Die Österreichische Gesundheitskasse möchte Telemedizin ausbauen und ein eigenes Ambulatorium einrichten. Die Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien und die steirische Kammer kritisieren das Vorhaben nun scharf.
Telemedizin kann die Gesundheitsversorgung verbessern und sowohl Patient:innen als auch Ärzt:innen lange Wege ersparen. Da sind sich die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) und die Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien einig. Aber während die ÖGK zum Ausbau der Telemedizin wie berichtet ein eigenes Ambulatorium einrichten möchte, warnte die Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien in einer Pressekonferenz vor verwirrenden Parallelstrukturen und forderte eine Einbindung der Ärzt:innenschaft. Ziel der ÖGK ist es laut einer Aussendung, „Versicherten einen einfachen, sicheren und raschen Zugang zu medizinischer Erstberatung durch Allgemeinmediziner:innen via Videotelefonie zu ermöglichen“. Das Angebot richte sich insbesondere an Personen mit leichten Beschwerden, bei denen eine erste ärztliche Einschätzung ohne unmittelbaren physischen Kontakt möglich und sinnvoll ist. Die ÖGK betont: Die virtuelle Krankenbehandlung soll keine persönliche Untersuchung ersetzen, wenn diese medizinisch notwendig ist. Die Videokonsultation soll klar definierten medizinischen Leitlinien folgen und würde bestehende Versorgungspfade im Sinne der Strategie „digital vor ambulant vor stationär“ ergänzen. Eine „Blockade der Ärztekammer“ sei nicht nachvollziehbar.
Der Präsident der Wiener Standesvertretung Johannes Steinhart und die Vizepräsidentin und Kurienobfrau des niedergelassenen Bereichs Naghme Kamaleyan-Schmied kritisierten das Vorhaben der ÖGK im Rahmen einer Pressekonferenz. Weil sich für das von der ÖGK ausgeschriebene Ambulatorium international jede:r bewerben kann, wisse man nicht, wer dann dahintersteckt oder dort sitzt. In Anbetracht des ÖGK-Defizits von rund einer Milliarde Euro käme das Vorhaben, die Telemedizin auszubauen, außerdem zur falschen Zeit. Deshalb wurde nun eine Klage gegen die ÖGK-Ausschreibung für das geplante Ambulatorium eingebracht. Ist die Klage erfolgreich, könne man erreichen, dass die Ausschreibung nichtig sei oder die Rahmenbedingungen angepasst werden müssen, so Kamaleyan-Schmied. Das Konzept sei noch nicht so weit, „dass es stabil auf beiden Füßen stehen kann“.
Als Blockierer:innen eines Ausbaus der Telemedizin in Österreich, wie die ÖGK am Dienstag in einer Aussendung argumentierte, versteht sich die Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien aber nicht. „Telemedizin ist bei uns gang und gäbe“, sagte Kamaleyan-Schmied. Sinnvoll sei sie allerdings nur, wenn sie durch den Vertrauensarzt oder die Vertrauensärztin vorgenommen werde. „Anonyme Telemedizin birgt die Gefahr von Fehldiagnosen und falschen Entscheidungen“, betonte Kamaleyan-Schmied. Und: „Wenn Telemedizin Teil unseres Gesundheitssystems sein soll, dann nur eingebettet in die bestehende Versorgung, nicht als eigenständige Parallelwelt“, mahnte Steinhart, der Telemedizin als Ergänzung und nicht als Ersatz für physischen Kontakt zwischen Ärzt:innen und Patient:innen sieht. Eine Weiterentwicklung des Ärztefunkdienstes wäre angebrachter.
Luft nach oben gebe es bei der Telemedizin allerdings, meinte Steinhart. In österreichischen Praxen von Hausärzt:innen lag die Nutzung von Videosprechstunden während der Corona-Pandemie bei etwa 25 Prozent, zitierte Kamaleyan-Schmied eine in 38 europäischen Ländern durchgeführte Befragung. Die koordinierte europäische Vergleichsstudie zur Nutzung von Videosprechstunden, die ebenfalls bei der Pressekonferenz vorgestellt wurde, zeigt laut Kamaleyan-Schmied darüber hinaus, dass nicht Ärzt:innen der Digitalisierung im Weg stünden, sondern fehlende strukturelle Voraussetzungen. Auch Kathryn Hoffmann, Universitätsprofessorin der MedUni Wien und Co-Autorin der Studie, empfiehlt aufgrund der Studienergebnisse die Einbindung der Ärzt:innenschaft in die Entwicklung technischer Lösungen und unterstreicht die Bedeutung eines Vertrauensverhältnisses bei Videokonsultationen.
Die aktuell diskutierte Zentralisierung telemedizinischer Angebote im Rahmen der ÖGK-Ausschreibung stößt auch in der Steiermark auf deutliche Kritik. Ärztekammer-Vizepräsident Dietmar Bayer warnt davor, dass eine zentrale Plattform den individuellen Bedürfnissen der Patient:innen nur unzureichend gerecht werde und gewachsene Vertrauensverhältnisse zwischen Ärzt:innen und Patient:innen gefährden könne. Auch der Präsident der steirischen Ärztekammer Michael Sacherer fordert, dass Digitalisierung den direkten Draht zum Hausarzt beziehungsweise der Hausärztin nicht untergraben dürfe – eine Weiterleitung an Ersatzärzt:innen solle nur im Ausnahmefall erfolgen. Eine überhastete Zentralisierung könne eingespielte Abläufe stören und wertvolle Ressourcen verschwenden. Telemedizin sei in der Steiermark darüber hinaus längst gelebte Praxis – über 123.000 Behandlungen allein im Jahr 2023 belegen dies. (kagr/APA)