Compliance und Adhärenz in der Rheumatologie

Besonders bei chronischen Erkrankungen deckt sich die durch den Mediziner projizierte Wirklichkeit bei weitem nicht immer mit den objektiven Handlungen und dem subjektiven Erleben des Patienten. Aus einer eingeschränkten Compliance resultieren fehlende Therapieerfolge, hohe Kosten für nicht konsumierte Pharmaka und langfristig progrediente Gesundheitsschäden bei chronischen Erkrankungen, die ihrerseits wiederum soziale Folgekosten nach sich ziehen.

Begriffsbestimmung: Hier also einige Begriffe, die in der Pharmakoökonomie zunehmende Bedeutung finden:

  • Adhärenz bezieht sich auf das Verhalten eines Individuums als Reaktion auf den medizinischen Rat oder die Empfehlung. Das Verhalten umfasst nicht nur die mengenmäßig und zeitlich entsprechende Einnahme der empfohlenen Medikation, sondern z. B. auch das Diät- und Bewegungsverhalten. Sie kann z. B. als Anteil der Tage, an dem die Therapieempfehlung durchgeführt wurde, erfasst werden.
  • Compliance bezog sich ursprünglich auf eine unreflektierte Gehorsamkeit des Patienten und wird heute nur mehr bei der Lungenfunktion gerne benützt.
  • Dagegen ist bei guter Konkordanz der Behandlungsvertrag in gegenseitiger Erfüllung: eine Mitbeteiligung des Betroffenen bei der Entscheidungsfindung über die Therapiewahl wird von emanzipierten Patientenvertretern als Optimum gesehen.
  • Persistenz („drug survival“) in der Beibehaltung der Medikamenteneinnahme über die Zeit kann als der Prozentsatz der die Behandlungsform verwendenden Patienten nach einer definierten Zeitspanne gezählt werden, dies unabhängig von der Dosis. Die Persistenz hängt nicht nur von dem Patientenverhalten, sondern zum Großteil auch von der Effektivität und Nebenwirkungsrate eines Medikaments ab. Die Messung der Adhärenz ist im klinischen Alltag nicht üblich, die direkte Befragung des Patienten nur von eingeschränkter Aussagekraft. In klinischen Studien werden hier aufwändig übriggebliebene oder zurückgebrachte Tabletten und Ampullen gezählt oder es wird eine technische Blutspiegelbestimmung oder Harnsammlung konsentiert. 

Adhärenzbestimmende Faktoren: Nicht alle gängigen adhärenzbestimmenden Faktoren sind evidenzbasiert untersucht: Einnahmeart, Häufigkeit und Tablettenzahl sind plausibel. Die Stärke der verspürten Symptome leuchtet zunächst dem Beobachter als ausschlaggebend ein, ist aber etwa bei der chronischen Polyarthritis durch die oft erstaunliche subjektive Toleranz der Patienten eine unverlässliche Variable. Bei unbemerkbaren Erkrankungen wie Dyslipidämie, Hypertonie oder Osteoporose ist das Fehlen spürbarer Symptome aber eine klarer Faktor zur Adhärenzminderung. Rational nicht fassbare Haltungen, Glaubenseinstellungen und soziale Gegebenheiten, in anderen Ländern auch Kostenfragen, sind für uns Ärzte wenig beeinflussbar. Bei der Patienteninformation, bei der Hilfe zur Krankheitsbewältigung („coping“) und bei der Schulung wartet aber ein segensreicher, effektiver Einsatz auf den Spezialisten und zum großen Teil auch auf den Hausarzt.
In der Natur der Krankheit liegende Größen bestimmen bei der Polyarthritis auch die Adhärenz: Nebenwirkungen, das Erreichen einer schmerzfreien Remission oder die lange Zeit bis zur (fraglichen) Wirkung sind oft Ursache für eine vom Patienten selbstständig beendete Medikamentenbehandlung, die im Falle der teuren Biologika, die weggeworfen werden müssen, schmerzhaft sinnlose Kosten erzeugen.

Adhärenz unter Biologika-Therapie: Marissa Blum von der Temple University Philadelphia publizierte im Juliheft von „Clinical Therapeutics“ (2011) eine Metaanalyse von 52 klinischen Studien über Biologika bei rheumatoider Arthritis, bei 48 Studien war die Adhärenz der primäre Endpunkt. Dieses Stück Literatur für Regentage zeigt die extreme Bandbreite der bewerteten Maßzahlen – so schwankte die Beobachtungsdauer bei Studien mit Abatacept, Adalimumab, Certolizumab, Etanercept, Golimumab, Infliximab und Tocilizumab zwischen 3 und 60 Monaten. Die 1-Jahres-Beibehaltungsrate des Medikaments („persistence“) schwankte sogar beim intravenösen TNFHemmer zwischen 48 und 84 %; dieses Ausmaß erscheint nicht durch die natürlichen Nebenwirkungs- oder Unwirksamkeitsraten erklärbar. Die mediane Überlebenszeit der Biologika betrug immerhin 39 Monate. Die Adhärenz, gemessen am Prozentsatz der Patienten mit einer mittleren Medikamentenbesitzrate über 0,8, betrug in den US-Studien nach einem Jahr für die selbst injizierbaren TNF-Hemmer nur zwischen 41 und 51 %. Die europäischen Untersuchungen sind den amerikanischen durch die Größe überlegen und erfassen im Falle der großen obligaten Datenbanken („registries“) auch die detaillierten Absetzgründe. Daraus werden sich auch Management-Guidelines für Langzeitpatienten ergeben, welche die Adhärenzmuster unserer Populationen miteinbeziehen. Bis zu deren Fertigstellung sind wir aufgerufen, eine gute Kommunikation und Patientenschulung bei Biologika zu gewährleisten.
Die Adhärenz zur Methotrexat-Medikation sollte im Alltag des Rheumatologen als echtes Problem im Bewusstsein bleiben, die hochsensitive Blutspiegelmessung ist nämlich unverlässlich und teuer.

FAZIT: Auch Polyarthritispatienten nehmen nicht immer die Medikamente wie empfohlen. Bessere Erhebungsmethoden sind zu verlangen, eine bessere Kommunikation und ausführlichere Schulung verbessert die Einsicht und die Aussicht auf gute Therapieerfolge.