Neue Insuline und neue Applikationswege

Typische unerwünschte Wirkungen der klassischen Insulintherapie bei Diabetes mellitus infolge unphysiologischer Plasma-Insulinspiegel sind Gewichtszunahme und Hypoglykämien, aber auch eine oft nur unzureichende Stoffwechsel­kontrolle mit postprandialen Hyperglykämien. Aktuell sind zahlreiche Insulinpräparate zur subkutanen Injektion in klinischer Testung, die eine verbesserte Annäherung an die physiologische Insulinsekretion gewähr­leisten sollen. Des Weiteren werden aber auch Alternativen zur subkutanen Insulinapplikation entwickelt.

 

Bei Patienten mit manifestem Diabetes mellitus Typ 1 ist aufgrund des absoluten Insulinmangels die Indikation zur Insulintherapie stets gegeben, während bei Typ-2-Diabetes eine Insulintherapie bei zunehmender Betazelldysfunktion, d. h. unzureichender Blutglukosekontrolle mit oralen Antidiabetika (OAD) bzw. GLP1-Analoga oder auch bei initial sehr hohen HbA1c-Werten, in Betracht gezogen werden sollte (ADA/EASD-Positionspapier zum Management der Hyperglykämie bei Typ-2-Diabetes, Diabetes Care/Diabetologia 2012). Insbesondere bei kurzer Erkrankungsdauer soll eine möglichst normnahe Blutglukoseeinstellung nicht nur akute Stoffwechseldekompensationen vermeiden, sondern könnte auch die Remission des Typ-2-Diabetes begünstigen sowie mikro- und makrovaskuläre Komplikationen verhindern.

Neue lang wirksame Insuline/Insulinformulierungen

Insulin degludec (NovoNordisk) befindet sich kurz vor der Marktzulassung in Europa (für 2013 erwartet). Durch Veränderungen des Insulinmoleküls mit Deletion der Aminosäure ThrB30 sowie Anfügen einer Fettsäurekette an LysB29 wurde eine sehr lange Wirkdauer von > 40 Stunden erzielt, die auf der Bildung von Multihexamerketten im subkutanen Depot beruht. Hierdurch werden die Insulinmonomere langsam und kontrolliert freigesetzt. Des Weiteren trägt die vermehrte Albuminbindung des Insulins zur flachen Wirkkurve von Insulin degludec bei.

Bei Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes unter Basis-Bolus-Therapie zeigte sich eine vergleichbare HbA1c-Senkung nach 12 Monaten Studiendauer zu Insulin glargin (Lantus®), jedoch traten unter Therapie mit Degludec weniger Hypoglykämien allgemein (Typ-2-Diabetes) sowie insbesondere weniger nächtliche Hypoglykämien auf (Typ-1- und Typ-2-Diabetes; Heller et al., Lancet 2012; Garber et al., Lancet 2012).

Aufgrund der langen Wirkdauer könnte zukünftig die Anzahl der Basalinsulininjektionen pro Woche gesenkt werden: Eine Reduktion der Injektionshäufigkeit von Insulin degludec auf 3 Injektionen pro Woche ergab eine vergleichbare HbA1c-Senkung und Hypoglykämiehäufigkeit zu 1-mal täglichen Injektion von Insulin glargin (Zinman et al., Lancet 2012).

Insulin degludec bietet zusätzlich den Vorteil, dass es im Gegensatz zu Insulin glargin mit dem kurz wirksamen Insulin aspart mischbar ist. Die Kombination von Insulin degludec und aspart (Degludec Plus) ergab eine vergleichbare allgemeine Glukoseeinstellung bei ähnlich geringer Häufigkeit von Hypoglykämien, aber besseren Glukosewerten nach dem Abendessen (Heise et al., Diabetes Care 2011). Für dieses Mischinsulin, das eine Alternative zur Kombinationstherapie von oralen Antidiabetika und Basalinsulin in der Therapie des Typ-2-Diabetes darstellen könnte, wurde ebenfalls kürzlich die Marktzulassung beantragt. Die positiven Ergebnisse der bisherigen klinischen Studien müssen allerdings erst nach der Marktzulassung in Phase-IV-Studien an großen Patientenkollektiven bestätigt werden.

