Auf dem Weg zu sicheren Medikamenten? – Neue EMA-Richtlinien

Eine Wirksamkeit von Antidiabetika wurde bisher bei Verbesserung der Blutzuckerkontrolle angenommen. Dieses Paradigma wird durch Bedenken zur Sicherheit von Arzneimitteln in anderem Licht gesehen, wie dies im Fall von inhalativem Insulin oder von Rosiglitazon veranschaulicht ist.

 

Wir fordern als PatientInnen oder behandelnde ÄrztInnen zu Recht, dass für Wirkstoffe eine umfassende Nutzen-Risiko-Bewertung vorzuliegen hat, sind uns aber bewusst, dass klinische Endpunkte erst nach längerer Behandlungszeit auftreten und eine Wirkung auf Surrogate wie Nüchternglukose oder das Lipidprofil oder das Körpergewicht nicht unbedingt eine Senkung des kardiovaskulären Risikos impliziert.
Wie kann nun erreicht werden, dass wir von Innovationen nicht ausgeschlossen sind oder lange auf eine verbesserte Therapie gewartet werden muss, aber dennoch Vertrauen in die zulassenden Behörden besteht, dass Sicherheit und Wirksamkeit von Produkten entsprechend überwacht sind?

Anpassung an neue Herausforderungen

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hat 2010 einen Entwurf für eine neue Richtlinie zu klinischen Studien von Antidiabetika zur Diskussion gestellt. Diese Revision folgt der ersten Richtlinie aus 2002 und detailliert die Anforderungen für die Zulassung neuer Medikamente.1 Die EMA argumentiert, dass diese Neuerungen von Seiten der „Pediatric Regulation“ (Verpflichtung von Arzneimittelstudien bei Kindern und Jugendlichen, sofern diese von einem neuen Wirkstoff profitieren könnten) notwendig geworden sind, weist aber auch auf die Vielzahl neuer Produkte in der Therapie des Typ-2- Diabetes hin und außerdem auf die limitierte Verfügbarkeit systematisch erhobener Langzeitdaten, auf die Komplexität der Behandlung mit Medikamentenkombinationen und auf den neuen Ansatz zur medikamentösen Prävention von Typ-2-Diabetes. Die Richtlinie diskutiert dazu verschiedene relevante Punkte, die für eine Zulassung eines neuen Antidiabetikums beachtet werden sollten.

Kerninhalte der neuen Leitlinien

Zielparameter: Das glykierte Hämoglobin A (HbA1c) wird als primärer Endpunkt für Zulassungsstudien akzeptiert, da es einen validierten Parameter zur Beurteilung der Glukosekontrolle darstellt und mit dem Risiko für Diabetessymptome und mikrovaskuläre Komplikationen assoziiert ist. Es wird darauf hingewiesen, dass das HbA1c zentral analysiert und nach validierten Methoden ausgewertet werden soll. Parameter zur Erfassung der Plasmaglukose (Nüchternglukose, Glukose-AUC, postprandiale Glukose etc.) können als sekundäre Zielparameter herangezogen werden, zur kontinuierlichen Blutzuckermessung wird ermutigt.
Als mögliche Zielparameter für die Therapie mit Antidiabetika werden weiters eine Reduktion der Insulinämie oder der Insulindosis, in Verbindung mit einer Verbesserung des HbA1c, sowie eine Reduktion der Insulindosis und Gewichtsverlust (auch bei konstantem HbA1c) angeführt. Begleitparameter in Studien sollten jedenfalls das Körpergewicht und die Serumlipide sein.

Methodik: Der Auswahl von StudienteilnehmerInnen wird große Aufmerksamkeit gewidmet. Die Kohorte sollte repräsentativ zusammengesetzt sein, bezüglich metabolischer Kontrolle stratifiziert werden (z. B. ein HbA1c-Cut-off von 8 %) sowie die Vorbehandlung berücksichtigen. Phase-II-Studien sollten mit mehreren Dosen über 8–12 Wochen im parallelen, doppelblinden, placebokontrollierten Design geführt werden, mit Plasmaglukose bzw. (bei längerer Beobachtung) demHbA1c als Zielparameter. Phase-III-Studien sollten mehrfach angelegt werden, sowohl in Mono- wie auch in Kombinationstherapie, ebenso im parallelen, doppelblinden, Placebo- und Aktive-Kontrolle- Design. Damit wird eine Überlegenheit gegen Placebo und eine Nicht-Unterlegenheit gegen die aktive Kontrolle untersucht. Hauptzielparameter dieser Beobachtungen mit einer Dauer von mehr als 3–6 Monaten ist das HbA1c. Bei Kombinationen mit Insulin wird ein 3-armiges Design vorgeschlagen, damit die Indikation „Kombination mit Insulin“ gestützt werden kann.

Pharmakodynamik und Pharmakokinetik sollten für alle Wirkstoffe extensiv geprüft werden. Dies beinhaltet die detaillierte pharmakologische Identifikation der Wirkungen, auch im Vergleich zu anderen Wirkstoffen, sowie die Aktivität der Hauptmetaboliten. Aufgrund der oftmalig geänderten Pharmakokinetik durch gastrointestinale Veränderungen und Nierenfunktionsverlust ist auch bei allen Zielpopulationen eine Erhebung der pharmakokinetischen Eckdaten notwendig.

