„Keine Furcht vor Künstlicher Intelligenz“

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Georg Delle Karth, Präsident der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft (ÖKG), spricht im RELATUS-Sommergespräch über die positiven Auswirkungen von KI in der Kardiologie und der Dokumentation im Spitalswesen.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind immer noch die Todesursache Nr. 1 in Österreich. Gibt es denn auch gute Nachrichten aus der Kardiologie? Auf jeden Fall. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gab es einen Erfolgslauf. Wir haben so viele neue Möglichkeiten in der Behandlung kardiologischer Erkrankungen – von interventionellen Klappeneingriffen über Elektrophysiologie bis hin zur erfolgreichen Behandlung von koronaren Herzerkrankungen. Aber auch in der Prävention gab es Durchbrüche, zum Beispiel bei der erfolgreichen Behandlung der Hypercholesterinämie. Mit den heutigen Möglichkeiten kann man gesund sehr alt werden. Da spielt auch Künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle.

Inwiefern? In diesem Bereich gab es beispielsweise revolutionäre Entwicklungen in der Bildgebung. Bei Ultraschall, MRT, CT und so weiter kann KI helfen, die Behandlung individueller und patient:innenorientierter zu gestalten. Durch eine bessere Bildgebung könnten schon bald spezifische Herzklappenprothesen designt werden. Auch in der Diagnose können durch Algorithmen schon jetzt bestimmte Krankheitsbilder vorgeschlagen werden. Das ist eine enorme Unterstützung für die Mediziner:innen, die dann nicht mehr 20 Differenzialdiagnosen im Kopf haben müssen, sondern durch ihre Erfahrung und mithilfe der Vorschläge der KI dann eine Akutdiagnose stellen und eine geeignete Therapie finden können. Das betrifft auch die Pharmakologie, wo in Zukunft über Künstliche Intelligenz sehr spezifisch auf Erkrankungen reagiert werden kann. Dann müssen wir nicht mehr, so wie es jetzt ist, immer die gleichen Phänotypen behandeln, sondern können auf die genetischen Eigenschaften der einzelnen Patient:innen eingehen.

Für den erfolgreichen Einsatz von Künstlicher Intelligenz braucht es allerdings eine gute Digitalisierung. Wie schätzen Sie hier die Lage ein? Bei allen Vorteilen, die KI bieten kann, muss man natürlich auch die Problemfelder beleuchten. Die Digitalisierung – oder die fehlende Digitalisierung – ist hier ein Thema. Da müssen wir viel aufholen. In den meisten österreichischen Spitälern herrscht die digitale Welt von vor 20 Jahren. Da braucht schon allein das Bedienen der Systeme viele Ressourcen. Gerade in Zeiten des akuten Personalmangels sollte angedacht werden, wie man Spitzenpersonal in Pflege und im medizinischen Bereich digital entlasten und näher zu den Patient:innen bringen kann. Eine Grunddokumentation ist immer erforderlich, aber da braucht es modernere Formen. So wie Dokumentation derzeit betrieben wird, sind wir eindeutig über das Ziel hinausgeschossen. Einerseits pflegen wir eine ganze Menge an Daten ein, die teils aber kaum Relevanz für die Behandlungsqualität oder politische Entscheidungsfindung haben, weil sie nicht in Registern zusammengeführt werden. Andererseits werden diese Daten von Personal eingepflegt, dass anderweitig gebraucht wird. Systeme wie KI könnten hier helfen, Berichte zu generieren. Individuelle Anpassungen können immer noch durchgeführt werden, die Entscheidung bleibt bei den Mediziner:innen. Aber man spart sich Zeit. Ich denke als, dass wir uns nicht vor KI fürchten müssen. Ganz im Gegenteil.

Um Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzudrängen braucht es allerdings auch den Willen der Bevölkerung. Wie schätzen Sie die Gesundheitskompetenz der Österreicher:innen ein? Ich sehe schon, dass ein Umdenken stattfindet. Wenn auch langsam. Viele Leute verstehen noch nicht, dass es nicht so sein muss, dass man als älterer Mensch eine kardiovaskuläre Krankheit bekommt. Dass man dem schon früh entgegenwirken kann. Viele denken, dass das sowieso nicht vermeidbar ist, aber das stimmt nicht. Es gibt klar umrissene Risikofaktoren, die teilweise selbst beeinflussbar sind: Mehr Bewegung, eine gesunde und ausgewogene Ernährung und nicht rauchen. Letzteres ist besonders wichtig, denn Rauchen ist kardiovaskulär gesehen das Supergift. Da helfen die besten Medikamente nichts. Aber gegen andere Risikofaktoren, wie zu hohes Cholesterin zum Beispiel, kann man sehr wohl etwas machen. Und zwar nicht erst nach dem ersten Infarkt, sondern schon als junger und gesunder Mensch.

Über die Informationsplattform cardioaktiv.at möchte die ÖKG genau über solche Themen aufklären. Wird das gut angenommen? Die Webseite kommt gut an, die Klickraten sind aber ausbaufähig. Wir bei der ÖKG überlegen gerade, wie wir die Plattform attraktiver gestalten können – beispielsweise über Videos, Podcasts, Animationen und so weiter. Wir stehen für eine seriöse Informationsquelle und wollen weiterhin niederschwelligen Zugang zu hochwertigen Informationen schaffen. Die richtigen Fachleute dazu haben wir ja. (Das Interview führte Katrin Grabner)