Thromboseprophylaxe beim Karzinompatienten – Wann, wo, wie?

Für das deutlich erhöhte VTE-Risiko bei Tumorpatienten gibt es viele Ursachen. Es gibt patientenspezifische Ursachen wie das Alter (ältere Patienten haben ein erhöhtes VTE-Risiko) und ethnische Hintergründe. So haben afroamerikanische Patienten ein erhöhtes Risiko für paraneoplastische VTEs, Asiaten scheinen ein geringeres Risiko zu haben. Ein entscheidender Faktor ist auch der Ort des Tumors. So gibt es Tumorentitäten, bei denen das VTE-Risiko massiv erhöht ist. Karzinome des Gastrointestinaltrakts (vor allem Pankreaskarzinome), aber auch Karzinome des Urogenitaltrakts sind hier besonders hervorzuheben. Auch therapieassoziierte Faktoren, wie operative Eingriffe, manche Polychemotherapien oder auch Hormontherapien sind hier zu erwähnen.

Einschätzung des VTE-Risikos bei ambulanten Polychemotherapie-Patienten: Besonders bei ambulanten Patienten, die eine Polychemotherapie bekommen, ist das VTE-Risiko schwer einzuschätzen. Eine routinemäßige Thromboseprophylaxe wird bei diesen Patienten von den großen Gesellschaften nach wie vor nicht empfohlen. Es gibt aber Daten, die zeigen, dass in diesem sehr heterogenen Patientenkollektiv manche Patienten ein höheres Thromboserisiko haben als andere. Zur Einschätzung dieses Risikos wurden Score-Modelle entwickelt, unter denen der Khorana-Score der praktikabelste ist. Mit Hilfe von klinischen Faktoren (Tumorlokalisa – tion, Blutplättchen- und Leukozytenzahl vor Polychemotherapie, Höhe des Hämoglobin und Verwendung von Erythropoetin-stimulierenden Präparaten sowie dem Body Mass Index) kann man ein Kollektiv mit hohem VTERisiko von einem Niedrigrisiko-Kollektiv unterscheiden.
Prinzipiell wird nach wie vor keine routinemäßige Thromboseprophylaxe bei ambulanten onkologischen Patienten empfohlen. Trotzdem wird in den aktuellen Guidelines des American College of Chest Physicians (ACCP) 2012 der Forschungsarbeit in diesem Bereich Rechnung getragen. So gibt es eine Grad-2B-Empfehlung für die Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin (NMH) bei ambulanten onkologischen Patienten mit soliden Tumoren, die zusätzliche VTE-Risikofaktoren aufweisen und bei denen ein geringes Blutungsrisiko besteht. Solche zusätzlichen VTE-Risikofaktoren wären eine bereits stattgehabte VTE, Immobilisation, Hormontherapie, Therapie mit Angiogenese-Inhibitoren, Thalidomid und Lenalidomid. Für Thalidomidund Lenalidomid-therapierte Patienten speziell mit Kortisontherapie gab es bereits bisher von der American Society of Clinical Oncology (ASCO) Empfehlungen für eine NMHProphylaxe.

Perioperative Thromboseprophylaxe unumgänglich! Ein besonders thrombophiler Risikofaktor bei Tumorpatienten ist ein chirurgischer Eingriff. Eine postoperative VTE ist bei chirurgischen Tumorpatienten ca. 3-mal häufiger als bei chirurgischen Nicht-Tumorpatienten. Eine massive tödliche postoperative VTE tritt bei Tumoroperationen 4-mal häufiger auf als bei Operationen ähnlichen Ausmaßes bei nicht-onkologischen Patienten. Es herrscht daher in allen Fachgesellschaften Einigkeit für eine Thromboseprophylaxe bei chirurgischen Tumorpatienten. Sowohl die ASCO als auch die ACCP sprechen sich für eine peri- und auch postoperative Thromboseprophylaxe mit NMH aus. Die Prophylaxe sollte vor der Operation oder unmittelbar nach der Operation beginnen und laut ASCO für zumindest 7 bis 10 Tage post OP fortgesetzt werden. Bei adipösen Patienten, Patienten nach größeren abdominellen Operationen oder Operationen im Beckenbereich oder bei Patienten mit positiver VTE-Eigen – anamnese, Alter von 60 Jahren oder älter, verlängerter postoperativer Immobilisation oder OP-Dauer über 2 Stunden sollte diese Thromboseprophylaxe mit NMH für insgesamt 4 Wochen postoperativ fortgesetzt werden.
Mechanische Thromboseprophylaxe-Maßnahmen sollten zusätzlich zu den pharmakologischen verwendet werden. Eine alleinige Verwendung ist nur bei Patienten mit einer aktiven massiven Blutung, die eine Antikoagulation unmöglich macht, empfohlen.

Aktuelle Studien zum Thema Thromboseprophylaxe beim onkologischen Patienten: Rezent wurde die SAVE-ONCO-Studie mit Semuloparin, einem Ultra-NMH, publiziert. Semuloparin ist eine halbsynthetische Subs – tanz mit einer hohen Anti-Xa-Aktivität und nur geringer Anti-II-Aktivität. Die Halbwertszeit dieser Substanz beträgt 16–20 Stunden, die Bioverfügbarkeit des Präparates ist mit 98 % sehr hoch. In der SAVE-ONCOStudie wurde diese Substanz in einer Dosis von 20 mg 1-mal täglich s. c. bei Patienten mit einem soliden Tumor und Start einer Polychemotherapie zur Thrombose prophylaxe verabreicht und doppelblind gegen eine Gruppe mit Placebo verglichen. Die Substanz konnte das Auftreten einer VTE signi – fikant reduzieren (1,2 % vs. 3,4 %), große Blutungsevents traten in der Therapiegruppe nicht signifikant häufiger auf (1,2 % vs. 1,1 %).

ZUSAMMENFASSUNG: Thromboseprophylaxe mit einem NMH-Präparat bei chirurgischen Tumorpatienten ist unumgänglich und sollte bei einem Großteil der Patienten (wie im Beitrag definiert) über 4 Wochen postoperativ fortgesetzt werden. Bei ambulanten Tumorpatienten gibt es immer mehr die Tendenz auch hier bei gewissen Hochrisikopatienten eine NMH-Prophylaxe zu empfehlen. Genaue Daten, die ein solches Vorgehen untersuchen, sind noch ausständig, werden in den nächsten Jahren aber folgen.