Neue kurz wirksame Insuline/Insulinformulierungen

Linjeta® (Biodel) (früher VIAject®). Aktuell befindet sich mit Linjeta® ein Präparat in Phase III der klinischen Prüfung, das sich durch einen besonders raschen Wirkbeginn im Vergleich zu Humaninsulin und dem kurz wirksamen Insulinanalogon Insulin lispro auszeichnet (Steiner et al., Diabetologia 2008). Bei Linjeta® handelt es sich um rekombinantes Humaninsulin in einer mit Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA) und Zitrat versetzten Lösung. Hierdurch werden das zentrale Zn2+-Molekül gebunden und molekulare Ladungen der Insulinhexamere neutralisiert, was einen schnellen Zerfall der Komplexe zu Insulinmonomeren und den raschen Übertritt von Insulin in die Blutbahn bewirkt.

Insbesondere postprandiale Hyperglykämien sollen durch den schnellen Wirkeintritt weitestgehend vermieden werden, bislang sind die Ergebnisse der klinischen Studien jedoch nicht publiziert. Die Zulassung von Linjeta® wurde 2010 von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) vorläufig zurückgestellt und 2 weitere Phase-III-Studien bei Typ-1- bzw. Typ-2-Diabetes zur Prüfung von Wirksamkeit und Sicherheit des Präparats gefordert. Eine Marktzulassung ist bislang nicht erfolgt.

Koadministration von kurz wirksamem Insulin und Hyaluronidase

Eine weitere Möglichkeit zur Beschleunigung der Resorptionsgeschwindigkeit von Humaninsulin und kurz wirksamen Insulinanaloga ist die Administration rekombinanter Hyaluronidase (rHuPH20) an der Injektionsstelle (Vaughn et al., Diabetes Technol Ther 2009). rHuPH20 baut das gelähnliche Hyaluron im Subkutangewebe kurzfristig ab, wodurch die Resorption einer injizierten Substanz erleichtert wird. Hylenex®, eine bereits zugelassene Formulierung rekombinanter Hyaluronidase der Firma Halozyme, wird aktuell in einer Phase-IV-Studie hinsichtlich der Beschleunigung der Insulinresorptionskinetik geprüft. Des Weiteren wurde in einer bereits abgeschlossenen Phase-II-Studie die Koadministration kurz wirksamer Insuline (Insulin lispro, Humaninsulin) und rHuPH20 in einer gemeinsamen Formulierung bei Patienten mit Typ-1-Diabetes getestet. Insulin lispro und Humaninsulin in Kombination mit rHuPH20 zeigten frühere und größere Insulin-Spitzenkonzentrationen mit in der Folge verbesserter postprandialer Blutglukosekontrolle im Vergleich zum jeweiligen Präparat ohne rHuPH20 und identischer Dosierung (Hompesch et al., Diabetes Care 2011; Hompesch et al., Diabetes Technol Ther 2012). Die Hypoglykämiehäufigkeit bei Insulin lispro mit bzw. ohne Zusatz von rHuPH20 war vergleichbar, wohingegen eine Reduktion bei Kombination von Humaninsulin mit rHUPH20 im Vergleich zu Humaninsulin allein beobachtet wurde.

Alternativen zur subkutanen Applikation: inhalierbare Insuline

Aufgrund einiger Nachteile einer subkutanen Insulinapplikation, wie mehrfach tägliche Injektionen, Lipohypertrophien sowie teils unphysiologische Resorptionskinetiken, werden seit Jahren alternative Insulin-Applikationsformen gesucht. Die große Oberfläche der Lunge, ihre gute Durchblutung sowie das dünne Alveolar­epithel ermöglichen eine sehr rasche systemische Verabreichung von Insulin mittels Inhalation. Im Januar 2006 erhielt das erste und bislang einzige inhalative Insulin (Exubera®) von der FDA die Marktzulassung.

Exubera®, ein Humaninsulin enthaltendes Trockenpulver, das über einen speziellen Inhalator appliziert wird, ist ein kurz wirksames Insulin mit schnellem Wirkeintritt sowie kurzer Wirkdauer zur prandialen Insulintherapie. Im Vergleich mit subkutan injiziertem kurz wirksamen Insulin konnte für Exubera® in klini­schen Studien eine gleichwertige, jedoch keine überlegene Wirksamkeit gegenüber der subkutanen Insulintherapie gezeigt werden. So wurde in Studien mit Patienten mit Typ-1-Diabetes im Vergleich mit subkutan applizierten kurz wirksamen Insulinen eine vergleichbare Reduktion der HbA1c-Werte erzielt wie auch Anzahl von Patienten mit einem HbA1c < 7 % (Norwood et al., J Clin Endocrinol Metab 2007; Hompesch et al., Diabetes Technol Ther 2009).

