Tumorassoziierte venöse Thromboembolie – Potenzielle neue orale Antikoagulantien

Maligne Tumoren gehen mit einem etwa 5-fach erhöhten Risiko für eine VTE einher.1 Ein erhöhtes Thromboserisiko ist sowohl für solide Tumoren als auch für hämatologische Neoplasien bekannt.2 Thrombosen bei maligner Grunderkrankung nehmen häufig einen besonders aggressiven Verlauf, was sich auch in einer deutlich erhöhten Rezidivrate während aktiver Tumorerkrankung zeigt. Dazu kommt die bei fortgeschrittener Tumorerkrankung häufig erhöhte Blutungsneigung, welche zu schwerwiegenden Komplikationen einer antithrombotischen Therapie führen kann.3
Heute werden für die Therapie der VTE bei Patienten mit aktiven Malignomen in erster Linie niedermolekulare Heparine (NMH) eingesetzt. In der CLOT-Studie war gezeigt worden, dass eine Therapie mit Dalteparin über 6 Monate einer Therapie mit einem Vi – tamin-K-Antagonisten bezüglich der Verhinderung eines VTE-Rezidivs überlegen ist.4 Weniger Daten gibt es für eine Therapie über die Zeitspanne von 6 Monaten hi – naus5, die aber häufig aufgrund weiterhin aktiver Krebserkrankung mit hohem Rezidivrisiko angezeigt ist. Eine Dauertherapie mit NMH, wie sie häufig angewandt wird, ist aber aus mehreren Gründen nicht unproblematisch. Neben den im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten deutlich höheren Kosten kommt die Notwendigkeit von täglichen Injektionen, die Gefahr einer Akkumulation bei gleichzeitiger Niereninsuffizienz sowie das Risiko einer Osteoporose hinzu.6 Aber auch ein Wechsel auf Vitamin-K-Antagonisten in der Langzeittherapie der tumorassoziierten VTE ist mit Problemen verbunden. Neben der generell höheren Blutungsneigung bei Tumorpatienten spielen hier die schwierigere Einstellung in den therapeutischen Bereich durch Erbrechen, Diarrhö, begleitende Antibiose, Leberinsuffizienz sowie tumorinduzierte Malnutrition eine Rolle.6 Neben der therapeutischen Anwendung verdient auch die Rolle von Antikoagulantien in der Prophylaxe einer VTE bei Tumorpatienten Beachtung. Hier werden naturgemäß vor allem NMH verwendet. Neben der routinemäßigen Anwendung im Rahmen eines stationären Aufenthaltes ist in manchen Fällen, wie zum Beispiel bei größeren abdominellen Tumoroperationen, gemäß geltender Leitlinien auch eine über mehrere Wochen verlängerte Prophylaxe empfohlen.

Neue orale Antikoagulantien

In den letzten Jahren wurden eine Reihe von neuen oralen Antikoagulantien (NOAC) in verschiedenen Indikationen in großen Phase-IIIStudien gegen NMH bzw. Vitamin-K-Antagonisten getestet. Die > Abb. zeigt die Angriffspunkte der in der Entwicklung fortgeschrittensten Substanzen, die bereits in mehreren Ländern für unterschiedliche Indikationen zugelassen sind. Neben dem direkten Thrombinhemmer Dabigatran sind das die oralen Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban. Die Eigenschaften dieser Substanzen sind in der > Tab. 1 aufgelistet.7, 8 Unterschiede bestehen neben dem Angriffspunkt der Gerinnungshemmung insbesondere in der Bioverfügbarkeit, der renalen Elimination sowie im derzeitigen Zulassungsstatus. Je nach Substanz und Indikation ist eine einoder zweimal tägliche Einnahme vorgesehen. Gemeinsam ist allen NOAC, dass sie in kons – tanter Dosierung ohne die Notwendigkeit von Gerinnungskontrollen eingenommen werden können. Ebenfalls gemeinsam ist den Subs – tanzen das Fehlen eines spezifischen Antidots, wobei aber betont werden muss, dass in den bisher berichteten Studien konstant weniger schwere Blutungsereignisse mit NOAC verglichen mit Vitamin-KAntagonisten beobachtet wurden.

