Focus Blase: Operationen an der weiblichen Blase bei Belastungsinkontinenz

Die International Continence Society (ICS) definiert Harninkontinenz als ungewollten Harnverlust, der ein soziales oder hygienisches Problem darstellt und objektiv festgestellt werden kann. Wenn diese Inkontinenz synchron mit körperlicher Anstrengung, Husten oder Niesen auftritt, spricht man von Belastungsinkontinenz. Gemäß einer österreichweiten Erhebung leiden in Österreich etwa 850.000 Frauen an Harninkontinenz, davon je nach Alter 30-50% an reiner Belastungsinkontinenz und ebenso viele an Mischinkontinenz1.

Verschlussmechanismen der Blase: Man unterscheidet 2 Elemente: Das intrinsische Element einer möglichst weichen und komprimierbaren Harnröhre. Dazu ist die HR-Wand stark gefältelt, hat reichlich eingelagertes Kollagen, elastische Fasern und einen submukösen Venenpolster.
Das extrinsische Element entspricht der Verankerung von HR und Blasenhals sowie dem Beckenboden als Widerlager. Im Alter atrophiert einerseits die HR, andererseits nimmt die Mobilität der HR zu, und auch der Beckenboden wird schwächer. Dadurch wird die Entwicklung einer Belastungsinkontinenz begünstigt. Die konservative Therapie fokussiert auf den Beckenboden und sollte maximal eingesetzt werden. Erst wenn diese nicht ausreichend hilft, soll ein operativer Eingriff erwogen werden.

Geschichtliche Entwicklung der Inkontinenzchirurgie: Das Krankheitssymptom Inkontinenz ist seit Jahrhunderten bekannt, jedoch wurde das Alter, in dem es häufig zu Inkontinenz kommt, kaum erreicht. Die Lebenserwartung betrug maximal 40 bis 50 Jahre, und stieg erst ab 1960 wirklich in Richtung Senium. Erste Berichte über Operationen an der Blase wegen Deszensus oder Inkontinenz gibt es ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts (Baker Brown, Lancet, 1864). Weitere Schritte waren die vaginale Plastik von Kelly 1913 und erste Schlingenoperationen (Goebell 1910, Frankenheimer 1914, Stoeckel 1917), schließlich 1965 Narik-Palmrich mit der bis heute gültigen Faszienzügelplastik. Ein weiterer Meilenstein war 1949 die Publikation von Marshall, Marchetti und Krantz über die vesikourethrale Suspension, die von Burch 1961 als Kolposuspension perfektioniert wurde. Dieser Eingriff blieb über Jahrzehnte der Goldstandard, erst durch die Einführung des spannungsfreien Vaginalbandes (TVT) 1996 durch Ulmsten und Petros kam es langsam zur Ablöse und zum Siegeszug des TVT-Bandes und ähnlicher Methoden. An der Vereinfachung und Verbesserung wird bis heute gearbeitet.

Kolposuspension nach Burch

Bei der Kolposuspension nach Burch wird von abdominal her an mehreren Stellen die vordere Vaginalwand mit nicht resorbierbaren Nähten gefasst und hängemattenartig zum Cooperschen Ligament hinaufgenäht. Ganz wichtig ist dabei ein seitlich ausreichender Abstand zur Harnröhre. Dadurch erfolgt eine Elevation, und es entsteht ein stabiles Widerlager. Bei Belastung sinkt die Blasenhalsregion nicht mehr ab, und der Verlust der passiven Drucktransmission wird verhindert.
Bei ausgeprägtem vertikalem Deszensus wird die offene Kolposuspension heute noch empfohlen. Bei rotatorischem Deszensus besteht die Gefahr einer Enterocelenbildung, die mit einer gleichzeitigen vaginalen Rekonstruktion verhindert werden kann. Bei der abdominellen Sakrokolpopexie hat sich die zusätzliche Burch-Kolposuspension hinsichtlich der Rezidivrate eines vaginalen Vorfalls als signifikant überlegen erwiesen2. Langzeitergebnisse attestierten dieser Methode Heilungsraten von bis zu 80% nach 10 Jahren. Es zeigte sich jedoch die Entwicklung einer De-novo-Urgesymptomatik in bis zu 20%, und auch das so genannte “Burch-Pain-Syndrom” mit Schmerzen im Bereich der Leiste, also am oberen Fixierungspunkt der Nähte, minderte den subjektiven Erfolg. Obwohl nur von wenigen Autoren beschrieben, zeigte sich eine Inzidenz von bis zu 20%3. Zwischen der laparoskopischen und der offenen Methode finden sich in neueren Studien nach 2005 hinsichtlich der Heilungsrate nach 2-jährigem Follow-up keine Unterschiede mehr. Die Dauer des stationären Aufenthaltes und jene bis zur Rückkehr zum normalen Leben waren bei den laparoskopisch operierten Frauen signifikant verkürzt, jedoch die Verletzungsrate der Harnblase doppelt so hoch4.

