Mythos: Das beste Gesundheitssystem der Welt  

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Die RELATUS-Redaktion entlarvt in der Serie „Mythen & Fakten“ die gängigsten Scheinargumente im Gesundheitswesen und liefert fundierte Antworten für Diskussionen.

Österreich habe eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, ist oft in politischen Reden zu hören. Immerhin – es hat sich auch bei der Politik die Erkenntnis durchgesetzt, dass Österreich nicht DAS beste Gesundheitssystem der Welt hat. Viele Jahre war nämlich auch das ein gerne genutzter Standardsatz. Er diente vor allen dazu, die Bevölkerung zu beruhigen. Doch die Menschen und auch die Beschäftigten im Gesundheitswesen spüren längst, dass die Situation anders ist. Tatsächlich lohnt sich aber die Frage, an welchen Kriterien, denn der Glaube an das beste System der Welt festgemacht wird. Sind es Wartezeiten, gesunde Lebensjahre, der Zugang zur Versorgung, Mortalitätsraten, Morbiditätsraten, Spitalsbetten und Spitäler, Ärzt:innen pro Kopf oder schlicht die Ausgaben? Zu all diesen Punkten und noch vielen mehr gibt es internationale Daten. Und diese zeigen klar: nirgendwo liegt Österreich an der Spitze.

Eine dieser Datenquellen ist die OECD, die Ende 2025 eine umfassende Analyse zur Situation der Gesundheitssystem veröffentlicht hat. Eine andere Quelle ist der österreichische Rechnungshof, der in den vergangenen Tagen einen Bericht über die ärztliche Versorgung im niedergelassenen Bereich publiziert hat. Dort heißt es etwa, dass der Anteil der Ausgaben für Primärversorgung in Österreich im internationalen Vergleich besonders niedrig ist: „Im Jahr 2022 hatte Österreich mit 10 % der Gesundheitsausgaben die viertniedrigste Quote. In allen EU-Ländern verschoben sich Leistungen vom stationären Bereich zur ambulanten Versorgung.“ In Österreich nicht. Rund 32 % der Gesundheitsausgaben fließen in die stationäre Versorgung, 31 % in die ambulante Versorgung. Beide Werte liegen über dem EU-Durchschnitt und verdeutlichen die starke Belastung der Krankenhäuser und den Nachholbedarf bei der Versorgung durch den niedergelassenen Bereich.

Ein anderer Wert ist die Lebenserwartung. Sie hatte sich im EU-Vergleich insbesondere in den vergangenen Jahren verschlechtert und lag 2023 nur noch 0,1 Jahre über dem EU-Schnitt – 2018 war sie in Österreich noch 0,8 Jahre über dem EU-Schnitt gelegen. ABER: Der Schnitt wird durch ärmere Länder verwässert, gibt es doch einen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Einkommen und Lebenserwartung. Laut Rechnungshof lag der Schnitt der EU-Staaten mit hohem Bruttoinlandsprodukt – dazu gehört auch Österreich – besser als die Alpenrepublik: „Hätte Österreich deren Wert, wären hier rund 2.600 weniger vermeidbare Sterbefälle aufgetreten. Seit 2011 hatte sich Österreich in diesem Vergleich wesentlich verschlechtert“, schreibt der Rechnungshof.

Eine Studie der MedUni Wien kam vor einem Jahr zum Schluss, dass Österreich auch bei den gesunden Lebensjahren schlecht liegt. Während in zahlreichen EU-Länder in den vergangenen Jahrzehnten die gesunden Lebensjahre pro Person gesteigert werden konnten, stagnieren diese Werte in Österreich seit 2008. 2021 lag die durchschnittliche Zahl der Lebensjahre in guter Gesundheit hierzulande mit 61,3 Jahren bei Frauen und 61,5 Jahren bei Männern unter dem EU-Durchschnitt (64,2 bzw. 63,1 Jahre). Auch die Entwicklung der vermeidbaren Sterblichkeit war im internationalen Vergleich ungünstiger, berichtet der Rechnungshof. Und weiter: „Die Spitalsaufnahmen aufgrund von Ambulatory Care sensitive Conditions, der geringe Anteil der Primärversorgung, die hohe Inanspruchnahme von fachärztlichen Leistungen sowie der Anteil der Personen mit Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen (47 %) wiesen auf Verbesserungsbedarf hin.“

Und das, obwohl das österreichische Gesundheitssystem 2021 bezogen auf die Bevölkerung die zweithöchsten Ausgaben in der EU hatte; 2015 waren noch fünf Länder vor Österreich gelegen. Das System ist also teuer, aber nicht unbedingt erfolgreich. Das zeigt sich auch, wenn man einen Blick tiefer macht. In Österreich kamen etwa 2019 rechnerisch rund 140 chronische Beschwerden auf 100 Einwohner:innen über 15 Jahre (EU rund 137), 2014 waren es noch rund 131 gewesen (EU rund 136). Seit 2014 stiegen die chronischen Beschwerden um 7,2 % an, während sie im EU-Schnitt im Wesentlichen gleichblieben. Die ÖGK weist darauf hin, dass sich ein zusätzlicher Behandlungsbedarf auch durch Fortschritte in der Medizin, geänderte Standards (z.B. Definition niedrigerer Normalwerte bestimmter Laborparameter) oder geändertes Patientenverhalten (höheres Risikobewusstsein, geringere Gesundheitskompetenz) ergeben konnte. Doch das gilt auch für andere Länder der EU.

Auch in Hinblick auf Risikofaktoren schneidet Österreich laut OECD-Studie schlecht ab: Die Raucherquote in Österreich lag mit 20,6 % über dem OECD-Durchschnitt von 14,8 %. Der Alkoholkonsum war mit 11,3 Litern pro Kopf in Österreich höher als der OECD-Durchschnitt von 8,5 Litern. 23 % der Erwachsenen in Österreich trieben nicht ausreichend Sport, was unter dem OECD-Durchschnitt von 30 % liegt. Dazu kommen Lücken im Bereich der Vorsorge: In Österreich waren 85 % der Kinder gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten (DTP) geimpft, was unter dem OECD-Durchschnitt liegt. 40 % der Frauen in Österreich nahmen an einem Brustkrebs-Screening teil, weniger als der OECD-Durchschnitt von 55 %. Und selbst dort, wo Österreich über dem Schnitt liegt, ist man nicht das beste Land: Die 30-Tage-Mortalität nach einem akuten Myokardinfarkt (AMI) betrug in Österreich 6,0 % (OECD-Durchschnitt 6,5 %) und nach einem Schlaganfall ebenfalls 6,0 % (OECD-Durchschnitt 7,7 %), basierend auf nicht verknüpften Daten. Alle diese Werte – und da stimmen OECD und Rechnungshof überein – haben mit den Strukturen des Gesundheitswesens und nicht mit der Arbeit Beschäftigten zu tun. In vielen Fällen kämpfen sie sogar mit den schlechten Rahmenbedingen. (rüm)