Editorial

Sehr geehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen!

Als diabetologisch interessierter Internist freut es mich besonders, Ihnen gemeinsam mit Frau Prof. Lechleitner das vorliegende Themenheft präsentieren zu dürfen.
Im Zentrum der Diabetologie standen in letzter Zeit Diskussionen über adäquate Zielwerte der Stoffwechselkontrolle und über mögliche Nebenwirkungen neuer Diabetesmedikamente. Fast könnte man dabei vergessen, dass der Diabetes mellitus als komplexe Stoffwechselstörung alle Organsysteme des menschlichen Körpers umfasst und auch im Sinne belastender Folgeschäden betreffen kann.
In der rezenten Diabetesbeilage haben wir uns bemüht, diesen Diabetes-bezogenen Konsequenzen und Folgeschäden besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Es ist dankenswerter Weise gelungen, Top-SpezialistInnen aus den Fachbereichen der Infektiologie, Neurologie, Dermatologie, Gastroenterologie, Rheumatologie und Zahnheilkunde zu gewinnen, die Problemfelder ihres jeweiligen Fachgebiet vertieft darzustellen. Somit kann sich der interessierte Leser quasi auf eine „diabetologische Reise“ durch den gesamten Körper begeben und diese weit verbreitete Stoffwechselerkrankung einmal aus anderer Perspektive „erleben“. Auch mir als Diabetologen sind im klinischen Alltag die vielfältigen Konsequenzen und Interaktionen der Zuckerkrankheit mit unterschiedlichen Organsystemen nicht immer bewusst, sodass möglicherweise spezifische Symptome in diesem Zusammenhang nicht rasch wahrgenommen und richtig zugeordnet werden.
Auf dieser sommerlichen Reise 2011 wünsche ich Ihnen viel Vergnügen und Wissensgewinn zum Wohle der von uns behandelten Patienten mit Diabetes mellitus.
Apropos „zum Wohle“: Nicht immer erscheinen Antidiabetika ausschließlich „zum Wohle“ der Patienten zu sein. Der Insulinsensitizer Rosiglitazon wurde letzten Herbst von der europäischen Arzneimittelzulassungsbehörde wegen möglicher erhöhter Myokardinfarktrate vom Markt genommen, der verbleibende Mitbewerber Pioglitazon wird derzeit wegen suspizierter Erhöhung des Blasenkrebsrisikos kritisch von den jeweiligen Zulassungsbehörden evaluiert.
Bezüglich GLP-1-wirksamer Präparate (DPP- 4-Hemmer und GLP-1-Analoga) gibt es vereinzelt Publikationen, die über ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Pankreatitis, Pankreastumoren und andere Tumoren berichten. Erhöhte Krebsraten unter Insulintherapie sind ebenfalls ein heißes Thema.
Laut rezenter Präsentationen am Amerikanischen Diabeteskongress Ende Juni 2011 führte die Unsicherheit bezüglich Zulassung von Medikamenten zur Behandlung des Diabetes mellitus und der Adipositas dazu, dass in letzter Zeit deutlich weniger Entwicklungsinvestitionen auf diesen Gebieten getätigt wurden.
Der Beitrag „Auf dem Weg zu sicheren Medikamenten“ von Prof. Wolzt beschreibt die neuen europäischen Zulassungsrichtlinien für Antidiabetika. Klare Richtlinien sind sowohl zum Schutze der Patienten und der Ärzteschaft als auch für die forschende Pharmaindustrie von essenzieller Wichtigkeit, um auch in Zukunft innovative und hoffentlich bessere und sichere Arzneimittel zur Verfügung zu haben. Bei aller Sorge bezüglich Arzneimittelsicherheit soll jedoch nicht vergessen werden, dass zumeist keine klaren Evidenzen aus kontrollierten prospektiven Studien für mögliche ungünstige Folgen einzelner Präparate vorliegen, sondern dass derartige Verdachtsmomente bzw. Hypothesen aus zumeist großen retrospektiven Kohortenanalysen (Beispiel Patienten- Register von Sozialversicherungen) generiert werden.
In prospektiven randomisierten Studien treten aufgrund der geringen Inzidenz und der zu kurzen Expositionsdauer derartige Beobachtungen meist nicht zu Tage.
Der mögliche oder nachgewiesene Schaden eines Medikaments muss jedenfalls im klinischen Alltag gegen den möglichen oder nachgewiesenen Nutzen abgewogen werden. So müssen z. B. 10 „gerettete“ Menschenleben in einem gewissen Beobachtungszeitraum einem beobachteten zusätzlichen Krebsfall in dieser Zeit gegenübergestellt werden.
Statistische Betrachtungen sind natürlich für das Individuum nicht tröstlich, wenn dieses unmittelbar vom Schadensfall betroffen ist. Dennoch sollten in Zukunft vielleicht auf den Beipackzetteln der Medikamente nicht nur mögliche Nebenwirkungen beschrieben werden, sondern auch die ungünstigen Konsequenzen, welche das Weglassen der Medikation hervorrufen kann. Diese Betrachtungsweise würde sicherlich in vielen Fällen die Compliance deutlich fördern.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Fasching