Impfstoffsuche wird zum Wettstreit der Weltmächte – so weit sind die Russen

Die USA wollen einen möglichen US-Corona-Impfstoff mit dem Rest der Welt erst teilen, wenn sie selbst genug haben. Russland verkündet gleichzeitig, dass man bereits einen Impfstoff hat. RELATUS MED zeigt, was hinter dem Wettstreit steht und was vom russischen PR-Gag zu halten ist.

Jetzt wird die Suche nach einem Corona-Impfstoff endgültig zum Wettstreit der Weltmächte. Die USA wollen einen möglichen US-Corona-Impfstoff mit dem Rest der Welt erst teilen, wenn – „America First“ – sie selbst genug bekommen haben. „Unsere erste Priorität ist natürlich die Entwicklung und Produktion einer ausreichenden Menge von sicheren und wirksamen durch die FDA zugelassenen Impfstoffen und Medikamenten zum Einsatz in den Vereinigten Staaten“, sagte US-Gesundheitsminister Alex Azar nun. Sobald der Bedarf der USA gedeckt sei, gehe er davon aus, dass diese Produkte der Weltgemeinschaft zu einer fairen und angemessenen Verteilung zur Verfügung stehen. US-Präsident Donald Trump hatte in der vergangenen Woche von der Möglichkeit gesprochen, dass es einen Impfstoff noch vor der US-Wahl am 3. November geben könnte.

Zu einer ähnlichen PR-Aktion griff am Dienstag Russlands Präsident Wladimir Putin. Er erklärt, dass Russland als erstes Land der Welt eine Impfung gegen das Coronavirus entwickelt habe. Die Impfung sei Dienstagfrüh in Russland zugelassen worden, sagte Putin während einer vom Fernsehen übertragenen Videokonferenz mit Regierungsvertretern. „Ich weiß, dass sie wirksam ist, dass sie dauerhafte Immunität gibt“, fügte er hinzu. Details gab er nicht bekannt, allerdings erfolgte die Zulassung offenbar noch ohne große Wirksamkeitsprüfung (Phase-III) an tausenden Probanden, was bei österreichischen Experten und international zu Skepsis führt.

Die Impfung soll ab dem 1. Jänner in den Umlauf gebracht werden, wie russische Agenturen unter Berufung auf das Arzneimittelregister des Gesundheitsministeriums berichteten. Putin berichtete, dass sich auch eine seiner Töchter im Rahmen der Tests des in Russland entwickelten Stoffs habe impfen lassen. Sie habe eine leicht erhöhte Temperatur entwickelt, „das war alles“, sagte er. Russland will ab September mit der Massenproduktion eines Impfstoffes zu starten. Ausländische Experten äußerten ihre Besorgnis über die Geschwindigkeit, mit der das Land einen eigenen Impfstoff entwickelt. Die WHO forderte Russland auf, sich bei der Herstellung eines Corona-Impfstoffes an die festgelegten Richtlinien für die Produktion sicherer und wirksamer Medikamente zu halten.

„Sputnik V“ – so lautet der Name des russischen Impfstoffes, benannt nach dem sowjetischen Sputnik-Satelliten, der im Oktober 1957 als erster Satellit weltweit in eine Umlaufbahn um die Erde gebracht wurde. Das V steht dabei für Virus. Laut Kirill Dmitrijew, Chef des russischen Staatsfonds, der das Projekt finanziert, soll am Mittwoch die dritte und letzte klinische Testphase beginnen. Entwickelt hat den Impfstoff das Gamaleja-Institut für Epidemiologie in Moskau gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium. Dmitrijew zufolge gibt es bereits Vorbestellungen von 20 Ländern in einem Umfang von „mehr als einer Milliarde Dosen“.

WHO-Sprecher Christian Lindmeier wies in dem Zusammenhang darauf hin, dass Russland bisher noch keine überprüfbaren Studien über seine Forschungsergebnisse veröffentlicht habe. Es bestehe ein Unterschied, ob tatsächlich ein funktionierender Impfstoff gefunden wurde, der alle vorgeschriebenen Testphasen durchlaufen habe, oder ob nur die Vermutung da sei, einen solchen Impfstoff gefunden zu haben. Die österreichische Expertin Ursula Wiedermann-Schmidt (Meduni Wien) erklärte gegenüber der APA: „Zulassung nach einer Phase-II? Das ist offenbar wirklich nur in Russland möglich. Zum Glück und richtigerweise undenkbar ohne Phase-III für unsere Breiten!“ Es fehlten aber Details, um das Projekt beurteilen zu können. „Aktuell würde mir den nicht verabreichen lassen. Ganz sicher nicht außerhalb einer klinischen Versuchsreihe“, sagte Scott Gottlieb, der frühere Chef der US-Behörde für Lebensmittel und Arzneimittel-Sicherheit (FDA), am Dienstag im US-Fernsehen. „Niemand weiß, ob es sicher ist oder ob es funktioniert. Sie bringen die Mitarbeiter im Gesundheitswesen und ihre Bevölkerung in Gefahr“, schrieb der aus Österreich stammende Wissenschafter Florian Krammer, Virologe am New Yorker Krankenhaus Mount Sinai, auf Twitter.

„Unser Impfstoff basiert auf zwei sogenannten Vektoren, modifizierten Viren, die das Genmaterial des Coronavirus in die menschliche Zelle bringen. In diesem Fall sind das Adenoviren, die eine sehr leichte Form der Grippe auslösen“, wurde Dmitrijew, vor wenigen Tagen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in einem Interview zitiert. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sorgt die zweimalige Impfung im Abstand von 21 Tagen mit dem Stoff für eine „lange Immunität“. Diese könnte demnach bis zu zwei Jahre anhalten. Dmitriejew: „Das Besondere ist, dass es sich um eine leicht veränderte Version zweier früher in Russland entwickelter Impfstoffe handelt: ein Impfstoff gegen das Ebolavirus, der schon zugelassen ist und den dasselbe Institut vor sechs Jahren entwickelt hat; das andere ein Impfstoff gegen das MERS-Virus. Und damit hat Russland einen Vorteil, den manche im Westen gerne übersehen: Wir nutzen eine schon bekannte Plattform für unseren Impfstoff. Deshalb habe ich mich damit impfen lassen und es meinen 74 Jahre alten Eltern auch empfohlen.“ Die für Gesundheitsfragen zuständige Vize-Regierungschefin Tatjana Golikowa hofft nach eigenen Angaben, bereits in den kommenden Wochen mit der Impfung des medizinischen Personals beginnen zu können. Lehrer sollen ebenfalls zum ersten Personenkreis zählen, der geimpft wird. (APA/red)