Änderungen gegenüber den österreichischen Leitlinien 2006/7 -Update Kreuzschmerzen 2011

Wie schon aus der Definition von Leitlinien hervorgeht, sollen diese nicht als lästige Vorschriften oder Unterlage zur Kochbuchmedizin betrachtet werden, sondern als Orientierungshilfen, welche im Einzelfall aktuelle Evidenz mit subjektiver klinischer Erfahrung verbinden. Auch die Prüfung auf Umsetzbarkeit ist zu beachten und es können dabei auch Kompromisse notwendig sein. Die Basis des vorliegenden Updates stellen die 2006/7 erarbeiteten österreichischen Leitlinien dar. Als Mindestevidenzgrad wurde wieder Grad IIa festgesetzt (kontrollierte Studien, auch ohne Randomisierung).

Die Evidenzlage kann zu drei Schlüssen führen:

1. Es besteht ausreichende Literatur, dass die betreffende Maßnahme keinen positiven, sondern sogar einen negativen Effekt zur Folge hat – Empfehlung dagegen

2. die Datenlage ist zum gegebenen Zeitpunkt nicht überzeugend bzw. ausreichend, dass eine Empfehlung für oder dagegen möglich ist

3. es gibt ausreichend hochwertige Literatur, dass ein positiver Effekt zu erwarten ist, sodass eine Empfehlung gegeben werden kann

Änderungen und Trends gegenüber der Erstfassung

Diagnostisch zieht sich in noch ausgeprägterer Form die Empfehlung wie ein roter Faden, schon bei Hinweisen auf einen ungewöhnlichen Verlauf eine (Re-)Evaluierung hinsichtlich Spezifität vorzunehmen. Mittels Befragung nach den „Red Flags“ soll Warnhinweisen auf ein spezifisches Kreuzschmerzgeschehen nachgegangen werden (> Tab. 1).

Einen heiklen Punkt hinsichtlich Spezifität stellt der Kreuzschmerz auf Basis möglicher degenerativer Veränderungen dar. Zunächst ist weiterhin davon auszugehen, dass degenerative Veränderungen meist nicht mit dem Auftreten von Kreuzschmerzen korrelieren und diese daher für den Kreuzschmerz als unspezifisch anzusehen sind (Hildebrandt J., 2004).

Denn: Wer von uns kennt nicht die Bilder von Patienten, die hochgradig degenerative Zeichen zeigen, ohne dass die Patienten Wirbelsäulenbeschwerden äußern. Dennoch bestehen bestimmte degenerative Veränderungen, bei welchen die Wahrscheinlichkeit für gleichzeitige Kreuzschmerzen deutlich höher ist. Zur Beurteilung dieser „Grauzone“ zwischen spezifischen und unspezifischen Kreuzschmerzen hilft die Studie von Kjaer et al. (2005). Er erarbeitete eine Tabelle, auf der degenerative Veränderungen gelistet sind, die im unterschiedlichen Ausmaß mit Kreuzschmerzen verbunden sind. An der Spitze stehen die Anteriospondylolisthesen (OR 6,1), gefolgt von Modic-Zeichen (OR 4,3) und „black discs“, reduzierte Diskushöhe und HIZ (High Intensity Zone – kleine Areale stark erhöhter Signalintensität im Anulus in der MRI) (OR je 2,5). Information, besonders über den meist guten Verlauf, Linderung der Schmerzen mittels Medikation, um möglichst aktiv bleiben zu können, Prävention der Chronifizierung und Vermeidung diagnostischer Maßnahmen, die ohne Konsequenzen sind, stellen die weiteren wesentlichen Eckpunkte der Betreuung akuter, unspezifischer Kreuzschmerzen dar. Ziel ist es, dass die Patientinnen und Patienten ihren gewohnten täglichen Aktivitäten möglichst rasch wieder nachgehen können.

Therapieempfehlungen/-änderungen: Während für das Gros der physikalischen Maßnahmen keine klaren Empfehlungen möglich sind, wurde für Wärmebehandlungen in Kombination mit Bewegungstherapien eine Evidenz im Ausmaß wie für NSAID festgestellt.

Eine kleine Änderung wurde hinsichtlich der zeitlichen Kategorien des Kreuzschmerzes vorgenommen: Von der leicht einprägsamen Gliederung nach 6 Wochen (akut unter 6 Wochen, subakut 6–12 Wochen, chronisch über 12 Wochen) wurde dahingehend abgewichen, dass die akuten Kreuzschmerzen nur 4 bis 6 Wochen dauern. Grund dafür ist, dass damit die Phase der subakuten Kreuzschmerzen schon 4 Wochen nach Schmerzbeginn besteht und so deutlicher wird, dass der Chronifizierungsprozess auch schon in dieser Zeit beginnen kann und man dann schon Chronifizierungsfaktoren („Yellow Flags“) bedenken und erheben sollte (> Tab. 2).

Trends: Zum Management von chronischen, nicht-spezifischen Kreuzschmerzen gehört das Überprüfen auf spezifische Warnhinweise, das Schaffen eines adäquaten Krankheitsverständnisses, Kraft-, Ausdauerund Koordinationstraining, all dies unter aktiver Mitarbeit der Patientinnen und Patienten.

Hinsichtlich des chronischen Kreuzschmerzes ist die Bedeutung der psychosozialen Faktoren hervorzustreichen. Beim Für und Wider einzelner Maßnahmen wird auch vermehrt positiv gewertet, ob die Maßnahme die Eigenverantwortung und Aktivität des Patienten von sich aus fördert und nicht die Passivität verstärkt.

Moderne Behandlungskonzepte zum Management des unspezifischen chronischen Kreuzschmerzes zielen neben der Schmerzreduktion vor allem auf den Erhalt der Funktionen im täglichen Leben ab. Sie beschäftigen sich mehr mit Lebensführung und Lebensqualität als mit Heilung. Der Ansatz ist grundsätzlich multidisziplinär, unter Einbeziehung medizinischer, sozialer und psychologischer Aspekte.