Sozialversicherungsfusion: Im Dachverband herrscht Streit

HVB

Die Umsetzung der Kassenreform ist in der Coronazeit aus dem Blick der Öffentlichkeit verschwunden. Öffentliche Auftritte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern vermitteln allerdings ein schlechtes Gesprächsklima. Tatsächlich soll im Hintergrund ein Richtungsstreit toben. Treffen könnte er auch die Vertragspartner.

ÖVP-Arbeitgebervertreter und SPÖ-Arbeitnehmervertreter in der Sozialversicherung liefern sich derzeit in der Öffentlichkeit einen Schlagabtausch. Während die SPÖ-Seite Änderungen beim Privatkrankenanstaltenfonds Prikraf und staatliche Hilfen für die Sozialversicherungen verlangt, ortet der ÖVP-Wirtschaftsbund darin Parteipolitik und verweist darauf, dass die Äußerungen der Arbeitnehmer nicht abgesprochen seien. Hintergrund sind die Machtverschiebung in den Kassen durch die Reform der ÖVP-FPÖ-Regierung von rot zu türkis und die Rotation an der Spitze von ÖGK und Dachverband, die nun zu den Arbeitnehmervertretern Andreas Huss (ÖGK) und Ingrid Reischl (Dachverband) gewechselt ist. Reischl beurteilt das Verhältnis zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern in den Sozialversicherungen unterschiedlich. In der PVA und der AUVA sei es gut, „in der ÖGK etwas schwieriger und in der Dachorganisation am schwierigsten“. Das liege auch an den handelnden Personen. Dazu komme eine unterschiedliche Auffassung von der Rolle der Selbstverwaltung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sagt sie im RELATUS-Interview. Letztere sehen die Selbstverwaltung als Teil der Geschäftsführung, die Arbeitgeber sehen sie als Aufsichtsrat. Als Huss und Reischl in den vergangenen Tagen inhaltliche Vorschläge präsentierten, ernteten sie prompt deshalb Kritik.

Zuletzt formulierte das DV-Vize und SVS-Obmann Peter Lehner (Wirtschaftsbund) am Sonntag so: „Die Vorsitzenden-Rolle in der Konferenz der Sozialversicherungsträger sollte nicht für Oppositionspolitik genutzt werden. Das Verhalten widerspricht der Geschäftsordnung“, schrieb er in einer Aussendung als Reaktion auf die Forderung Reischls in einem APA-Interview nach Corona-Geldern für die Kassen. „Wir müssen gemeinsam im sozialpartnerschaftlichen System die Interessen der 8,5 Millionen Versicherten und der Träger vertreten“, betonte Peter Lehner. Brisanter Nachsatz im Text der Presseaussendung: „der im 2. Halbjahr Co-Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger ist und die Mehrheit in diesem Gremium hinter sich hat.“

Lehner sieht die Aussagen von Huss und Reischl parteipolitisch motiviert. „Parteipolitik und PR-Aktionen haben hier keinen Platz. Ein Obmann muss verantwortungsbewusst mit Versichertengeldern und Steuergeldern umgehen und im Sinne der gesamten Versicherungsgemeinschaft agieren“, teilt er mit. „Sowohl im Dachverband der Sozialversicherungsträger als auch in der ÖGK funktioniert das Zusammenspiel nicht, weil sich rote Gewerkschaftsvertreter stets gegen jegliche Reformprozesse stellen. Dieses destruktive Verhalten und die parteipolitischen Alleingänge seitens der Opposition begleiten uns seit der Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger – zum Leidwesen der Versicherten“, teilt auch Kurt Egger, Generalsekretär des Wirtschaftsbundes Österreich mit. „Kein einziger Vorschlag der letzten Tage war mit den Sozialpartnern abgestimmt“, formuliert Egger via Aussendung.

Was prompt zum Konter der Gewerkschaft führt: „Sowohl im Dachverband der Sozialversicherungsträger als auch in der ÖGK funktioniert das sozialpartnerschaftliche Zusammenspiel nicht“, bestätigt FSG-Bundesgeschäftsführer Willi Mernyi die Arbeitgeberposition. Er sieht die Schuld aber genau dort, „weil Arbeitgebervertreter nicht im Sinne der Versicherten handeln. Dieses destruktive Verhalten und die parteipolitischen Machtspiele der türkisen Wirtschaftsvertreter begleiten uns seit der Zwangsfusion der Sozialversicherungsträger – zum Leidwesen der Versicherten“, sagt er. Die Stärkung der Arbeitgeberseite führe zu massiven Nachteilen für die Arbeitnehmer, betont wiederum der Vorsitzende der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG), Rainer Wimmer. Der FSG-Vorsitzende erinnert an die Fusionskosten, die bis 2024 die Sozialversicherung mit 1,7 Milliarden Euro belasten werden. „Dass jetzt – unter dem Deckmantel der Corona-Pandemie – ein Konsolidierungskurs angekündigt werden kann – kommt den Verantwortlichen für dieses Desaster wohl entgegen“, sagt Wimmer.

Der Konflikt dürfte in jedem Fall prolongiert sein, denn viele Fragen sind noch offen. So geht es nicht nur um die Frage, welchen Finanzbedarf die Kassen durch die Corona-Krise haben, sondern auch wie man damit umgeht. Die Arbeitnehmer wollen Kürzungen bei den Versicherten vermeiden, Lehner hat am Wochenende den von Wimmer kritisierten „Konsolidierungsbedarf“ angekündigt. Dazu kommt, dass die Finanzverhandlungen von Bund und Ländern über Spitäler vor der Türe stehen und die Länder mehr Geld – auch von den Krankenkassen wollen. Einst hatten Ex-Finanzminister Hans-Jörg Schelling in seiner damaligen Funktion als Hauptverbandsvorsitzender und Ingrid Reischl als WGKK-Obfrau und Vorsitzende der damaligen Trägerkonferenz erreicht, dass die Kassen auch am Verhandlungstisch sitzen dürfen. Wer das allerdings nun sein wird, ist offen. Im entsendenden Gremium der Bundeszielsteuerungskommission sitzen Lehner, Huss, FPÖ-Mann Matthias Krenn und BVAEB-Obmann und ÖVP-Gewerkschafter Norbert Schnedl. Für alle wären es die ersten Verhandlungen. (rüm)