„Neue Formen, um Ärzt:innen zu helfen“  

(c) Rümmele

Harald Schlögel, Präsident der Ärztekammer Niederösterreich, spricht im RELATUS-Ländertour-Interview, über Ärztemangel, Primärversorgungseinheiten und Hausapotheken.

Wie erleben Sie in Niederösterreich die Debatte über den Mangel an Ärzt:innen? Wir haben zwar mehr Ärzt:innen als noch vor einigen Jahren, aber dennoch einen Ärzt:innenmangel. Denn es steigt einerseits der Bedarf, andererseits arbeiten auch viel mehr Ärzt:innen in Teilzeit. Ich bin als Kassenarzt ein Verfechter eines solidarischen Gesundheitssystems. Jede:r Patient:in soll den Zugang zum richtigen System haben. Es wird aber oft der Weg direkt ins Krankenhaus gesucht und damit zum teuersten System. Die Politik fördert jetzt die Primärversorgungseinheiten als neue Form der Zusammenarbeit, die je nach Region Vor- und Nachteile haben können.

Welche? PVE sind eine neue Variante der ärztlichen Zusammenarbeitsform. Neben den neuen Versorgungsformen dürfen wir aber keinesfalls die Rolle der klassischen Hausärztin beziehungsweise des klassischen Hausarztes und der fachärztlichen Einzelordinationen vergessen. Wir erbringen nach wie vor über 95% der medizinischen Leistungen in den Ordinationen und Gruppenpraxen. Wir haben in Niederösterreich heute mehr Kassenplanstellen als noch vor drei oder fünf Jahren. Auch im vergangenen Jahr sind wieder einige neue Planstellen dazugekommen, wie eine Kassenstelle für Neurologie in Klosterneuburg und eine halbe Planstelle für Neurologie in Gmünd oder auch die halbe Kassenplanstelle für Allgemeinmedizin in Waidhofen an der Ybbs, wo die Ruhendstellung aufgehoben wurde. Darüber hinaus sind auch viele neue Gruppenpraxen entstanden, die für Ärztinnen und Ärzte eine gute Möglichkeit der Zusammenarbeit bieten und auch den Patientinnen und Patienten Vorteile bringen. Wir versuchen in Niederösterreich auch neue Formen zu finden, um niedergelassene Ärzt:innen zu unterstützen – etwa auch im Urlaubs- oder Krankheitsfall.

Wie sehen diese aus? Das niedergelassene System bietet zwar viele Freiheiten der Selbständigkeit, aber auch Risiken, die man im Angestelltenbereich nicht hat. Wir müssen deshalb gerade für junge Kolleg:innen ein gewisses Sicherheitssystem aufbauen. In Niederösterreich wollen wir etwa unbürokratisch und mit der ÖGK zusammen medizinisch schlecht versorgte Gebiete über Zweitordinationsregelungen von diesen Ärzt:innen mitversorgen lassen.

Die Ankündigung des Wiener Gesundheitsverbundes, künftig Patient:innen aus Niederösterreich nur noch in Notfällen behandeln zu wollen, hat zu einer Verunsicherung innerhalb der Patientenschaft geführt. Wie sehen Sie die Situation? Aus Niederösterreich kommen viele Pendler:innen nach Wien und nützen daher auch regelmäßig die medizinische Versorgung in ihrem Nachbarbundesland. Sollte dies künftig nicht mehr möglich sein, sind gerade diese Menschen von der Einschränkung besonders betroffen. Diese künstlichen Mauern zwischen der Bundeshauptstadt und den übrigen Bundesländern laufen allen Bestrebungen nach einer zukunftsweisenden und modernen Versorgung entgegen. Wir laden daher die zuständigen Vertreter:innen aus Wien, dem Burgenland und Niederösterreich zu einem lösungsorientierten Gespräch an einen runden Tisch. Statt zu verunsichern, sollten die Länder eine bundesweit einheitliche Regelung finden und den Zusammenhalt dadurch stärken.

Auf Bundesebene wird viel über die Aufgabenverteilung zwischen Ärzt:innen und Apotheker:innen diskutiert. Dazu kommen Lieferengpässe bei Medikamenten. Wie ist die Situation in Niederösterreich? Ich bin bekannt dafür, dass ich Lösungen suche, anbiete und oft auch finde. Ich bin niedergelassener HNO-Arzt und die Apotheken in meiner Umgebung sind sehr kooperativ – gerade jetzt wo wir Arzneimittelengpässe haben. Man muss aber dazu sagen, dass es die Apothekerkammer in den vergangenen Jahrzehnten geschafft hat, dass einige Kolleg:innen ihrem Beruf nicht mehr nachkommen können. Aktuelles Beispiel ist ein niedergelassener Kollege, der vor drei Jahren eine Praxis mit einer Hausapotheke gegründet hat. In der Zwischenzeit wurde dort eine öffentliche Apotheke bewilligt und ein wesentlicher wirtschaftlicher Faktor für den Kollegen fällt weg. Die Folge ist, dass diese Ordination geschlossen wird. Ob das im Sinne der Gesellschaft ist, dass hier aus kommerziellen Gründen eine medizinische Versorgung gefährdet wird, wage ich zu bezweifeln. Umgekehrt ist mir kein Beispiel bekannt, dass ein Apotheker aufgrund der Niederlassung eines Arztes zusperren musste. Es geht aber immer um die handelnden Personen – wenn man im Gespräch bleiben will, wird man Lösungen finden.

Wieso brauchen aber Ärzt:innen generell Hausapotheken? Gerade in einem Flächenbundesland wie Niederösterreich haben wir auch Ärzt:innen, die in dünnbesiedelten Gegenden aktiv sind und unter den aktuellen Bedingungen auch ein weiteres wirtschaftliches Standbein brauchen. Hier kann das Einkommen aus der Hausapotheke das verminderte Honorar aufgrund der geringeren Patient:innenanzahl zum Teil kompensieren. (Das Interview führte Martin Rümmele)