Faszienzügelplastik

Bei der Faszienzügelplastik werden auf kombiniert abdominovaginalem Weg Urethra und Blase durch eine Schlinge aus einem Faszienstreifen der vorderen Bauchwand suspendiert. Dieser Eingriff wurde bei komplizierter Belastungsinkontinenz, speziell bei sehr niedrigem Harnröhrendruck, durchgeführt. Ein Vergleich der Faszienzügelplastik mit dem TVT- Verfahren zeigte etwa gleiche objektive Heilungsraten (83% vs. 88%)5. Die Langzeitergebnisse der Faszienzügelplastik waren aber nach 36 Monaten mit 50% vs. 70% signifikant schlechter6. Eine De-novo-Urge kann in bis zu 30% und eine zumindest passagere Blasenentleerungsstörung in 30- 50% auftreten, wobei eine anhaltende Retention mit 2% selten auftritt.

Nadelsuspensionen

Die zuletzt beschriebenen Methoden waren alle relativ invasiv, und daher wurden stets weniger invasive Innovationen gesucht. In der 80er Jahren glaubte man, diese mit den Nadelsuspensionen gefunden zu haben (Peyrera, Raz, Stamey, Gittes etc.) Die direkt postoperativ guten Kontinenzraten von etwa 90% sanken aber rasch auf 18- 47% nach zwei Jahren ab. Somit sind diese Methoden nicht mehr zu empfehlen.

Harnröhrenunterfütterung

Auch die Unterfütterung der Harnröhre und des Blasenhalses mit verschiedenen Substanzen wie Kollagen, Silicon, Graphit oder Hydrogel zur Erhöhung des urethralen Widerstandes bei immobiler hypotoner Harnröhre ist nicht erfolgversprechend. Bei recht guten Ergebnissen nach drei Monaten von bis zu 86% sinken diese nach einem Jahr auf unter 50%. Auch der Erfolg der gerade in letzter Zeit sehr umstrittenen Verwendung von Stammzellen bei sonst gleicher Applikation muss erst in einer randomisierten prospektiven Studie bewiesen werden.

