Experten-Kritik an Lockerungsplänen der Regierung

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Epidemiologen warnen vor dem Risiko der Lockerungen. So gibt es Rufe nach einem engen Monitoring beim „Spiel mit dem Feuer“. Insgesamt sei Österreich in der Pandemie vielfach immer noch im Blindflug unterwegs.

Als epidemiologisches „Spiel mit dem Feuer“, bei dem sehr genau auf die weiteren Entwicklungen geachtet werden müsse, bezeichnet der Wissenschafter Gerald Gartlehner die angekündigten Öffnungsschritte der Covid-19-Maßnahmen der Bundesregierung. „Die Zahlen sind weiterhin hoch“, sagt der Epidemiologe und Experte für Evidenzbasierte Medizin von der Donau-Universität Krems. Fast noch bedenklicher sei, dass der R-Wert noch immer nur knapp unter eins liege – also ein Infizierter im Schnitt rund einen weiteren Fall verursacht. Steigt dieser Wert, geht die Situation in Richtung exponentieller Fallzahlentwicklung. „Die Gefahr, dass uns das Ganze wieder entgleitet und es wieder zu einem raschen Wachstum kommt, ist natürlich relativ groß“, warnt Gartlehner. Hier brauche es dementsprechend genaues Beobachten der Entwicklungen nach den Öffnungen der Schulen und im Handel.

Wenn man der Realität ins Auge blicke, müsse man aber festhalten, dass der Lockdown zuletzt nicht mehr die gewünschten Effekte gebracht hat. Es wäre stark zu befürchten gewesen, dass noch größere Teile der Bevölkerung nicht mehr mitmachen, so der Wissenschafter. Jetzt gehe es darum, mehr oder weniger „alles besser zu machen“, als das in der Vergangenheit der Fall war. Hier brauche es die regelmäßigen und möglichst breiten Tests, den starken Fokus auf das Impfen und eine effizientere Kontaktnachverfolgung. „Wenn das gut klappt, besteht vielleicht die Chance, dass wir uns in die wärmere Jahreszeit retten“, sagte Gartlehner. Für „absolut unverständlich“ hält er die Verschiebung des nächsten Durchlaufes der österreichweit anhand einer repräsentativen Stichprobe durchgeführten „Gurgelstudie“ seitens des Bildungsministeriums auf den März: „Das wäre das ideale Begleitinstrument gewesen.“ Dass die Schulen nun wieder bald öffnen, sei aber jedenfalls notwendig, um die Kollateralschäden im Bildungsbereich halbwegs gering zu halten.

Kritik kommt auch vom Mikrobiologen Michael Wagner von der Uni Wien. „Es ist wichtig, dass Kinder, Jugendliche und Eltern wissen, dass ein negatives Testergebnis überhaupt kein Freibrief ist“, warnt Wagner vor einem falschen Sicherheitsgefühl. Es sei eher unwahrscheinlich, dass sich bei einem Abstrich im vorderen Nasenraum bei allen infektiösen Schülern genug Virusmaterial findet, um diese zu erkennen. Gerade infizierte Kinder seien häufig asymptomatisch und könnten im vorderen Nasenraum, auch wenn sie infektiös sind, relativ wenig Viren haben. Zudem sind große Qualitätsunterschiede auch innerhalb der zugelassenen Antigentests bekannt. Allerdings: Auch wenn nur die Hälfte der infektiösen Schüler entdeckt würden, sei das besser als nichts zu tun. Ohne ein PCR-gestütztes begleitendes Montoringprogramm werde man jedoch nicht wissen, wie wirkungsvoll diese Maßnahme tatsächlich ist, so Wagner, der die „Gurgelstudie“ koordiniert. (APA/red)

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