Gesundheitsminister zieht im RELATUS-Interview erste Bilanz

(c) Richard Tanzer

RELATUS sprach mit Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) über seine bisherige Bilanz im Ministeramt und die Pandemiepläne für den Sommer.

 

Welche Bilanz ziehen Sie nach fast 100 Tagen? Was wurde erreicht, was nicht? Und wo hätten Sie sich mehr erhofft oder gewünscht? Wie ist das mit der Schonfrist? Ich dachte, die ersten 100 Tage wird man in Frieden gelassen (lacht). Wir haben die ersten wichtigen Öffnungsschritte gemacht. Den von Rudi Anschober begonnenen Ausbau des Ministeriums haben wir fortgesetzt in die abflauende dritte Welle hinein, was es sicher leichter gemacht hat. Dazu kamen die Impfungen. Drei Wochen nachdem ich Minister wurde, hat Biontech/Pfizer angekündigt, dass eine Million Impfdosen vom vierten Quartal vorgezogen werden, die auch tatsächlich gekommen sind. Das war wie eine Morgengabe.

Was hat Sie in der Politik bisher überrascht? Als Arzt habe ich die Gesundheitspolitik und Coronapolitik wie viele von außen beobachtet. Jetzt habe ich in den vergangenen zehn Wochen schon gesehen, dass es unglaublich viel Detailarbeit ist, und dass viele Menschen viele Stunden sehr akribisch arbeiten – etwa damit Verordnungen, Einreiseverordnungen entstehen und auch alles akkordiert werden muss mit dem Koalitionspartner. Denn ohne Einigung mit dem Koalitionspartner kann auch keine Verordnung erlassen werden. Ich habe einen tiefen Respekt gewonnen vor der Arbeit, die hier im Haus gemacht wird – das ist alles sehr viel und fordernd. Ich kann jetzt einschätzen, was die Beamten hier im Haus und Rudi Anschober in den vergangenen Monaten geleistet haben – die hatten es sicher viel schwerer als ich jetzt. Da war die Medizinrechtssektion noch nicht aufgestockt, es gab noch vakante Sektionen und es war alles neu. Im März 2020 musste plötzlich alles rasch funktionieren in einem Haus, das natürlich nicht für die Pandemie gebaut worden ist.

Sie haben zu Fehler im vergangenen Sommer am Freitag gesagt, dass Sie garantieren, dass das dieses Jahr anders gemanagt wird. Nun rollt die Deltavariante auf uns zu – welche Fehler des Vorjahres sollten heuer nicht mehr gemacht werden? Zum einen haben wir jetzt schon eine ganz andere Situation als vor einem Jahr. Ich kann mich erinnern, dass wir in der Ordination am Anfang RCR-Tests hatten, die 100 Euro gekostet haben, drei Tage gedauert haben und mit dicken, fast gemeingefährlichen Staberln getestet wurde. Die Schnelltests und Gurgeltests haben wir seit Ende Oktober, geimpft wird seit Ende Dezember. Wir haben jetzt also eine andere Situation, weil wir zum einen die Impfungen haben und wir ein breites Testangebot haben. 60 % der PCR-Proben werden auch sequenziert und wir haben die 3G-Regeln. Wir wissen aber auch, dass die Deltavariante in Österreich bereits dominiert. Dann werden auch die Zahlen der Ansteckungen unter den einmal Geimpften und Nichtgeimpften steigen. Wie rasch sie steigen, wird nicht unwesentlich davon abhängen, wie viele Menschen sich in Österreich impfen lassen. Wobei wir hier auch schon eine beginnende Impfmüdigkeit feststellen, wie in anderen Ländern auch.

Was kann hier helfen? Wir haben wie gesagt eine sehr gute Ausgangssituation, praktisch leere Intensivstationen und eine relativ niedrige Siebentagesinzidenz. Aber wir wissen, die Deltavariante breitet sich aus. Sie ist ansteckender, aber führt vermutlich nicht zu einer höheren Spitalshäufigkeit. Das hat sicher auch damit zu tun, dass der Altersschnitt bei den Infektionen jetzt bei rund 30 liegt – das war vor einem Jahr noch anders. Unsere Chance mit der Deltawelle vernünftig umzugehen, ist rasch zu impfen. Wir haben jetzt die Impfintervalle maximal verkürzt und auch das heterologe Impfen ist mittlerweile möglich, weil wir Doppeltgeimpfte brauchen. Wir sind da noch ein bisschen vorsichtig, aber es zeigt sich bei zunehmender Datenlage, dass das heterologe Impfen eine gute Idee ist. Dieser „off-label-use“ kann allerdings nur nach besonderer Aufklärung des Arztes oder die Ärztin erfolgen. Wenn etwas off-label verwendet wird, dann muss die Aufklärung besonders genau sein, muss besonders genau dokumentiert werden, bis die Wissenschaft am Ende dann durch Studien belegen kann, dass es sicher ist und dass auch eine Empfehlung herausgeht.

Die Gesundheitsökonomin Maria Hofmarcher (Austrian Health Academy) hat das Pandemiemanagement analysiert und kritisiert massiv die Arbeit der Bundesländer. Fazit: Der Föderalismus hat zu mehr Todesfällen und Erkrankungen geführt. Was sagen Sie dazu? Ist der Föderalismus im Gesundheitsbereich hinderlich? Es wurde schon relativ früh vereinbart, dass die Länder das Testen und Impfen organisieren. Es ist sehr unterschiedlich gehandhabt worden. In Salzburg gab es wenige Impfstraßen und es haben sehr viele niedergelassene Ärzte geimpft, in Wien geht es fast ausschließlich über große Impfstraßen. Das vergleichen wir jetzt und schauen uns an, welches System besser funktioniert hat und was man daraus lernen kann. Es gibt auch einen Konsens zwischen der Sozialversicherung, den Ländern und dem Gesundheitsministerium, dass ab dem Herbst verstärkt die niedergelassenen Ärzte in das Impfen eingebunden werden sollen. Die Lokalitäten der Impfstraßen haben ja eigentlich andere Bestimmungen und sollen diese zum Teil auch wieder übernehmen. Wir diskutieren aber auch grundsätzlich wie wir wollen, dass alle Impfungen, die im österreichischen Impfplan sind, öffentlich gezahlt werden. Für das niederschwellige Impfen bieten die Bundesländer gerade viele neue Formate an, von der Impfung ohne Termin bis hin zur Impfung auf der Party oder im Schwimmbad. So werden wir in den kommenden Wochen immer mehr Menschen erreichen und ihnen ein kostenloses Impfangebot machen können.

Das Interview führten Dr. Wolfgang Tüchler und Martin Rümmele