Das klassische TVT-Band

Somit ging die Suche nach einer wenig belastenden Methode, ohne De-novo-Urge oder Schmerzsyndromen, mit guten Langzeitergebnissen weiter. Die subjektive Zufriedenheitsrate nach Inkontinenzoperationen in dieser Ära lag deutlich unter 50%.
Ulmsten et al. verlagerten in ihren Arbeiten den entscheidenden Kontinenzmechanismus in den Bereich der mittleren Harnröhre. Ihre “Integral Theory” beruht im Wesentlichen auf dem Ersatz des pubourethralen Bandes durch synthetisches Material. 1996 trat Ulmsten mit seiner bahnbrechenden Veröffentlichung über das spannungsfreie Vaginalband (Tension-free vaginal Tape – TVT) den Beweis an und revolutionierte den damaligen Stand der Inkontinenzchirurgie der Frau7. Wegen den verfrühten Jubelmeldungen bei den verschiedenen Nadelsuspensionen war anfänglich die Skepsis groß, und so brachte erst die prospektiv-randomisierte Studie von Ward, wobei TVT mit der Kolposuspension nach Burch verglichen wurde, den endgültigen Durchbruch für die deutlich weniger invasive und morbiditätsbehaftete TVT-Methode.
Beim klassischen TVT wird über eine kleine vaginale Inzision über einen Penetrator ein synthetisches Band spannungsfrei um die mittlere Harnröhre gelegt und retropubisch herausgeleitet. Es hält dann nur durch die Friktion im Gewebe.
Die oben erwähnte Studie von Ward8 zeigte gleiche Heilungsraten von rund 80% und Verbesserungsraten von 94% für Burch und TVT nach 5 Jahren. Auch bei älteren Frauen über 75 Jahren und bei niedrigem Harnröhrendruck (< 30 cm H2O) waren die Ergebnisse kaum schlechter9. Die Retentionsraten mit waren 7% ident. Weitere Langzeitstudien mit anhaltenden Ergebnissen nach bis zu 11,5 Jahren machten das deutlich weniger belastende spannungsfreie Vaginalband zum neuen “Goldenen Standard” für die reine Belastungsinkontinenz ohne Prolaps.
Die Methode ist relativ einfach, jedoch nicht komplikationsfrei. Es folgt eine Auflistung von Komplikationen unter Einbeziehung des “Registers Urethrale Bänder des AK Blasenfunktionsstörungen” der ÖGU9. Über eine intraoperative Blasenperforation (wenn sofort erkannt, ist eine Neuplatzierung des Bandes ohne Probleme möglich, es wird nur der Katheter einen Tag länger belassen) wurde in 3-9% berichtet.
Passagere Retentionen traten in 5% auf, wobei in 1-2% das Band durchtrennt werden musste. Der beste Zeitpunkt dürfte nach etwa 6 bis 8 Wochen sein, da lässt sich das Band noch darstellen, aber der Halt nach oben ist schon gegeben. Eine De-novo-Urge entwickelte sich in 6-7%. Andererseits verschwand eine präoperative Drangsymptomatik bei über 50% nach der Bandoperation. Schwerwiegende Komplikationen traten bei 750.000 TVT-Operationen selten auf. Es wurde über 43 Gefäßverletzungen, 26 Dünndarmverletzungen, 17 Harnröhrenarrosionen und 3 Beckenbodenphlegmonen berichtet. Die postoperative Blutbildoder Hämatokrit-Kontrolle einige Stunden nach der Operation hat sich zum Ausschluss unerkannter Gefäßverletzungen etabliert.

Bezüglich des Materials hat sich das geflochtene Polypropylen als optimal für die suburethrale Implantation erwiesen10. Es wird bei zahlreichen Entwicklungen anderer “spannungsfreier Bänder” eingesetzt. Die Ergebnisse sind großteils mit denen der TVT-Orginalmethode vergleichbar.

Das transobturatorische Band

Nach der allgemeinen Akzeptanz des Konzeptes der spannungsfreien Urethralbänder gilt es beim retropubischen Weg die seltenen, aber wie oben beschrieben doch schwer wiegenden Komplikationen zu vermeiden.
2001 publizierte Delorme den transobturatorischen Weg unter Vermeidung des Cavum retzii bzw. des kleinen Be-kens11. Das Band folgt dem natürlichen Verlauf des Beckenbodens. Es gibt 2 Techniken für die Applikation: Die Outside-in-Methode nach Delorme und die Inside-out-Methode nach De Lavale. Erste randomisierte Studien zeigten keinen Unterschied in der Heilungsrate, verglichen mit dem klassischen retropubischen TVT12. Spätere Studien belegen allerdings, dass der Grad der Inkontinenz ein wichtiger Faktor ist. Frauen mit Grad-II-Inkontinenz hatten mit TVT-O nur eine 66%-Heilungsrate13. Bei den transobturatorischen Methoden kommt es praktisch zu keinen Beckengefäß- oder Darmverletzungen mehr. Die Retentions- und De-novo-Urge-Raten sind vergleichbar9. Leider werden immer wieder Schmerzen im Bereich des N. ob-turatorius, etwas vermehrte Bandarrosionen und vor allen eine doch stark belastende Dyspareunie angegeben14.

Miniaturisierte Schlingen

Ziel dieser so genannten “Minibänder” oder “Kurzarmschlingen”  ist es, noch weniger invasiv zu sein. Auch hier liegen die Heilungsraten um 80-90%, die Retentionsraten um 8%, und eine De-novo-Urge entwickelte sich in 10 %15. Dyspareunien wurden nicht beobachtet. Es wurden auch adjustierbare Systeme mit dem Vorteil der Möglichkeit einer postoperativen Nachjustierung entwickelt, die sich besonders bei Detrusor-schwäche oder immobiler hypotoner Harnröhre bewährt haben. Eine Korrektur in beide Richtungen ist möglich.

