Pavol Dobrocky ist neuer Präsident des Pharmaverbandes Pharmig. Im RELATUS-Sommergespräch spricht der Boehringer Ingelheim-Manager über das Ende der Blockbuster und neue Innovationen.
Welche Folgen kann die wirtschaftliche Situation der Krankenkassen auf die Arzneimittelversorgung haben? Ein leistungsfähiges Gesundheitssystem braucht finanzielle Stabilität – keine Frage. Doch Einsparungen auf Kosten der Arzneimittelversorgung führen nicht zur Lösung, sondern zu einer Verstärkung des Problems: Sie gefährden den Zugang zu Therapien, hemmen Innovation und untergraben Investitionssicherheit. Arzneimittel müssen als Investition gesehen werden, nicht als Kostenfaktor, und zwar im Sinne von Betriebsmitteln. Ohne sie ist eine Versorgung unmöglich. Jeder will eine Versorgungsvielfalt und eine Versorgungssicherheit. Beides kann aber nicht isoliert passieren – zur Versorgungssicherheit gehört die Vielfalt und die Vielfalt wiederum schafft Sicherheit! Langfristig trägt unsere Branche dazu bei, das System durch wirksame Therapien, chronische Krankheitskontrolle und Prävention zu stabilisieren. Wichtig ist dabei, sowohl für die Patienten wie auch die Industrie und andere Partner im Gesundheitssystem, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit zu schaffen. Es fließt sehr viel Geld ins System und innerhalb des Systems – die Effizienz dieser bereits vorhandenen Finanzierungsströme und -flüsse zu heben, das ist ein ganz zentraler Ansatz!
Das Modell der Blockbuster hat sich zunehmend überholt – dadurch kommen vor allem niedrigpreisige (Massen-) Medikamente unter Druck. Welche Folgen kann das auf die Versorgung haben – und wie kann man hier gegensteuern? Richtig. Die Versorgung mit häufig eingesetzten, bewährten Medikamenten steht zunehmend unter Druck. Nicht, weil diese Arzneimittel an Bedeutung verlieren – im Gegenteil. Sondern weil ihre Preise vielfach unter den Produktionskosten liegen. Das betrifft Generika ebenso wie bestimmte Nischenprodukte. Die Folgen sind Engpässe, Produktionsverlagerungen und eine Erosion der industriellen Basis in Europa. Um gegenzusteuern, braucht es wirtschaftlich tragfähige Rahmenbedingungen, gezielte Versorgungssicherungsstrategien und eine stärkere Anerkennung des Werts etablierter Therapien. Also ein Gegensteuern mit realistischen Preisen, die Produktion und Lieferfähigkeit langfristig sichern. Dafür braucht es faire Rahmenbedingungen und ein klares politisches Bekenntnis zur Versorgungssicherheit.
Wie beurteilen Sie nach den ersten Erfahrungen das neue Bewertungsboard für teure und neue Spitalsmedikamente? Das Bewertungsboard ist grundsätzlich ein Schritt hin zu mehr Transparenz und einer etablierten Systematik bei der Bewertung von Arzneimitteln. Entscheidend wird aber sein, wie es in der Praxis agiert: Es muss wissenschaftlich fundiert, innovationsfreundlich und im konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten arbeiten. Nur dann kann es seiner Rolle als Instrument zur Qualitätssicherung, nicht als Hürde für medizinischen Fortschritt, gerecht werden. Wir sehen hier nach wie vor noch nicht gelöste Fragen bzw. Verbesserungspotenziale, etwa bei der Zusammensetzung des Boards, bei der Einbindung indikationsspezifischer Expertise, der fehlenden Koppelung einer positiven Anwendungsempfehlung an eine Finanzierungslösung, das Risiko der Einschränkung der Therapiehoheit der behandelnden Ärzte und in der Frage, wie der Zugang zu Therapien während laufender Verfahren sichergestellt wird. Hier braucht es Nachschärfungen, damit das Board nicht unbeabsichtigt zur Verzögerung oder Einschränkung des Zugangs zu innovativen Therapien führt. Das könnte insbesondere bei seltenen Erkrankungen oder hochspezialisierten Behandlungen der Fall sein.
Kann Österreich im Bereich der Forschung von den Entwicklungen in den USA profitieren? Kann es dort angesichts der Maßnahmen von Präsident Trump zu einem Brain-Drain kommen? Die Entwicklungen in den USA – etwa politische Unsicherheiten oder Einschränkungen bei der Forschungsfreiheit – könnten dazu führen, dass sich Forschende nach stabileren Standorten umsehen. Das ist eine Chance für Europa und auch für Österreich, wenn wir aktiv handeln. Derzeit ist Österreich als Forschungsstandort solide, aber international nicht führend. Genehmigungsverfahren dauern zu lange, und es fehlt an gezielten Anreizen für forschungsstarke Unternehmen. Auch beim Zugang zu Risikokapital für Start-ups gibt es strukturelle Schwächen. Was es braucht, ist ein forschungsfreundliches Gesamtpaket: schnellere Verfahren, eine gestärkte Forschungsprämie, gezielte Talentförderung und mehr Risikokapital. Nur so kann aus einem möglichen Brain-Drain ein echter Brain-Gain werden. (Das Interview führte Martin Rümmele)