Antibiotika: Immer weniger Pharmafirmen suchen neue Produkte

Experten sprechen bereits von einer Katastrophe mit Ansage: Pharmakonzerne stoppen zunehmend die Forschung nach neuen Antibiotika, obwohl WHO und EU vor zunehmenden Resistenzen warnen. Neue Produkte sind wirtschaftlich nicht attraktiv, sagen die Unternehmen.

Der Internationale Pharmaverband (IFPMA) hatte erst 2016 eine „Industrie-Allianz“ („AMR Industry Alliance“) zum Kampf gegen die Resistenzen gegründet. Etwa 100 Unternehmen hatten eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet. Darin sagten sie unter anderem zu, in die Forschung in diesem Bereich zu investieren. Doch obwohl die Ausbreitung resistenter Keime als eine der größten globalen Gefahren gesehen wird, stoppen Pharmaunternehmen nun zunehmend die Forschung an neuen Antibiotika. Beobachter berichten, dass fast die Hälfte der Firmen, die unterzeichnet und 2016 zu Antibiotika geforscht haben, mittlerweile nicht mehr in dem Bereich aktiv ist. Dabei gelten die Resistenzen gegen Antibiotika neben dem Klimawandel als eine der größten globalen Gesundheitsgefahren. Die Vereinten Nationen warnen, dass die Todeszahlen in die Höhe schnellen, falls nicht sofort gehandelt werde. Demnach könnten durch resistente Keime bis 2050 jedes Jahr zehn Millionen Menschen sterben.

„Die Antibiotikaforschung stellt die Unternehmen, die sich darin engagieren, vor extreme Herausforderungen: Die Erfolgsquote von Entwicklungsprojekten für neue Antibiotika beträgt nicht einmal ein Prozent“, sagt Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog. Das bedeute, dass über 99 Prozent der Projekte scheitern und abgeschrieben werden müssen. „Wird trotz hohen Risikos nach vielen Jahren und hohen Investitionen erfreulicherweise ein neues Antibiotikum auf den Markt gebracht, so gilt für dessen Anwendung: Es ist sorgfältig und möglichst selten einzusetzen, um neue Resistenzen zu verhindern. Damit haben die Unternehmen nur eine sehr begrenzte Aussicht auf einen Return-on-Investment.“

Ähnlich argumentiert das Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich. „Mit der Medizin von gestern und heute lassen sich nicht die gesundheitlichen Herausforderungen von morgen angehen. Doch Forschung und Entwicklung ist mit einem großen Risiko behaftet, denn sie kostet Zeit und Geld. Es muss dafür gute Rahmenbedingungen für Innovation geben, um als forschende Unternehmen erfolgreich sein zu können. Dass das derzeit nicht gegeben ist, zeigt sich anhand der Entwicklungen im Bereich der Antibiotika-Forschung“, sagt FOPI-Präsident Ingo Raimon. Fakt sei, dass sich die Entwicklung neuer Antibiotika kaum refinanzieren lässt, da diese nur im Notfall – also im Therapiebaum oft an letzter Stelle – eingesetzt werden sollen. Werde Innovation somit in einem Gesundheitssystem immer nur dann eingesetzt, wenn andere Arzneimittel nicht ausreichend wirken, birgt das ein Risiko, dass erst gar nicht mit der Forschung von neuen therapeutischen Ansätzen begonnen wird. Raimon: „Deshalb muss das Anreizsystem zur Entwicklung von Innovationen wie Antibiotika in Europa und in Österreich verbessert werden. Das betrifft insbesondere die adäquate und zeitnahe Vergütung von Innovationen wie eben neuer Antibiotika.“

Vor diesem Hintergrund ist es für die Pharmig „positiv zu werten“, dass einzelne Firmen immer noch an nicht Erreger-spezifischen Antibiotika als auch an solchen forschen, die gezielt gegen bestimmte Bakterien wirken beziehungsweise auch die Entwicklung von Impfungen gegen bakterielle Infektionen vorantreiben. Herzog: „Immerhin wurden in den vergangenen sechs Jahren über zehn neue Antibiotika zugelassen, die entweder Resistenzen überwinden oder in der Bekämpfung von seit jeher schwer behandelbaren Infektionen zur Anwendung kommen.“ Die Leitlinie „Antiinfektiva“, die die Pharmig gemeinsam mit Systempartnern im Zuge der Initiative „Arznei & Vernunft“ im Vorjahr herausgebracht habe, soll einen wichtigen Beitrag für den sorgfältigen Umgang mit Antibiotika zumindest in Österreich leisten. (rüm)

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