Weitere Systeme

Bei der ACT-Methode (Adjustable Continence Therapy) werden 2 Ballons paraurethral zwischen endopelviner Faszie und Blasenhals platziert. Diese können unter Röntgen-Kontrolle mehr oder weniger befüllt werden. Die Methode wird fallweise bei hypotoner, immobiler Harnröhre und bei Versagen der suburethralen Bänder eingesetzt. Als Ultima Ratio, besonders bei neurogener Belastungsinkontinenz, wird fallweise auch bei der Frau ein künstlicher Sphinkter mit Manschette um den Blasenhals und hydraulischem Pumpsystem eingesetzt.

Take-Home-Message

Die suburethralen Bänder haben die Kolposuspension nach Burch als Goldstandard abgelöst. Hauptgrund ist die geringere perioperative Belastung, die schnellere Rehabilitation und die geringere Entwicklung von Schmerzsyndromen. Auch bei langer Nachbeobachtungszeit von bis zu 11,5 Jahren bleiben die Heilungsraten um 80%, bei lediglich 3% Versagerquote. Zusammenfassend zu allen verschiedenen Bandoperationen muss gesagt werden, dass es bei dem bei allen Methoden gleichen “blinden” Eingehen in das Gewebe zu Blutungen kommen kann. Selbst bei Minibändern wurden revisionspflichtige Blutungen z.B. aus dem Musculus obturatorius beobachtet16. Die derzeitige Studienlage spricht nicht für ein spezielles Band, bei Rezidivinkontinenz nach Bandimplantation sollte eher ein retropubisches Band verwendet oder eine Kolposuspension durchgeführt werden. Wichtig für die Zukunft aller innovativen OP-Methoden (speziell auch für die verschiedenen Netze bei Prolaps) ist die Einmahnung von fundierten Studien vor ihrem breiten Einsatz (letzte Entscheidungen der FDA gehen in diese Richtung).
Entscheidend für den Erfolg einer Methode ist die richtige Indikation und natürlich die Erfahrung des Operateurs, besonders auch bezüglich der wirklich “spannungsfreien” Lage des Bandes. Denn neben der wichtigen präoperativen Abklärung der Detrusorfunktion, speziell bei Frauen über 75, spielt die richtige Positionierung des Bandes eine Hauptrolle bezüglich der Entwicklung einer Retention und v.a. auch einer De-novo-Drangsymptomatik. Der erste Eingriff ist der entscheidende, da die Erfolgsrate bei Sekundäreingriffen deutlich niedriger liegt. Jeder Operateur sollte das System verwenden, mit dem er sich wohl fühlt und ausreichend Erfahrung gesammelt hat.

Dr. Mons Fischer, FEBU, FA für Urologie
Vorsitzender der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ)

1) Hannestad YS J Clin Epidemiol 2000; 53:1150
2) Maher C et al., Cochrane Database, 2007
3) Aagard J, Ferlie R, Byrjalson C et al., J Int Urogynecol 1994; 5:334
4) Tan E et al., 2007; 26(2):158-169
5) Sharifiaghdas F Mortazavi N, Med Princ Pract 2008; 17(3):209-214
6) Amaro JL, Yamamoto H, Kawano PR et al., Int Braz J Urol 2008; 35 (1):66-67
7) Ulmsten U et al., Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct 1996; 7:81-85
8) Ward KL, Hilton P Browning J (on behalf of the UK & Ireland TVT trial group), Br Med J 2002, 325:67-70
9) Fischer M, Lüftenegger W, Journal Urol Urogynäcol 2006; 13 (2):34-38
10) Feifer A, Corcos J, Int urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct 2007; 18:1087-1095
11) Delorme E. Progres Urol 2001; 11:1306-1313
12) Mansoor A et al., Proceeding Annual Meeting Intern Continence Soc 2003, Florenz, Abstr.# 88
13) Araco F et al., J Pelvic Floor Dysfunct 2008; 19: 917-926
14) Boyles SH et al., Int Urogynecol j Pelvic Floor Dyfunct 2007; 18:19-22
15) Meschia M et al., Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct 2009; 20:313-317
16) Masata J et al., Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct 2008; 19:1581-1583