptoragonisten ist gesichert, es gibt keinen Engpass. Im Zeitraum vom 17. bis 19. September wird bei der europäischen Diabetestagung EASD in Wien die große Endpunktstudie „SURPASS CVOT“ mit einem Vergleich von Tirzepatid versus Dulaglutid präsentiert. Dieser Wirkstoff Tirzepatid ist sehr potent, aber nicht billig. Wie und wann Tirzepatid in der Indikation Diabetes mellitus Typ 2 erstattbar verordnet werden kann, bleibt die Frage. Für die Indikationen Adipositas und Prädiabetes sind diese Medikamente derzeit generell nicht refundierbar, dieser Umstand wird aber in Zukunft stärker thematisiert werden.
Und wie steht es um Typ-1-Diabetes und neue Therapien? Nächstes Jahr wollen wir Diabetes mellitus Typ 1 stärker in den Fokus der ÖDG rücken. In der breiten Bevölkerung ist das Bewusstsein dafür noch zu gering. Gleichzeitig tut sich viel bei den zukünftigen Therapieoptionen, die vermutlich aber kostspielig sein werden. International dürfte sich ein im Bereich der daran forschenden Firmen ein Konsortium gebildet haben, das sich zum Ziel gesetzt hat, den Diabetes mellitus Typ 1 neu zu „framen“ – als „die übersehene bzw. nicht wahrgenommene Krankheit“. Wir als ÖDG wollen natürlich auch unsere Position einbringen: mehr Awareness, in Zukunft Mittel für kommende Therapieoptionen. Neu ist jetzt schon die Klassifikation des Typ 1 Diabetes: Schon bei leichten Glukoseregulationsstörungen und Antikörperbefunden spricht man von einer Diagnose des Stadiums 2. Es gibt ein erstes immunmodulierendes Medikament, Teplizumab, das bereits von der FDA in den USA, aber noch nicht von der EMA in Europa zugelassen ist, das in dieser frühen Phase verabreicht wird, um den Zeitpunkt der Insulinbedürftigkeit hinauszuzögern. Alle Menschen auf diese Antikörper zu screenen scheint derzeit schwierig, eher wird man am Anfang Angehörige bereits betroffener Personen untersuchen, später definierte Risikokollektive. Von völliger Heilung ist leider noch keine Rede, aber man kann den Ausbruch der klinisch manifesten Erkrankung um ein bis zwei Jahre verschieben. (Das Interview führte Katrin Grabner)