„Wir haben natürlich ein Preisthema bei Arzneimitteln“  

© BMSGPK/Peter Buchgraber

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) kündigt im Relatus-Sommergespräch ein nachgebessertes Angebot für den Finanzausgleich an und skizziert seine Reformen im Arzneimittelsektor.

Welche Reformen wird es geben, um Lieferengpässe einzudämmen? Ich bin ein Verfechter einer Wirkstoffverschreibung, damit könnten wir langfristig mehr Transparenz und faire Preise in das System der Kostenerstattung durch die Sozialversicherung bringen. Es wird im ersten Schritt eine Erweiterung der Möglichkeiten für die magistrale Zubereitung in Apotheken kommen. Um die Arzneimittelversorgung sicherzustellen, arbeiten wir gerade einer Verpflichtung der pharmazeutischen Industrie, mehr Mengen gewisser Arzneimittel einzulagern. Es soll ein Paket gemeinsam mit allen Partnern sein, weil wir alle Stakeholder an Bord brauchen. Das gilt etwa für den Bereich der Bevorratung, wo ja nicht der Bund oder ein Bundesland ein Lager betreiben solle, sondern Industrie und Großhandel, weil die das schlichtweg besser können.

Was im Herbst und Winter zu erwarten? Die pharmazeutische Industrie sagt uns, dass es eine vorsichtige Entspannung im Hinblick auf mögliche Mangellagen im Herbst und Winter gibt. Auch die Industrie hat aus den Erfahrungen des Vorjahres gelernt und produziert mehr. Wir haben aber natürlich auch ein Preisthema, wo ich die Argumente der Industrie durchaus höre. Wenn wir aber über niedrigpreisige Medikamente reden, müssen wir auch über hochpreisige Medikamente reden, wo wir Steigerungsraten in den Margen haben, die nicht mehr darstellbar sind. Hier laufen Gespräche – auch vor dem Hintergrund der EU-Pharma-Legislation. Es kann etwa nicht sein, dass kleinere Staaten manche Medikamente später oder erst gar nicht bekommen.

Wie steht es bei den Gesprächen zum Finanzausgleich? In den Bereichen Gesundheit und Pflege sind die Gespräche sehr weit gediehen. Beim Kernfinanzausgleich ist es schwieriger, weil die Vorstellungen weit auseinander liegen. Klar ist: Zusätzliches Geld für Pflege und Gesundheit gibt es nur dann, wenn es im Gegenzug Reformen gibt. Bei der Pflege geht es im Wesentlichen darum, den Mehrbedarf, den es gibt und der sich aufgrund der Demographie abzeichnet, abzudecken. Hier braucht es mehr Geld, vor allem auch für die Weiterführung der Anschubfinanzierungen unserer großen Pflegereform, wie Gehaltszuschüsse, Pflegeausbildungszuschuss, aber auch der Community Nurses.

Die Länder kritisieren, dass der Bund zu wenig bietet. Wir haben das Angebot jetzt deutlich nachgebessert, das wird auch jetzt am Freitag Gegenstand von weiteren Gesprächen sein. Ich bin zuversichtlich, dass wir hier Lösungen finden. In der Pflege ist es einfacher als im Gesundheitsbereich, weil dort mit der Sozialversicherung ein weiterer Player eingebunden ist. Im Gesundheitsbereich möchte ich versuchen, den Grundsatz „digital vor ambulant vor stationär“ zu verankern. Das braucht logischerweise einen Ausbau des niedergelassenen Sektors und damit Geld. Dieses Geld müssen wir der Sozialversicherung geben. Beitragserhöhungen werden nicht stattfinden, daher muss das aus Steuermitteln finanziert werden. Auch hier müssen wir einen Mechanismus finden, wo die zusätzlichen Mittel an Reformen geknüpft sind. Hier geht es um die Stärkung des niedergelassenen Bereichs, den Ausbau der Digitalisierung, gemeinsame Medikamentenbeschaffung und den spitalsambulanten Bereich zumindest von der Technik und Planung gemeinsam zu denken.

