Studie: Wie Viren das wachsende Gehirn schädigen

Ein Forscherteam am Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) erforscht an sogenannten Organoiden, wie manche Viren schwere Fehlbildungen im menschlichen Gehirn auslösen können.

Viren befallen unterschiedlichste Gewebestrukturen in unserem Körper. Dabei funktionieren die Proteine an deren Hülle wie Türöffner, um ins Innere der Zelle zu gelangen und diese dann für ihre eigene Fortpflanzung zu „hacken“, berichtet das Team rund um Jürgen Knoblich aktuell im Fachmagazin „Cell Stem Cell“. Die Zelle produziert fortan nur noch andere Viren und keine eigenen Zellnachkommen. Während der menschlichen Gehirnentwicklung sind manche Vireninfektionen daher besonders kritisch. Denn aus nur wenigen Vorläufern entwickelt sich durch streng regulierte Teilungen ein unglaubliches Netzwerk verschiedenster Nervenzell-Arten, das letztendlich an die 87 Milliarden Nervenzellen umfasst. Fehler während dieser Entwicklung, etwa durch genetische Mutationen, aber auch Virenbefall sind besonders fatal- schwere Fehlbildungen im Gehirn können die Folge sein.

Zu den „TORCH Pathogenen“ zählen etwa Toxoplasma gondii, Röteln-Viren, CMV, Herpes-simplex-Viren (HSV). Zuletzt wurde im Zuge einer ZIKA Epidemie in Brasilien der Zusammenhang mit Mikrozephalie deutlich: Babys, die im Mutterleib einer ZIKA Infektion ausgesetzt waren, kamen häufig mit einem viel zu kleinen Gehirn auf die Welt. Bislang war es nicht möglich, den Einfluss bestimmter Viren auf die Gehirnentwicklung systematisch am Menschen zu untersuchen. Eine neue Technologie, die weltweit erstmals am IMBA entwickelt wurde, erlaubt es nun, den Einfluss von Infektionen auf die menschliche Gehirnentwicklung neu zu beleuchten und Therapien zu testen.

Gehirn-Organoide kann man aus menschlichen Stammzellen heranzüchten. Diese können von jedem Menschen etwa aus einem kleinen Stück Haut oder einer Blutprobe gewonnen werden. Die darin befindlichen Körperzellen werden chemisch zu Stammzellen „verjüngt“ – man spricht von „induziert pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen)“, die sich auf wunderbare Weise selbst organisieren und die Prozesse der frühen menschlichen Gehirnentwicklung nachahmen. Im Labor gelang es den Forschern Herpes infizierte Gehirn-Organoide durch die Gabe von Interferon Typ 1 vor Fehlbildungen zu schützen. Auch für die Krebsmedizin ist ein Wissen über jene Prozesse wesentlich: Sogenannte Onkolytische Viren könnten zum Einsatz kommen, um Tumorzellen zu töten, indem sie gezielt Tumorzellen infizieren und bekämpfen. „Indem wir Organoide gezielt mit Viren infizieren, können wir nicht nur enorm viel über die typisch menschlichen komplexen Wechselwirkungen während der kritischen Gehirnentwicklung lernen. Wir werden auch besser gezielt nach Schwachstellen dieser Viren suchen können, um Ansatzpunkte für neue Therapien zu finden“, fasst Jürgen Knoblich, wissenschaftlicher Direktor am IMBA und Letztautor der Studie, zusammen.

Krenn et al., “Organoid modeling of Zika and Herpes Simplex Virus 1 infections reveals virus-specific responses leading to microcephaly”, Cell Stem Cell 2021, doi: 10.1016/j.stem.2021.03.004