Spezifische Populationen: Neue Antidiabetika sollten insbesondere in klinische Studien bei Älteren eingebracht werden. Dabei sind auch die Pharmakokinetik und die Hypoglykämieneigung zu bewerten. Auch Jugendliche sollten in einer Phase-III-Studie als Subgruppe oder in einer eigenen Studie repräsentiert sein.

Arzneimittelsicherheit im Fokus

Generelle Anforderungen an Sicherheitsdaten bestehen in Klasseneffekten von Arzneimitteln sowie in der Beurteilung von Lebersignalen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes. Zur Beurteilung sind Daten aus Mono- und Kombinationstherapie heranzuziehen. Bezüglich der Expositionsdauer besteht keine klare Empfehlung. Davon sind Kinder ausgenommen, wo eine Exposition von mehr als einem Jahr zur Beurteilung als notwendig erachtet wird.
Schwere hypoglykämische Episoden sind bei Typ-2-Diabetes seltener als bei juvenilem Typ-1-Diabetes. Eine Einteilung des Schweregrades von Hypoglykämien ist für die Population mit Typ-2-Diabetes nicht definiert, eine Häufung der Episoden nach Subgruppen (Alter, Komedikation etc.) erscheint sinnvoll. Ebenso soll die Messung der Nachtglukose als Surrogat bei Studien erwogen werden.
Die Beurteilung der Langzeitsicherheit und insbesondere der kardiovaskulären Sicherheit ist weiterhin eine komplexe statistische Herausforderung. Mögliche Signale sollen aus nicht-klinischen Modellen abgeleitet werden, klinische Daten aus Studien mit 18–24 Monaten Behandlungsdauer herangezogen werden und gepoolte Analysen aus dem Entwicklungsprogramm von Phase-II- und Phase-III-Studien errechnet werden. Solche Analysen erfordern einen entsprechenden statistischen Auswerteplan und eine homogene Nomenklatur von Nebenwirkungen und Ereignissen für die Studienplanungen. Die EMA fordert den Nachweis, dass es zu keiner Zunahme des kardiovaskulären Risikos mit neuen Wirkstoffen kommt. Als Zielparameter wird die Auswertung von kardiovaskulärem Tod, nicht-tödlichen Herzinfarkten, Insulten und anderen kardiovaskulären Ereignissen empfohlen. Diese Ereignisse sind nur auswertbar, wenn ausreichend Hochrisikopatienten in Studien aufgenommen werden. Weiters soll eine systematische Sammlung kardiovaskulär relevanter Parameter durchgeführt werden (Körpergewicht, Ödeme, Herzleistung, B-natriuretisches Peptid, Hypertonie, Arrhythmien etc.).
Bei Wirkstoffen mit neuem Wirkmechanismus wird gefordert, Daten mit kardiovaskulären Endpunkten zur Zulassung vorzulegen. Diese Anforderung gilt auch für neue Medikamente mit möglichem Risikoprofil. Alle anderen Produkte haben Daten zur Langzeitsicherheit aus Post-Marketing-Analysen vorzulegen, ausgenommen sind nur Medikamente mit bekannt günstigen kardiovaskulären Wirkungen.

Neue Indikationen

Bisher sind keine Medikamente zur Prävention der Entstehung von Typ-2-Diabetes zugelassen. Da ein Nutzen einer solchen medikamentösen Maßnahme bisher nicht bestätigt ist, muss das Design der Studie kritisch geprüft werden und Überlegenheit gegen Placebo und optimierten Lebensstil untersuchen. Als Endpunkt wäre die Inzidenz von Typ-2-Diabetes ohne Nachweis eines zusätzlichen Nutzens, wie z. B. des Vermeidens vaskulärer Komplikationen, nicht ausreichend.
Die Vermeidung relevanter diabetischer Komplikationen wäre als Endpunkt von der EMA akzeptiert, es existiert jedoch kein anerkannter Surrogatparameter. Harte klinische Endpunkte werden für makrovaskuläre Studien gefordert: Für die nicht-proliferative diabetische Retinopathie gilt die 7-Feld-Fundusphotographie als Standardmethode, für die Nephropathie die Zeit bis zur Verdoppelung des Serumkreatinins, eine anhaltende Erhöhung des Serumkreatinins (z. B. > 250 μmol/l = 2,8 mg/dl) oder die Entwicklung eines terminalen Nierenversagens. Für die Neuropathie ist kein allgemeiner Standard definiert, da verschiedene Komponenten Teil des Syndroms sind. Bei der Planung solcher Endpunktstudien sollte daher Scientific Advice vom Humanarzneimittelausschuss (CHMP) der EMA eingeholt werden.

 

1 European Medicines Agency, Guideline on clinical investigation of medicinal products in the treatment of diabetes mellitus. Draft 20 January 2010 (CPMP/EWP/1080/00 Rev. 1)