Woran spießt es sich? Die Schlüsselfrage ist, wie wir Verbindlichkeit der Reformen herstellen. Es gibt bereits aus früheren Finanzausgleichen Zielvereinbarungen, die aber bloße Absichtserklärungen waren. Wir haben jetzt versucht, über die Legistik Verbindlichkeit herzustellen. Das wollen im Grunde beide Seiten. Ich halte zudem den Druck extrem hoch, gemeinsam zu einem Ergebnis zu kommen. Wenn wir Scheitern, verlieren die Länder jedes Jahr mehr Geld. Wenn wir alles lassen, wie es ist, haben wir zudem in fünf Jahren Mehrkosten von sieben Milliarden Euro im System.

Ein Hauptthema ist der Personalmangel. Welche Lösungen kann es hier geben? Die Personalfrage schwebt über allem – sowohl im Gesundheitsbereich wie auch bei der Pflege. Und das ist nicht nur mit Geld zu lösen. Schon auch. Aber wir werden massiv investieren müssen, um jene zu halten, die wir haben. Da geht es etwa um Dienstplanstabilität, Arbeitsbedingungen, Kinderbetreuung und zusätzliche Anwerbung von Personal aus dem Ausland.

Der Gesundheitsminister macht aber keine Dienstpläne. Wir haben mittlerweile die Situation, dass die Länder anfangen, sich gegenseitig zu konkurrieren. Ich werde deshalb inzwischen auch von Ländern gebeten, dass wir von Bundesseite einen Korridor einziehen, damit es nicht zu einem gegenseitigen Niederkonkurrieren kommt. Da werden wir zusammen Lösungen suchen müssen.

Wie kann das aussehen? Wir müssen das Spital und die Pflege als kommunizierende Gefäße sehen. Wenn ich in Altenheimen aufgrund von Personalengpässen Menschen nicht aufnehmen kann, dann führt das dazu, dass die durchschnittliche Liegedauer auf Internen Stationen in Spitälern immer weiter ansteigt. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir beide Welten verstärkt gemeinsam denken können. Etwa durch mehr Nachsorgebetten beziehungsweise Übergangsbetten oder Angebote in der mobilen Pflege. Ich plädiere auch hier, die Dinge gemeinsam zu denken.

Sie haben das Thema Anwerbung im Ausland angesprochen – wie soll das funktionieren? Wir werden wie gesagt auch außereuropäisch aktiv anwerben müssen. Hier sehe ich auch eine Kooperationsbereitschaft großer Länder wie Deutschland. Ich habe mit den Kolleg:innen dort auch über gemeinsame Ausbildungszentren oder Welcomecenter gesprochen, um auch die Integration zu ermöglichen.

Stichwort Integration: Welche Karten hat Österreich im Vergleich mit anderen Ländern, die auch Personalbedarf haben und Arbeitskräfte anwerben wollen? Es kann nicht sein, dass wir in einer neokolonialen Art und Weise  irgendwo hinfahren und Leute „herholen“. Das wird nicht gehen. Das muss auf Augenhöhe und in Absprache mit Herkunftsländern passieren. Wer wie Herbert Kickl eine Festung Österreich errichten will und alle die kommen wollen bedroht, muss den Wähler:innen sagen, dass im Jahr 2030 in Österreich keine Pflege und keine adäquate Spitalsbetreuung mehr stattfinden wird. Punkt. Wer einem Land sozial, wirtschaftlich und kulturell einen Kollateralschaden verpassen will, baut eine Festung. Wer umgekehrt erkennt, dass wir in Konkurrenz stehen mit anderen europäischen Staaten, der etabliert eine Willkommens- und Integrationskultur. Das bedeutet auch, dass man nicht die Gastarbeitererzählung wiederholt, sondern Angebote macht, damit Menschen zu uns kommen wollen, um hier zu arbeiten. (Das Interview führte Martin Rümmele)