Panorma: Das Keimspektrum der Harnwegsinfektionen im Lichte der aktuellen Resistenzsituation

Die Harnwegsinfektion ist die häufigste nosokomiale Infektion, die zweithäufigste Infektionskrankheit überhaupt und die dritthäufigste Infektion bei Intensivpatienten. Dementsprechend kostenintensiv sind Diagnostik und Therapie, und mit der Zunahme (multi)resistenter E.-coli-Stämme werden die Ausgaben hierfür noch weiter ansteigen. Ein optimaler Einsatz der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ist daher dringend wünschenswert, um unnötige Diagnostik, vor allem jedoch, um unnötige Antibiotikatherapien zu vermeiden.

Harnteststreifen

Bei Vorliegen der typischen Anamnese (Dysurie, Pollakisurie, imperativer Harndrang, Ausschluss von pathologischem Fluor vaginalis) einer akuten, unkomplizierten Zystitis ist die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Harnwegsinfektion so hoch, dass der zusätzliche Einsatz eines Harnteststreifen nur einen geringen Wissenszuwachs bringt und unterbleiben kann. Bei unklarer Anamnese (keine Angabe von Dysurie) kann unter Beachtung der Schwächen eines Harnteststreifen (Abb. 1) bei Positivität von Leukozyten und Nitrit, nur Nitrit oder Leukozyten und Blut die Wahrscheinlichkeit einer akuten Harnwegsinfektion erhöht werden. Bei Unsicherheit sollte im Zweifelsfall eine Harnkultur angelegt werden.

Resistenzentwicklung bei E. coli

Viele Jahre lang konnten Aminopenicilline, Chinolone und Trimethoprim erfolgreich empirisch in der Therapie von Harnwegsinfektionen eingesetzt werden. In den letzten Jahren kam es jedoch zu einem deutlichen Anstieg der Chinolonresistenten invasiven (= aus Blutkulturen gewonnen) E.-coli-Stämme bis zu einer maximalen Resistenzrate von 25,4% im Jahr 2007, die bei urologischen Patienten sogar die 35%-Marke überschritt (Abb. 2). Zeitversetzt kam es durch einen hohen Verbrauch an (Oral-) Cephalosporinen der 3. Generation zu einem Anstieg an ESBL (Extended-Spektrum- Beta-Laktamase) positiven E.-coli-Stämmen 2007: 13,3%, 2008: 9,2%), der den Einsatz von Penicillinen und Cephalosporinen als Therapieoption ausschließt. Die Situation wird insofern noch erschwert, als die Mehrzahl der ESBLpositiven E.-coli-Stämme auch Chinolonresistent sind.
Die aktuellsten österreichischen Resistenzdaten können dem Resistenzbericht Österreich AURES 2008 (http://www.bmg.gv.at/cms/site/attachments/8/6/1/CH0954/CMS1260629027650/aures.pdf) entnommen werden (Tab. 1). Diese Daten zeigen, dass bei Harnwegsinfektionen mit Escherichia coli aktuell Aminopenicilline ohne Beta-Laktamase-Inhibitor, Trimethoprim bzw. Cotrimoxazol Resistenzraten über 25% aufweisen und bei der empirischen Therapie zu hinterfragen sind. Chinolone sind zu etwa 18% resistent, und überraschenderweise – unter Umständen bedingt durch die deutlich kleinere Anzahl getesteter Stämme – Pivmecillinam zu über 10%, bei den ESBLpositiven E.-coli-Stämmen zu 20%.

