Round Table: Potenziale und Grenzen der Komplementärmedizin

Anlässlich des 30. Gründungstages des Dachverbands für ärztliche Ganzheitsmedizin diskutierten Experten über die Situation der Komplementärmedizin in Österreich und Europa.

„Aktuell werden die Komplementärmedizin im Allgemeinen und einige ihrer Verfahren im Besonderen sehr kontrovers diskutiert, nicht nur in Österreich. Umso wichtiger sind fundierte Informationen und Diskussionen“, sagte Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen und der Wiener Ärztekammer sowie Obmann der Kurie niedergelassene Ärzte, bei der Round Table-Veranstaltung „Potenziale und Grenzen der Komplementärmedizin“ in der Ärztekammer für Wien. In Österreich wünscht sich Umfragen zufolge eine große Mehrheit der Patienten komplementäre Behandlungen. Und es gibt eine große Zahl von Ärzten, die in Komplementärmedizin gut ausgebildet sind. „In etwa ein Drittel der rund 37.000 ÖÄK-Diplome betreffen Methoden der Komplementärmedizin und der Traditionellen Medizin“, sagte Steinhart. „Damit sei sichergestellt, dass diese Verfahren von auch schulmedizinisch ausgebildeten Ärzten angewendet werden, „das ist ein wichtiges Kriterium der Qualitätssicherung. “

Man solle nicht in die Evidenzfalle tappen und sich die Wirklichkeit mit all ihren Facetten so zurecht trimmen, dass sie in das enge Design randomisierter kontrollierter klinischer Studien passe, warnte Eröffnungsredner Reinhard Saller, ehemaliger Direktor des Instituts für Naturheilkunde des Universitätsspitals Zürich. Denn bei solchen Studiendesigns spielten therapeutisch wichtige Aspekte, wie die Persönlichkeit der Ärztin oder des Arztes, die Arzt-Patient-Beziehung oder die Vorstellung der Patienten von ihrer Krankheit und Therapie, keine Rolle, führte Saller aus: „Randomisierte kontrollierte klinische Studien haben ihren Stellenwert und können nützlich sein, sie bilden aber nur einen Ausschnitt der Realität ab. Pragmatic Studies und Real World Studies sind da wesentlich näher an der Realität.“ Wenn Medizin eine Dienstleistung für Patienten ist, dann sollten diese auch mitbestimmen, was für eine Medizin sie sich wünschen: „Die medizinische Versorgung sollte gut in eine Gesellschaft und in ein Sozialsystem eingebettet sein und breite Zugänge eröffnen.“

In der Schweiz mit ihren direktdemokratischen Instrumenten wurden entsprechende Erfahrungen bereits gemacht. Nach einer Reihe von Entwicklungen und Gegenentwicklungen gab es eine erfolgreiche Verfassungsinitiative. Seit 2017 werden die Kosten für Leistungen aus der Anthroposophischen Medizin, der Traditionell Chinesischen Medizin, der Homöopathie, der Phytotherapie und der Akupunktur von den obligatorischen Krankenversicherungen bezahlt, diese Verfahren wurden den Leistungen der Schulmedizin gleichgestellt. „Die angemessene Berücksichtigung solcher Leistungen durch die Sozialversicherung ist verfassungsrechtlich abgesichert und steht außer Diskussion“, sagte Saller.

„Komplementärmedizin ist heute ein wichtiger Teil eines modernen Gesundheitssystems. Doch wir befinden uns in Österreich in der doch sehr speziellen Situation, dass komplementäre Verfahren zwar in großer Zahl angewendet werden, jedoch einige staatliche Medizinuniversitäten dieses Thema nicht universitär behandelt wissen wollen“, sagte Michael Frass, Präsident des Dachverbands für ärztliche Ganzheitsmedizin. „Es wäre akademisch redlich, bei Vorbehalten gegen die Komplementärmedizin diese nicht aus dem universitären Diskurs zu verbannen, sondern zu beforschen.“ Mit Frass und Saller diskutierten unter der Leitung von RELATUS-Chefredakteur Martin Rümmele, Peter Eichler (UNIQA Versicherung), Susanne Weiss (Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz), Hannes Schoberwalter (Referent für Komplementäre und Traditionelle Medizin der Ärztekammer für Wien), Peter Panhofer (Lehrstuhl für Komplementärmedizin an der Sigmund Freud Universität) und Brigitte Kopp (Department für Pharmakognosie der Universität Wien). (red)