„Facharzt für Allgemeinmedizin wird in 5 bis 7 Jahren versorgungswirksam“

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Die Vizerektorin für Lehre an der Meduni Wien, Anita Rieder, beantwortet im RELATUS-Interview wie und wann der Facharzt für Allgemeinmedizin kommt.

Sie waren im Obersten Sanitätsrat Arbeitsgruppenleiterin für den Facharzt für Allgemeinmedizin, der nun tatsächlich kommen soll. Sind Sie mit der aktuellen Lösung zufrieden? Ich habe das Papier noch nicht im Detail gesehen. Als Arbeitsgruppenleiterin habe ich damals vor der Pandemie aber den Abschlussbericht geschrieben und mir jetzt das Resümee und den Ausblick angeschaut. So wie es aussieht, sind wir mit dem, was im Bericht steht, nicht weit daneben gelegen. Es gibt ein paar entscheidende Punkte: Die Ausbildung ist einer, eine gute Ausbildung braucht Zeit. Hier muss reevaluiert werden, wo die Ausbildung stattfinden soll, in welchen Fachbereichen und wie die Qualität dort aussieht. Wo ist die gewünschte Qualität schon vorhanden, wo muss sie noch aufgesetzt werden? Ich habe gehört, die Ausbildung wird fünf Jahre dauern, das kann ich aber noch nicht bestätigen. Wir haben das damals aber auch so in den Bericht geschrieben. Es muss auf jeden Fall vergleichbar sein mit anderen Fachärzt:innen.

Wie lange wird es also noch dauern, bis der Facharzt für Allgemeinmedizin versorgungswirksam eingeführt ist? Das wird fünf bis sieben Jahre dauern, wenn wir ihn jetzt einführen. Es muss klar sein, dass es gute Übergangsregelungen braucht, um keinen Gap zu erzeugen, indem Allgemeinmediziner:innen aus dem System genommen werden. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Versorgungswirksamkeit. Unabhängig von der Anzahl der Absolvent:innen, müssen die jungen Ärzt:innen versorgungswirksam sein. Die Primärversorgung ist eine Versorgung mit einer niedrigen Barriere – wir wissen wo die sozial Schwächeren, die Älteren hingehen: sie gehen in die hausärztlichen Praxen. Der Fokus muss also auf Versorgungswirksamkeit und Ausbildungsqualität liegen. Den jungen Allgemeinmediziner:innen geht es nicht um Titel, sie wollen gute Betreuung.

Was genau bedeutet „gute Betreuung“ in diesem Zusammenhang für Sie, für die Studierenden? Die Anforderungen an die hausärztliche Tätigkeit sind groß und müssen ein komplexes Versorgungsspektrum abdecken. Die Anforderungen an die Ausbildung sind deshalb genauso groß und müssen sich in der Ausbildungsqualität entsprechend niederschlagen. Die Ausbildung für Ärztinnen und Ärzte in der Allgemeinmedizin ist genauso spezifisch und fokussiert zu sehen, zu behandeln und entsprechend anzubieten wie zum Beispiel jene von Neurochirurg:innen. Für junge Mediziner:innen ist eine sehr gute Ausbildung und Betreuung ein zentraler Punkt, warum sie sich für einen Bereich oder einen Ausbildungsort entscheiden.

Und ist diese Qualität in den Lehrordinationen derzeit gegeben? Die Zahl der Studierenden, die in unseren Lehrordinationen einen Teil ihres klinisch-praktischen Jahres machen wollen, steigt ständig. Die engagierten Lehrordinationen, also Hausärzt:innen, sind wichtige Partner:innen der Universität und die Mentor:innen für die Studierenden. Sie lernen dort den komplexen Alltag besser kennen und auch die Zusammenarbeit mit dem Psychosozialen Dienst, Drogenberatungsstellen, Hospiz und anderen wichtigen Einrichtungen, mit denen Hausärzt:innen zusammenarbeiten.

Wie hat sich die Pandemie auf die Ausbildungsqualität in der Allgemeinmedizin ausgewirkt? Das Feedback der Studierenden war sehr gut, auch in der besonders schwierigen frühen Zeit der Pandemie. Unsere Lehrbeauftragten in den Kassenordinationen haben die Studierenden auch während der Pandemie weiterhin unterrichtet. Sie haben ihnen auch in dieser schwierigen Zeit Wesentliches mitgeben können und sie uneingeschränkt weiter betreut. Auch unsere Studierenden, die sich für die Hausarztpraxen entschieden haben, sind in der Pandemie weiter in ihrem Praktikum geblieben und waren wichtige Teammitglieder. An den Hausärzt:innen konnten sie miterleben, wie essentiell die hausärztliche Versorgung inklusive Pandemiemanagement ist. Sie haben Erfahrungen gemacht, wie wichtig zum Beispiel Telemedizin werden kann und auch wir an der Universität haben der Allgemeinmedizin in unserer Lehreentsprechenden Raum gegeben. Die Zukunftsprognosen sind ja leider nicht die allerbesten. Die soziale Ungleichheit wird die gesundheitliche Ungleichheit künftig noch stärker beeinflussen. Wir sehen eine steigende Prävalenz von chronischen Erkrankungen bereits in den mittleren Lebensjahren, welche den Anteil der gesunden Lebensjahre weiter beeinträchtigen wird. Der Bedarf der Bevölkerung an medizinischer Versorgung – vor allem einer kontinuierlichen Primärversorgung – ist groß und wird noch größer werden.

Apropos Zukunft, wann wird die Professur für Allgemeinmedizin an der MedUni Wien neu besetzt? Sie wurde aktuelle ausgeschrieben und im November wird es die ersten Gespräche geben. Ich bin zuversichtlich, dass wir sehr bald eine Besetzung haben, welche die Herausforderungen professionell im akademischen Sinn, aber auch mit starkem Praxisbezug meistern wird. (Das Interview führte Katrin Grabner)