Therapieoptionen in der Praxis

Angesichts der Resistenzentwicklung hat sowohl im ambulanten Setting als auch im Spitalsbereich die Unterscheidung zwischen symptomatischer und asymptomatischer Bakteriurie an Bedeutung zugenommen. Rezente Studien zeigen auch, dass entsprechende Schulung und Wissensvermittlung die nicht zielführende Verschreibung bei asymptomatischer Bakteriurie erfolgreich reduziert werden kann (Tab. 2). Selbst bei nierentransplantierten Patienten muss diese Frage gestellt werden, da dieses Patientenkollektiv oftmals rezidivierend ein multiresistentes Erregerspektrum in der Harnkultur aufweist, ohne jedoch klinisch oder laborchemisch Hinweise auf eine manifeste Harnwegsinfektion haben.
Bei der akuten, unkomplizierten Zystitis werden nach der neuen S3-Leitlinie der Paul-Ehrlich-Gesellschaft als Mittel der ersten Wahl Fosfomycin-Trometamol, Nitrofurantoin und Pivmecillinam empfohlen, Chinolone als Alternative und Trimethoprim in Anhängigkeit der lokalen Resistenzsituation. Anzumerken ist, dass Fosfomycin-Trometamol als Single-Shot- Therapie nur bei einer E.-coli-assoziierten akuten, unkomplizierten Zystitis zugelassen ist und keine Aktivität gegenüber Staphylococcus saprophyticus hat. Nitrofurantoin wirkt ebenfalls ausschließlich gegen E.-coli und hat ein nicht zu vernachlässigbares Nebenwirkungsspektrum. Pivmecillinam ist gegen E.-coli aktiv, jedoch nicht gegen S. saprophyticus. Eine rezent publizierte deutsche Pilotstudie untersuchte in einer doppelblinden, randomisierten kontrollierten Pilotstudie in 29 deutschen Allgemeinpraxen an 80 gesunden Frauen im Alter von 18 bis 85 Jahren, die zumindest ein Hauptsymptom, Dysurie oder Pollakisurie und keine komplizierenden Faktoren aufwiesen, Ibuprofen versus Ciprofloxacin über drei Tage (Bleidorn, BMC Medicine 2010). Die Autoren konnten zeigen, dass Ibuprofen der Vergleichssubstanz Ciprofloxacin in der Therapie einer symptomatischen, unkomplizierten Harnwegsinfektion nicht unterlegen war (Abb. 3)!
Bei Vorliegen einer ESBL-positiven Harnwegsinfektion können Penicilline, Cephalosporine und Aztreonam nicht zur Therapie eingesetzt werden. Pivmecillinam kann nur dann verschrieben werden, wenn das Antibiogramm eine entsprechende Aktivität nachweist. Bei fehlender Austestung muss therapeutisch von einer Resistenz ausgegangen werden. Bei einer akuten, unkomplizierten ESBL-positiven E.-coli-Zystitis kann Fosfomycin- Trometamol oder Nitrofurantoin eingesetzt werden. Bei allen anderen Enterobakterien bzw. nicht unkomplizierten Harnwegsinfektionen sind die Carbapeneme Mittel der Wahl, als Alternative mit allen ihren gefürchteten Nebenwirkungen (Nephrotoxizität, Ototoxizität) kommen die Aminoglykoside in Betracht.
Um die Selektion resistenter Pseudomonas- Stämme durch den Einsatz von Carbapenemen zu reduzieren, sollte dem Einsatz von einem “Schmalspektrum”- Carbapenem (Ertapenem) der Vorzug gegeben werden. In der Indikation Harnwegsinfektion wird Ertapenem 1-mal 1,0 g täglich parenteral verabreicht; der Pferdefuß liegt in der Zulassung: Ertapenem ist in den USA zwar für die Indikation Harnwegsinfektion zugelassen, in Europa wurde Ertapenem bei der EMEA hierfür nicht eingereicht, und der zweifelsfrei sinnvolle, laufend praktizierte und erfolgreiche Einsatz muss daher als “Off-Label-Indikation” erfolgen.

Enterokokken

Als Enterokokken-Antibiotika (Tab. 3) sind die Aminopenicilline als Mittel der ersten Wahl anzuführen. Bei Vorliegen einer Aminopenicillinresistenz sind die Glykopeptidantibiotika Vancomycin bzw. Teicoplanin, die ausschließlich parenteral verabreicht werden, zu verordnen. Aus logistischen Gründen ist wahrscheinlich dem Teicoplanin der Vorzug zu geben, da aufgrund der langen Halbwertzeit eine einmal tägliche Gabe über drei Tage ausreichen wird, eine Enterokokken-Harnwegsinfektion zu therapieren (entsprechende Studien liegen nicht vor). Bei Vorliegen von Vancomycin-resistenten Enterokokken ist bei Harnwegsinfektionen Daptomycin Mittel der Wahl. Linezolid bzw. Tigecyclin kommen aufgrund ihrer hepatalen Elimination nicht in Frage. Cephalosporine selektionieren, aber auch Chinolone haben keine ausreichende Aktivität gegen Enterokokken, sodass beide Substanzklassen bei Enterokokkeninfektionen nicht eingesetzt werden können.

Take-Home-Message

Die Wertigkeit des Harnteststreifens ist kritisch zu hinterfragen, und sein Einsatz bringt bei einer akuten, unkomplizierten Zystitis mit typischen Symptomen keinen nennenswerten Wissenszuwachs. Aufgrund der zunehmenden Resistenzsituation bei Escherichia coli gewinnt die Harnkultur an Bedeutung, das Harnsediment kann diese nicht ersetzen. Eine asymptomatische Bakteriurie wird primär nicht mit Antibiotika behandelt (ausgenommen sind schwangere Frauen).
Bei der empirischen Primärtherapie kommt es unter Berücksichtigung der Resistenzsituation zu Verschiebungen bei den Therapieoptionen. Bei Harnwegsinfektionen mit ESBL-positiven Enterobakterien sind Carbapeneme, vorzugsweise “Schmalspektrum”-Carbapeneme Mittel der Wahl.

 

Ao. Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer
Klinische Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin, Universitätsklinik für Innere Medizin I, AKH & Medizinische Universität Wien