Cannabinoid-Rezeptoren und Entzündung CB2-Agonisten als unproblematische Therapieoption

Cannabinoide und Endocannabinoide: Der Hanf ist einer der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Hinweise auf seine antientzündlichen Eigenschaften reichen zurück bis 2.000 v. Chr. Doch die Nutzung von Cannabis als Freizeitdroge und seine Kriminalisierung ausgehend vom Amerika der 1930er-Jahre hat Cannabis als Heilmittel aus dem pharmazeutischen Repertoire verdrängt. Drei Ereignisse haben Cannabis als Heilpflanze wieder in das Licht der pharmakologischen Forschung gerückt: der Nachweis von δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) als psychoaktiven Wirkstoff von Cannabis, die Entdeckung der Cannabinoid- Rezeptoren und die Prägung des Konzepts eines Endocannabinoidsystems. Der Ausdruck Cannabinoide umfasst heute sowohl die pflanzlichen Inhaltsstoffe von Cannabis als auch jene synthetische Substanzen, die Cannabinoid- Rezeptoren aktivieren. Eine Vielzahl synthetischer Cannabinoide befindet sich noch in der präklinischen Forschung. Das einzige erhältliche synthetische Cannabinoid, Nabilon, ist ein Analog des THC und ist bei Zytostatika- bedingter Übelkeit und Erbrechen indiziert. Die körpereigenen, d. h. endogenen Cannabinoide werden in Anlehnung an die endogenen Opioide als Endocannabinoide bezeichnet. In ihrer chemischen Struktur unterscheiden sie sich aber grundlegend von THC und den anderen Phytocannabinoiden. Endocannabinoide sind Derivate der Arachidonsäure und ähneln somit den Eicosanoiden. Die am besten erforschten Endocannabinoide sind Arachidonylethanolamid (Anandamid) und 2-Arachidonylglycerol (2-AG).

Cannabinoid-Rezeptoren: Cannabinoidmoleküle wirken über Cannabinoid-Rezeptoren, von denen bis jetzt zwei kloniert werden konnten: Cannabinoid-Rezeptor 1 und 2 (CB1 und CB2). Die ursprüngliche Vorstellung, dass sich Cannabinoide in Zellmembranen einlagern und eine Wirkung ähnlich einem Anästhetikum ausüben, konnte damit verworfen werden. Inzwischen konnte man nachweisen, dass Cannabinoide, außer an CB1 und CB2, auch an andere Rezeptoren binden können, wenn auch in höheren Konzentrationen. Interessanterweise aktiviert das Endocannabinoid Anandamid auch TRPV1 (Transient Receptor Potential Vanilloid Receptor 1), den Capsaicin-Rezeptor, welcher eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Schmerz und Hyperalgesien spielt. Cannabinoid- Rezeptoren gehören in die Gruppe der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. In Nervenzellen werden durch ihre Aktivierung Kalziumkanäle blockiert und Kaliumkanäle geöffnet, wodurch es zu einer Abnahme der Erregbarkeit und einer reduzierten Freisetzung exzitatorischer Transmitter kommt. Dies ist die molekulare Grundlage für die sedierende Wirkung der Cannabinoide. Die Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 werden zum Großteil in unterschiedlichen Geweben und Zellen produziert, wodurch die Wirkung von Cannabinoiden verständlich wird. CB1-Rezeptoren werden zahlreich im Gehirn gefunden und sind in ihrem Vorkommen vergleichbar mit Rezeptoren für Glutamat und GABA. Die Verteilung von CB1 ist nicht homogen, sondern konzentriert sich auf den Hippocampus (Effekte von Cannabinoiden auf Gedächtnis und Lernen), das Cerebellum (Effekte von Cannabinoiden auf die motorische Koordination) und im geringeren Ausmaß auf den Hypothalamus (Effekte von Cannabinoiden auf Appetit und Energiehaushalt). CB1-Rezeptoren finden sich auch im peripheren Nervensystem, d. h. in sensorischen Nervenfasern und im enterischen Nervensystem, welches die Funktionen des Darms koordiniert. Zum Beispiel sind Knockout-Mäuse mit einer Deletion im CB1-Gen deutlich anfälliger für Kolitis und Kolonkarzinome. Im Gegensatz zu CB1- wird der CB2-Rezeptor vorwiegend in Immunzellen und in Endothelzellen von Gefäßen exprimiert. Im Gehirn ist CB2 neuronal nur vereinzelt in Zellen des Hirnstamms zu finden. Viel zahlreicher ist jedoch seine Expression in der Mikroglia.