RECOVER, EINSTEIN-DVT und EINSTEINEXT: Von den durchgeführten Therapiestudien, welche NOAC im Vergleich mit der Standard therapie bei der Behandlung der VTE untersuchten, wurden bisher drei Studien publiziert (RECOVER, EINSTEIN- DVT und EINSTEIN-EXT). In der RECOVER-Studie wurde nach einer Initialtherapie mit Enoxaparin über mindestens 5 Tage Dabigatran (150 mg zweimal täglich) mit Warfarin in 2.500 VTE-Patienten (davon 30 % mit Pulmonalembolie) über 6 Monate verglichen. Die Therapie mit Dabigatran war in dieser Studie gleich effektiv und gleich sicher wie die Standartherapie.9 Ähnliche Ergebnisse brachte die EINSTEIN-DVTStudie, in der mehr als 3.400 Patienten mit einer symptomatischen tiefen Venenthrombose entweder mit Rivaroxaban (2-mal 15 mg über 3 Wochen, gefolgt von 20 mg einmal täglich) oder mit der Standardtherapie (Enoxaparin/Vitamin-K-Antagonist) behandelt wurden. Auch hier konnte die Gleichwertigkeit der neuen Therapie gegenüber der Standardtherapie bei gleicher Blutungsrate bewiesen werden.10 In beiden Studien wurde nur eine kleine Anzahl von Patienten (5 bzw. 6 %) mit aktiven Malignomen eingeschlossen. Für diese Subgruppe konnte jeweiIs eine vergleichbare Effektivität der neuen Therapie bewiesen werden, auch wenn die absoluten Zahlen hier naturgemäß klein sind. Für die EINSTEIN-DVT-Studie wurde auch die Blutungsrate in der Subgruppe der Patienten mit aktivem Malignom berichtet. Wie zu erwarten war diese deutlich höher (fast doppelt so hoch) im Vergleich zu Patienten ohne aktive Krebserkrankung, ohne dass ein signifikanter Unterschied zwischen Rivaroxaban und der Standardtherapie zu beobachten war (> Tab. 2). In die EINSTEIN-EXT-Studie, welche die Fortführung der Therapie mit einmal täglich 20 mg Rivaroxaban versus Placebo in knapp 1.200 Patienten untersuchte, wurden erwartungsgemäß noch weniger Patienten mit malignen Tumoren (4,5 % versus 6 % in der EINSTEIN-DVT-Studie) eingeschlossen. Subgruppenanalysen der Patienten mit Krebserkrankungen wurden für diese Studie nicht berichtet.

ADOPT-Studie: Neben den zahlreichen Studien mit NOAC in der Thromboseprophylaxe bei großen orthopädischen Operationen wurden auch Studien mit NOAC bei akuten internistischen Patienten durchgeführt. Vor kurzem wurde eine dieser Studien (ADOPT) publiziert, welche eine verlängerte Thromboseprophylaxe (30 Tage) mit 2-mal 2,5 mg Apixaban gegen die Standardprophylaxe mit 1-mal 40 mg Enoxparin (6–14 Tage) bei 6.500 Patienten verglich. Einschlusskriterium war das Vorliegen einer Herzinsuffizienz, einer respiratorischen Insuffizienz oder eine anderen akuten internis – tischen Erkrankung mit zumindest einem weiteren Risikofaktor, wozu auch Krebserkrankungen zählten. Eine verlängerte Prophy laxe mit Apixaban ergab keine statistisch signifikante Reduktion im Auftreten einer symptomatischen VTE oder asymptomatischen proximalen Venenthrombose (primärer Endpunkt) bei vergleichbaren Blutungsraten beider Prophylaxeregimes. 11 Trotz der oben erwähnten Einschlusskriterien wurden in diese Studie nur wenige Patienten mit aktiver maligner Tumorerkrankung (3,5 %) eingeschlossen, Ergebnisse in dieser Subgruppe wurden bisher nicht veröffentlicht.

FACT-BOX

  • Die Therapie der venösen Thromboembolie (VTE) bei bestehender Krebserkrankung besteht heutzutage meist aus einer Langzeitbehandlung mit niedermolekularen Heparinen.
  • Die neuen oralen Antikoagulantien (NOAC) haben das Potenzial, die Therapie der VTE auch bei bösartigen Erkrankungen zu vereinfachen.
  • Vor einer breiten Verwendung von NOAC in der Therapie der malignom – assozierten VTE sind allerdings noch die Ergebnisse weiterer Studien abzuwarten.

 

1 Heit J.A. et al., Arch Intern Med 2000; 160:809-15
2 Falanga A., Marchetti M. J Clin Oncol 2009; 27:4848-57
3 Hutten B.A. et al., J Clin Oncol 2000; 18:3078-83
4 Lee A.Y. et al., N Engl J Med 2003; 349:146-53
5 Akl E.A. et al., Cochrane Database Syst Rev 2011; 6:CD006650
6 Weitz J.I. Thromb Res 2010; 125 (Suppl 2):S30-35
7 Eriksson B.I. et al., Annu Rev Med 2011; 62:41-57
8 Weitz J.I. et al., Chest 2012; 141 (Suppl.):120S-151S
9 Schulman et al., N Engl J Med 1009; 361:2342-52
10 EINSTEIN Investigators, N Engl J Med 2010; 363:2499-510
11 Goldhaber et al., N Engl J Med 2011; 365:2167-77