Für Patienten mit Typ-2-Diabetes könnte eine Kombinationstherapie mit OAD und Exubera® eine Alternative zur Therapie mit OADs und subkutan injiziertem Basalinsulin darstellen. Exubera® wurde allerdings bereits 2007 mit der Begründung zu geringer Verkaufszahlen vom Markt genommen. Fehlende Langzeitstudien zur Sicherheit und Verträglichkeit von Exubera® (in den durchgeführten klinischen Studien wurde eine geringe, aber signifikante Verschlechterung der Lungenfunktion beobachtet), hohe Kos­ten, ein unhandlicher Inhalator sowie die fehlende Wirküberlegenheit gegenüber subkutan appliziertem Insulin mögen zur Entscheidung beigetragen haben.

Afrezza® (Technosphere, MannKind Corporation) ist momentan das einzige in der klinischen Entwicklung befindliche inhalierbare Insulin (Phase III). Wie
Exubera® ist Afrezza® ein Humaninsulin-enthaltendes Trockenpulver, das mittels eines (anwenderfreundlichen) Inhalers appliziert wird. Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und Therapie mit OADs ergab die additive Therapie mit Afrezza® zu den Mahlzeiten eine signifikante Reduktion der postprandialen Glukosewerte und des HbA1c. Des Weiteren zeigte sich in der einzigen bislang publizierten Phase-III-Studie an Patienten mit Typ-2-Diabetes eine vergleichbare Wirksamkeit der Kombinationstherapie mit Insulin glargin und Afrezza® zu einem humanen Mischinsulin bei geringerer Gewichtszunahme und weniger leichten und schweren Hypoglykämien. Für Afrezza® wurde bislang (im Gegensatz zu Exubera®) keine Veränderung der Lungenfunktion unter Therapie nachgewiesen. Die Marktzulassung von Afrezza® wurde von der FDA aufgrund fehlender klinischer Daten zum Inhalatorsystem jedoch erneut zurückgestellt.

Alternative Applikation:orale Insuline/Insulinspray

Die orale Insulingabe soll ähnlich dem inhalierbaren Insulin mittels einfacher und schmerzloser Tabletteneinnahme die Compliance der Patienten stärken. Problematisch ist jedoch die schlechte orale Bioverfügbarkeit von Insulin. Deshalb wird versucht, die gastrointestinale Barriere mittels verschiedener Methoden wie Modifikation des Insulinmoleküls oder Verpackung des Insulins mittels Nanotechnologie zu überwinden. Eine weitere Möglichkeit ist die bukkale Insulinapplikation mit Resorption über die Mundschleimhaut mittels eines Sprays.

Momentan ist jedoch kein Präparat in der klinischen Entwicklung, für welches mit der baldigen Marktzulassung gerechnet werden kann. Insbesondere die Weiterentwicklung von Präparaten in späteren Phasen der klinischen Entwicklung, wie des oralen Insulins IN-105 (Biocon) und auch des zunächst vielversprechenden Insulin-Sprays Oral-lyn® (Generex) ist momentan unsicher.

ZUSAMMENFASSUNG: Es bleibt abzuwarten, welche Insulinformulierungen und Applikationsformen die Marktreife sowie Akzeptanz bei Ärzten und Patienten erlangen und vor allem welche sich als sicher und effektiv in der Diabetestherapie erweisen. Die subkutan injizierbaren Insuline Insulin degludec und Linjeta® sind bereits in Phase III der klinischen Prüfung und somit in der Entwicklung weit fortgeschritten. Trotz vielversprechender Ansätze der inhalativen und oralen Insulintherapie wie z. B. mit Afrezza® ist die Langzeitsicherheit dieser Applikationsart noch unklar. Vorteilhaft wäre natürlich die in einer Modellstudie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes gezeigte höhere Bereitschaft zum Beginn einer Insulintherapie mittels Administration ohne subkutane Injektionen. Weitere alternative Insulinapplikationsformen wie Ansätze zur transdermalen und intranasalen Insulingabe befinden sich in der Entwicklung, jedoch wurden bislang keine Daten klinischer Studien zu diesem Thema publiziert.

Literatur bei den Verfassern
FACT-BOX

Neue kurz bzw. lang wirksame Insuline stehen vor der Marktzulassung und sollen aufgrund verbesserter Wirkprofile unerwünschte Effekte der Insulintherapie, wie Hypoglykämien und Gewichtszunahme, und unzureichende postprandiale Stoffwechseleinstellung reduzieren.
Inhalative sowie orale Insuline sind in verschiedenen Phasen der klinischen Entwicklung, jedoch nur für das inhalative Insulin Afrezza® scheint die Marktzulassung möglich.
Im Vordergrund steht daher nach wie vor die adäquate Schulung der Patienten in der möglichst funktionellen Anwendung der verfügbaren subkutanen Insulinanaloga.