Kommentar: Wie die Länderchefs den Impfgegnern helfen

Martin Rümmele ist Chefredakteur von Relatus.

Kaum beschlossen, wird von den Bundesländern schon wieder über die Impfpflicht diskutiert. Die Gründe für den Meinungsumschwung haben allerdings nichts mit der Pandemie zu tun.

Rund 43,5 Milliarden Euro wurden 2020 im Gesundheitswesen ausgegeben, wie heute die Statistik Austria in einer Pressekonferenz vorgerechnet hat. Das Budget des Gesundheitsministerium liegt allerdings bei 3,2 Milliarden Euro – und da sind noch 600 Millionen enthalten, die als Ausgleich für Beitragssenkungen an die Krankenkassen gezahlt werden müssen. Das zeigt schon die Machtverhältnisse. Die eigentliche Verantwortung für die Versorgung – eben, weil sie vor Ort erfolgt – liegt vermassungsmäßig bei den Bundesländern. Dazu kommen die Krankenversicherungen, die den niedergelassenen Bereich finanzieren und bei den Spitälern zwar mitzahlen, aber wenig mitreden dürfen. Hier liegt also der eigentliche Grund für das Chaos der Pandemiepolitik: Jedes Bundesland bastelt eigene Lösungen, hat eigene Ansichten und ist vor allem von Dingen getrieben, die mit Gesundheit nichts zu tun haben. Da geht es um Wahlen (wie jene in den Tiroler Gemeinden am 27.2, oder des oberösterreichischen Landtages im Herbst 2021), Tourismus (Tirol bremst im Winter, Kärnten im Sommer) oder einfach um regionale Umfragewerte.

Aktuell zeigt sich das wieder beim Thema Impfpflicht. Vor ein paar Monaten im angesicht der kippenden Intensivstationen, verkündeten die Länderchefs mit der Regierung die kommende Regelung. Nach Druck von Touristikern und Wahlgewinnen der Maßnahmenkritiker MFG geht man wieder auf Distanz. Dabei wird übersehen, dass die Infektionszahlen nach wie vor hoch sind, dass eine „stabile Lage“ in den Spitälern noch immer bedeutet, dass das Personal am Anschlag arbeitet und vor allem, dass die Impfpflicht nicht einfach bei sinkenden Infektionszahlen ausgeschaltet und bei einem Anstieg wieder eingeschaltet werden kann, sondern primär das Ziel hat auch langfristig eine weitere Welle im kommenden Herbst und darüber hinaus zu verhindern.

Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP), derzeit Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, und Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) – der sich während der Pandemie schon bisher nicht mit Ruhm bekleckert hat – machen in Sachen Corona Druck in Richtung weiterer Schritte zur Normalität. Wallner forderte am Dienstag eine Neubewertung der Corona-Situation. Der oberösterreichische Kollege Thomas Stelzer (ÖVP) stellt am Donnerstag die Notwendigkeit der dritten Stufe der Impfpflicht mit automatischen Strafen in Frage. Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) wiederum zeigt sich der Impfpflicht gegenüber nach eigenen Worten überhaupt „skeptisch“: Vor dem 15. März – vor Eintritt der Strafbarkeit – soll evaluiert werden, ob die Impfpflicht noch geeignet sei, um eine Überlastung der medizinischen Versorgung zu verhindern, sagte er im Ö1-„Mittagsjournal“. Das Argument, dass man die Impfpflicht brauche, um für den Herbst gerüstet zu sein, wollte der Landeshauptmann nicht gelten lassen: „Man kann nicht mit einem ungewissen Ereignis die Notwendigkeit einer Impfpflicht argumentieren.“ Doch kann man. Das nennt man Prävention. Hat man aber leider 2020 und dann 2021 auch nicht getan und ist dann jeweils im Herbst unvorbereitet in die nächste Welle gelaufen.

Noch problematischer: Mit dieser Politik spielen die Länderchefs vor allem den Impfkritikern in die Hände, die das Gefühl haben, dass ihr Protest Wirkung zeigen. Es wird sie anspornen. Das Gesetz beginne, seine eigenen Kinder zu fressen, frohlockt bereits FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl. Auch der Salzburger MFG-Landessprecher Gerhard Pöttler prognostizierte dem Landeshauptmann den Verlust der Wählergunst. Bei der Gelegenheit sei ein aktuelles Urteil des Obersten Gerichtshofes (OGH) erwähnt und den Landeshauptleuten ins Stammbuch geschrieben, das heute publik wurde: Die Kündigung einer Tiroler Pflegerin, die sich geweigert hat, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, war rechtens, denn: „Kritik an den Corona-Maßnahmen kann nicht als Weltanschauung gewertet werden.“ Der Begriff der „Weltanschauung“ sei eng mit dem Begriff der „Religion“ verwandt. Kritische Auffassungen über einzelne Verordnungen oder Gesetze würden davon nicht erfasst.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Föderalismus gesundheitsschädigend ist und sich die Länder hier zunehmend als inkompetent erweisen. Es braucht endlich Transparenz über regionale Ausgaben, Erkrankungszahlen, Spitalsdaten und eine zentrale Steuerung. (rüm)