„Sanktionsmöglichkeit für Gesundheitsminister“

(c) Welldone/Peter Provaznik

Steigt das Minus der Kassen weiter, wird es dramatisch, warnt der ehemalige Finanzminister und Hauptverbandsvorsitzende Hans Jörg Schelling. Er fordert Reformen und mehr Durchgriffsmöglichkeiten für den Gesundheitsminister.

Die Krankenkassen haben diese Woche ihre Defizitprognose um fast zehn Prozent auf nun 578,7 Millionen Euro erhöht. Bis 2027 werden sich die Verluste auf mehr als 1,4 Milliarden Euro summieren. Sie waren Hauptverbandsvorsitzender und dann Finanzminister – wie schätzen Sie die Lage ein? Es ist jedenfalls viel. Wir hatten bei meinem Antritt im damaligen Hauptverband 1,2 Milliarden Euro Schulden und es ist in einigen Jahren gelungen, das zu sanieren. Die Frage ist, ob die aktuellen Verluste nachhaltig werden und wir in eine Situation schlittern, wie wir sie vor 2009 hatten. Dann wäre das schon dramatisch. Wir haben in der Vergangenheit aber auch gesehen, dass die Ergebnisse oft besser waren als die Prognosen.

Welche Schritte braucht es Ihrer Meinung nach? Wichtig ist, dass die notwendigen Maßnahmen gesetzt werden, um das Defizit zu reduzieren. Und dazu wird es auch nötig sein, die strukturellen Probleme anzugehen, die bisher unverändert sind. Wir haben etwa bis heute seit der Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen keinen Gesamtvertrag für den niedergelassenen Bereich. Und gleichzeitig diskutieren wir nur Einzelmaßnahmen.

Wo liegen aber die Probleme? Vorweg: die medizinischen und pflegerischen Leistungen, die wir im Gesundheitswesen haben, sind erstklassig. Wir haben aber eben strukturelle Probleme und hier fehlt mir vor allem die Zusammenschau. Mehr Geld allein löst die Probleme nicht, wenn da nicht auch ein strukturelles Eingreifen passiert. Wir haben mit dem Verein Praevenire eine Plattform gegründet, wo wir Dialogfelder schaffen und mit vielen Expert:innen eine Reihe von Vorschläge erarbeitet.

Das Hauptproblem ist aber wohl der Föderalismus – der Gesundheitsminister und der Finanzminister kommen wie Sie aus Vorarlberg. Da wird einem der Föderalismus quasi in die Wiege gelegt. Wie kann ein Ausgleich aussehen? Derzeit gilt noch der Finanzausgleich, den ich als Finanzminister verhandelt habe. Da steht drin, dass die Steuerung und Planung dem Bund obliegt. Und genau das sollte der Gesundheitsminister auch tun. Wenn es also mehr Geld gibt, kann auch verlangt werden, dass es an nachhaltige Reformen geknüpft wird. Wir haben jetzt die historische Chance, im Finanzausgleich auf Reformen festzuschreiben. Der Gesundheitsminister denkt viele Dinge richtig, die Umsetzung im Gesundheitswesen ist aber träge.

Konkret? Die Länder als Spitalsträger müssen im Sinne des Föderalismus verpflichtet werden, gewisse Reformen umzusetzen. Wenn man das nicht einfordert, werden es die Länder auch nicht tun. Ich möchte nicht wissen, was in den vergangenen 25 Jahren im Gesundheitswesen alles vereinbart worden ist und dann nicht umgesetzt worden ist. Der Großgeräteplan ist etwa nicht eingehalten worden und wir mussten feststellen, dass manche Länder auch nach fünf Jahren den Regionalen Strukturplan gar nicht beschlossen hatten. Man muss sich also ansehen, was etwa in der Zielsteuerung vereinbart worden ist und was von wem nicht umgesetzt worden ist.

Sie sprechen es an: es wir wenig umgesetzt. Wie kann man da gegensteuern? Es braucht Sanktionsmöglichkeiten für den Gesundheitsminister.

Das werden die Länder nicht sehr gerne lesen… Die Länder haben Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Gemeinden, der Bund nicht. Damit meine ich nicht, dass man den Geldhahn zudrehen kann, aber man kann auch Best Practice Modelle fördern. Wir müssen bei Reformen ins Tun kommen und Reformziele und eine Gesamtstrategie definieren. Wir müssen überlegen, wo wir in fünf Jahren sein wollen und wie wir dorthin kommen wollen. Österreichs Problem ist, dass wir oft Ankündigungsweltmeister und Umsetzungszwerge sind. (Das Interview führte Martin Rümmele)