Sorge um Stigmatisierung von Übergewichtigen

Anlässlich des Welt-Adipositas-Tages am 4. März warnten Expert:innen vor einer Stigmatisierung und fordern leitliniengerechte Behandlung.

Adipositas ist eine chronische Erkrankung, die gegenüber anderen chronischen Erkrankungen einen entscheidenden Nachteil für die Betroffenen hat: sie ist für alle sichtbar. Das führt in unserer, auf Ideale ausgerichteten, Welt zu einer massiven Stigmatisierung der Betroffenen, einer gesellschaftlichen Abwertung durch Zuschreibung von Attributen wie „faul“ oder „unmäßig“. „Die Betroffenen selbst verinnerlichen das Stigma, fühlen sich als Versager und ‚selbst schuld‘. Das führt wiederum zu erhöhtem Essverhalten und dem Entstehen psychischer Erkrankungen wie Ängste, Depressionen oder Suizidgedanken,“ erklärt Barbara Andersen, Psychologin und Vertreterin der Betroffenen in der Österreichischen Adipositas Allianz.

Die Folge: Menschen mit Adipositas gehen oft zu spät und ungern zu ärztlichen Untersuchungen, wie eine Reihe von Studien zeigt. Hinzu kommt die Angst, von der Ärztin oder dem Arzt nicht ernst genommen zu werden oder dass das Gewicht als Begründung für jegliche Beschwerden herangezogen wird.

„Je früher Adipositas diagnostiziert und fachlich fundiert behandelt wird, desto höher sind die Erfolgschancen auf ein Rückführen in einen gesunden Gewichtsbereich“, appelliert Johanna Brix, Internistin, Präsidentin der Österreichischen Adipositas Gesellschaft und Sprecherin der Österreichischen Adipositas Allianz. „Prävention meint oft ‚nur gesunde Ernährung und Sport‘ – wichtige Faktoren, keine Frage. Genauso wichtig ist aber, wenn man bereits betroffen ist, die leitliniengerechte Behandlung der Erkrankung selbst, um im Sinne der Sekundärprävention die über 50 möglichen ernsten Folge- und Begleiterkrankungen – von Diabetes über Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis Krebs – zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. In Österreich wird leider viel zu lange mit einer Behandlung gewartet, dadurch rutscht das Gesundheitswesen immer tiefer in die Reparaturmedizin.“

Studien zeigen, dass Ärzt:innen und andere Gesundheitsdienstleister Menschen mit Adipositas eher als „nicht-compliant“, also weniger therapietreu, einstufen und sich für die Behandlung weniger Zeit nehmen als für Normalgewichtige. Eine Lösung sieht Brix in einem besseren Angebot für die Aus- und Fortbildung des medizinischen Personals und weiterer Gesundheitsberufe: „Adipositas weist ein komplexes Krankheitsbild auf, zudem steigen die Prävalenzzahlen stark an. Das erfordert einerseits mehr Gesundheitspersonal für die Behandlung und Betreuung dieser Erkrankung auszubilden, sowie auch eine Sensibilisierung für die psychologischen Aspekte und die Stigmatisierung der Betroffenen zu schaffen.“ Die Österreichische Adipositas Allianz hat auf ihrer Webseite ein Video veröffentlicht, das Ärzt:innen und andere Gesundheitsberufe zu einem sensiblen Umgang mit den Betroffenen ermutigen möchte. (red)