Das Endocannabinoidsystem: Dieses schließt nicht nur die Cannabinoid-Rezeptoren und die Endocannabinoide, sondern auch deren synthetisierende und degradierende Enzyme mit ein. Man vermutet, dass die molekularen Bestandteile dieses Systems so reguliert werden, dass sie als Gesamtheit wirken. Endocannabinoide werden nicht wie Transmitter in Vesikel gespeichert, sondern „on demand“ freigesetzt, um parakrin an Nachbarzellen Cannabinoid- Rezeptoren zu aktivieren. Durch Transportervermittelte Wiederaufnahme in die Zellen werden Endocannabinoide inaktiviert und abgebaut. Das Anandamid-degradierende Enzym FAAH (Fatty Acid Amide Hydrolase), eine Fettsäureamid- Hydrolase, repräsentiert dabei ein besonders interessantes pharmakologi sches Target: durch Blockade von FAAH soll der Abbau von Anandamid reduziert und dessen Spiegel erhöht werden, um seine protektive und antiinflammatorische Wirkung zu steigern. Erste erfolgreiche präklinische Versuche deuten darauf hin, dass dies auch der Fall ist. Ähnlich vielversprechend scheinen auch Hemmer des Endocannabinoid-Transporters zu sein.

Cannabinoid-Rezeptoren und Entzündung: Die antiinflammatorische Wirkung von Cannabinoiden ist komplex und wird noch nicht ganz verstanden. Trotzdem sind einige Grundprinzipien erkennbar. Eine Stimulierung des Immunsystems z. B. durch eine bakterielle Infektion kann das gesamte Endocannabinoidsystem aktivieren. Die Folge ist eine erhöhte Expression von Cannabinoid-Rezeptoren und Endocannabinoiden sowie eine reduzierte Expression von FAAH mit dem gemeinsamen Ziel, die Gewebshomöostase wieder herzustellen. Im Zentrum der entzündungshemmenden Eigenschaften von Cannabinoiden steht der CB2-Rezeptor. Durch seine Aktivierung können Cannabinoide die Expression von Signalmolekülen in Immunzellen modulieren, d. h. die Sekretion proinflammatorischer Zytokine und Chemokine senken. Ebenso werden die Expression und Sekretion von Adhäsionsmolekülen, die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies und die Adhäsion von Leukozyten durch Aktivierung von CB2-Rezeptoren reduziert. Die Apoptose von T- und B-Zellen und jener von Makrophagen wird gefördert. Auch dem CB1- Rezeptor könnte eine mögliche Rolle in antientzündlichen Prozessen zukommen. In Modellen entzündlicher Darmerkrankungen konnte man mit Cannabinoiden eine deutliche Reduktion von Entzündungsparametern erreichen. Da CB1-Rezeptoren auf Darmnervenzellen und Epithelzellen exprimiert werden, vermutet man, dass Cannabinoide via CB1 die Motilität und Sekretion des Darms beruhigen und Epithelläsionen günstig beeinflussen, während sie via CB2 die Sekretion proinflammatorischer Zytokine in Immunzellen reduzieren.

Problematische Therapie: Die Therapie mit den derzeit verfügbaren Cannabinoiden ist durch die zentrale Aktivierung von CB1-Rezeptoren und der damit verbundenen Psychoaktivität problematisch. Ansätze zur Umgehung dieses Problems gibt es bereits. Die Herstellung von synthetischen nichthirngängigen Cannabinoiden, die nur an peripheren Cannabinoid-Rezeptoren angreifen, ist möglich und einige der Substanzen stehen bereits für präklinische Versuche zur Verfügung. Eine andere Möglichkeit ist die Verwendung von Cannabinoiden, deren Wirkung auf die Präsenz von CB1- und CB2-Rezeptoren nicht angewiesen ist, sondern über neue, noch nicht charakterisierte Cannabinoid-Rezeptoren vermittelt wird. Von einigen dieser „atypischen Cannabinoide“ ist eine antiinflammatorische Wirkung bereits bekannt. Durch die geringe Expression von CB2 im Gehirn und das damit verbundene geringe Risiko psychotroper Nebenwirkungen könnten CB2-Agonisten bei einer Vielzahl von Erkrankungen Verwendung finden, wie z. B. bei der rheumatoiden Arthritis, bei entzündlichen Darmerkrankungen und bei entzündungsbedingtem chronischen Schmerz. Da auch die Mikroglia CB2 exprimiert, könnten CB2-Agonisten bei neuroinflammatorischen Erkrankungen therapeutischen Einsatz finden.

 

FACT-BOX

Zum Begriff „Cannabinoide“ werden im
Allgemeinen die Inhaltsstoffe von Cannabis
sativa (Phytocannabinoide), synthetische
Liganden von Cannabinoid-Rezeptoren (synthetische
Cannabinoide) sowie auch körpereigene
Cannabinoide (Endocannabinoide)
gezählt.
Die Wirkung von Cannabinoiden wird über
die klassischen Cannabinoid-Rezeptoren
(CB1 und CB2), aber möglicherweise auch
über neue, noch unbekannte G-Proteingekoppelte
Rezeptoren (z. B. GPR55) vermittelt.
Die Mechanismen der antiinflammatorischen
Eigenschaften von Cannabinoiden
sind nur teilweise geklärt und beinhalten
eine Aktivierung von CB2-Rezeptoren und
eine veränderte Expression von proinflammatorischen
Zytokinen.