Woher die Personalengpässe wirklich kommen

© Tanzer

Es fehlt an Beschäftigten in allen Bereichen. Als Argument werden die Demographie und die geänderte „Work-Life-Balance“ genannt. Doch es gibt andere Gründe mit dramatischen Folgen.

Geht dem Gesundheitswesen das Personal aus? Oder geht es dem Gesundheitswesen wie anderen Branchen auch und wir stehen vor einem demographisch bedingten Wandel? Die Gründe sind vielfältig und werden derzeit auch breit diskutiert. Lösungen dafür sind wenig in Sicht. Man will mehr zahlen, mehr Freiheiten gewähren oder einfach auch Beschäftige aus anderen (Billiglohn-)ländern anwerben. Letzteres hat schon in den 1960er und 1970er etwa in der Texilindustrie nicht funktioniert. Vor allem sind wir in der Integration von Zugewanderten seither nicht wesentlich weitergekommen. Allein der Begriff ist falsch, denn die Menschen wanderten nicht einfach zu, sie wurden damals wie jetzt aktiv in ihren Heimatländern von heimischen Personalrecruitern angeworben.

Woher aber kommt wirklich der Personalengpass? Die demographische Entwicklung war vorhersehbar, allerdings wurde bisher davon ausgegangen, dass die Folgen erst in etwa zehn Jahren voll spürbar werden. Tatsächlich hat die Pandemie bei vielen Beschäftigten den Fokus verschoben. Im Gesundheitswesen ist dafür die Politik verantwortlich: Sie hoffte bei jeder Welle, dass die Krisen wieder vergehen, und tat wenig bis nichts. Und man wollte schon gar nicht in Bereiche investieren, die dann langfristig Kosten verursachen – wie Personal. Stattdessen versprach man bei jeder Welle den Beschäftigten, dass das die letzte Spitze war und es danach wieder besser wird. Und was tat das Personal? Bei der ersten Krise schluckten die Beschäftigten alles und kämpften mit. Bei der zweiten Krise knirschte es kräftig. Bei der dritten Welle protestierte das Personal und ab der vierten Krise kehren die Beschäftigten mangels Perspektiven dem System den Rücken.

Es gibt aber auch eine gesamtwirtschaftliche Ursache: Das Versprechen der vergangenen Jahrzehnte, dass Leistung zu Wohlstand führt, gilt nicht mehr. Konnten in den 1970er Jahren junge Familien mit ihrem damaligen Einkommen noch die Basis für ein Eigenheim legen, so geht das heute bei weitem nicht mehr. Wer also viel arbeitet, verdient bei weitem nicht mehr genug, um sich etwas aufbauen zu können. Warum dann also bis zum Umfallen arbeiten? Beobachter:innen bezeichnen das Phänomen als „The Great Resignation“. Es geht also um weit mehr, als um die Beschäftigten im Gesundheitswesen und Gesundheitsreformen – es geht um die gesellschaftliche Frage, wie wir Arbeit ganz generell zukunftsfähig gestalten können. Und es geht um die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme: arbeiten weniger Junge auch weniger lang, kommen mittelfristig auch lohnabhängige, beitragsfinanzierte Systeme wie das Gesundheitswesen unter Druck. (rüm)